Diskussion und Kinoabend: Fabasoft hat gemeinsam mit dem Report Verlag den Dokumentarfilm »Democracy – Im Rausch der Daten« von David Bernet in Wien gezeigt.
Am 18. November 2015 luden Fabasoft und der Report Verlag zur exklusiven Vorpremiere der Dokumentation »Democracy – Im Rausch der Daten« von Regisseur David Bernet, die einen spannenden Einblick in den Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene gibt, ein. 250 Besucherinnen und Besuchern sahen eine fesselnde und hochbrisante Geschichte über eine Handvoll Politiker, die versucht, die Gesellschaft in der digitalen Welt vor den negativen Auswirkungen von Big Data und Massenüberwachung zu schützen.
Vor Filmbeginn diskutierten Gastgeber Helmut Fallmann, Gründer und Vorstand der Fabasoft AG, und Prof. Sarah Spiekermann, Leiterin des Institute for Management Information Systems an der WU Wien, mit Martin Szelgrad, Report Verlag.
(+) plus: Herr Fallmann, warum ist Ihnen wichtig, dass möglichst viele diesen Film sehen?
Helmut Fallmann: Das Problem vieler Menschen ist, dass ihr natürliches Gespür für Privatsphäre im virtuellen Raum versagt. Wir haben hunderte Jahre für ein Briefgeheimnis gekämpft, das nun im Internet wieder verloren gegangen ist.
Ein einheitlicher Datenschutz innerhalb der EU ist die wahrscheinlich größte Chance, die der Kontinent für seine Wettbewerbs- und Wachstumsfähigkeit im Hinblick auf IT und Internet hat. Es ist zudem eine einmalige Gelegenheit für Europa zu beweisen, dass auf Basis unserer unverrückbaren Werte sehr wohl Rahmenbedingungen möglich sind, die eine wirtschaftliche Überlegenheit schaffen können. Datensicherheit kann zum Exportschlager werden. Das alles bringt diese Dokumentation an die Oberfläche.
(+) plus: Der EuGH hat Anfang Oktober auf Initiative von Datenschützern – allen voran von Max Schrems – das »Safe
Harbor«-Abkommen mit den USA gekippt. Wie steht es nun um den Datenschutz in Europa?
Fallmann: Wichtig ist zum einen einmal die Feststellung, dass Massenüberwachung nicht akzeptiert wird. Das »Safe Harbor«-Abkommen hat auch unserer Wirtschaft geschadet und der EuGH hat festgestellt, dass die USA kein sicherer Hafen für personenbezogene Daten sind. Max Schrems ist es gelungen, den Gerichtshof davon zu überzeugen. Man wird jetzt erleben, dass versucht wird, ein »Safe Harbor II« zu basteln. Wir erleben dazu seit Jahren ein sehr starkes Lobbying amerikanischer Unternehmen.
Die großen IT-Unternehmen sind mit ihren lokalen Niederlassungen auch in unseren eigenen Interessensvertretungen der IT-Banche – Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer oder der deutschen Bitkom – zu finden. Das bedeutet: Die Amerikaner lobbyieren in Brüssel doppelt – einmal über ihr eigenes Lobbying und dann über unsere Vertretungen. Das müssen wir zunächst verstehen und dann auch ändern.
Leider wird es auch noch eine geraume Zeit brauchen, bis wir in Europa eine einheitliche Datenschutzverordnung haben. Einige Nationalstaaten sind noch immer der Ansicht, dass Datenschutz ein politischer Zwilling des Staatsschutzes ist und daher nicht vergemeinschaftet werden kann. Ich hoffe sehr, dass auch diese Zweifler bald einlenken. Insgesamt erwarte ich aber nicht vor 2017 das Inkrafttreten der Richtlinie.
(+) plus: Warum sollte es uns wichtig sein, personenbezogene Daten nicht in den USA zu speichern? Die IT-Branche bringt ja auch den Anwendern in Europa viel Gutes.
Sarah Spiekermann: Daten sind das Öl unserer Digitalökonomie. Ohne Daten könnte die Wirtschaft nicht mehr funktionieren und deshalb muss man Daten als Asset betrachten. Wenn aber alle unsere Daten in den USA gespeichert werden und auch die Nachprüfbarkeit unserer digitalen Identitäten auf amerikanischen Servern verarbeitet wird, hat das nicht nur ökonomische, sondern auch politische Konsequenzen.
Natürlich sind all die IT-Services, die unser Leben erleichtern, wunderschön und praktisch. Uns sollte aber bewusst sein, dass um Daten weltweit hart gekämpft wird. Alleine um diesen Vermögensgegenstand zu schützen sind von US-Unternehmen 2.000 bis 3.000 Lobbyisten beschäftigt worden, wie man auch in dem Film sieht. Auch die Wissenschaft und Bildungseinrichtungen sind davon betroffen, wenn ein Konzern wie Google etwa in ein Institut für Internet und Gesellschaft investiert, wie es an der Humboldt-Universität in Berlin geschehen ist. Sowohl in der Auswahl der Professoren als in den Themen wird dabei sehr gezielt vorgegangen.
Wir sehen im Lobbying extrem langfristige und professionelle Prozesse, und auch sehr persönliche Beziehungen. Da wird schon sehr genau unterschieden, wer zu Veranstaltungen und auch Jobs eingeladen wird und wer nicht.
(+) plus: Ist das Verständnis von Privatsphäre in Europa und den USA so verschieden?
Spiekermann: Das glaube ich gar nicht. Es gibt ja auch in den USA Schlösser an Haustüren und Autos. Es geht vielmehr um eine unterschiedliche Rechtsauffassung. In Europa schützen wir personenbezogene Daten generell – es geht hier um informationelle Selbstbestimmung und Kontrolle über unsere Daten. In den USA herrscht dagegen ein »harm based«, ein schadensbasiertes, Rechtssystem. Nur wenn jemand geschädigt wird, kann er eine Firma verklagen. Doch ist gerade das in einer digitalen Welt, in der ein konkreter Schaden meist gar nicht nachvollziehbar ist, sehr schwierig. Es gibt heute große Datenhändler wie BlueKai oder Acxiom, die damit werben, über 200 bis 300 Millionen Profile von Internetnutzern zu verfügen. Das alles ist legal – es entsteht ja scheinbar niemandem direkter physischer Schaden. Das stimmt aber nicht. Jeder von uns hat mit Sicherheit eine unterschiedliche Kreditlinie. Dies passiert aufgrund von Datenbanken wie diesen.
Fallmann: Wir kämpfen darum, unser hohes Niveau des deutschen und österreichischen Datenschutzrechts zu einem europäischen Niveau zu erheben. Kommissarin Viviane Reding hat immer betont: »Ein Kontinent – ein Gesetz und ein Recht für alle.« Ich glaube, wir sind dazu nun auf dem richtigen Weg.