Sonntag, Juli 21, 2024

»Nie wieder bei einer Bank arbeiten« wollte Christine Tschütscher. Nach mehreren Stationen in ganz unterschiedlichen Unternehmen und Kulturen ist sie nun doch wieder in einer Bank gelandet – diesmal aber einer ganz besonderen. Über Berufswege und Irrwege, Profitdenken und die Lust am Aufbauen erzählt die Vorständin der Bank für Gemeinwohl im Report(+)PLUS-Interview.

 

Das Projekt

Unter dem Eindruck der Finanzkrise formierte sich 2012 ein rund 100-köpfiges, breit aufgestelltes Team. 2014 erfolgte die Gründung einer Verwaltungsgenossenschaft. Im Vordergrund stehen Transparenz und Partizipation, mit dem angelegten Geld werden gemeinwohlorientierte Projekte unterstützt. Jedes Mitglied hat eine Stimme und kann an Meinungsbildung und Entscheidungen mitwirken.

Das Mindestinvestment beträgt 200 Euro, maximal können Anteile in Höhe von 100.000 Euro erworben werden. 2016 peilen die Initiatoren die Marke von 6 Mio. Euro an, um den Lizensierungsprozess bei der Finanzmarktaufsicht zu starten. Bis 2017 soll die Bank ihre Geschäftstätigkeit aufnehmen. Zunächst wird das Basisservice einer Bank – Zahlungsverkehr mit Bankomat- und Kreditkarte, Einlagen und Kredit – angeboten. Später ist eine Kreditplattform, ähnlich dem Crowdfunding-Prinzip, geplant. Für die Kontoführung muss man mit acht Euro monatlich rechnen. Die Kreditvergabe erfolgt nach Kriterien wie Ökologie und Nachhaltigkeit. Genossenschafts-Dividenden werden reinvestiert.

(+) plus: Einer Ihrer ersten Jobs war bei der Erste Bank, nach etlichen anderen Stationen sind Sie nun wieder bei einer Bank gelandet. Schließt sich hier ein Kreis?

Christine Tschütscher: Gleich nach dem Studium habe ich zunächst bei Rank Xerox im Vertrieb begonnen. Das war damals ein durchstrukturierter US-Konzern, pures Hardcore-Selling. Ich wechselte dann in die Erste Österreichische Sparkasse. Das war schon ein erster Kulturbruch. Bei Rank Xerox hatte ich fast nur männliche Kollegen, ein bisschen amerikanisch-lockeres Feeling. In der Bank waren Mitarbeiter, die einander seit 25 Jahren gegenübersaßen, noch immer per Sie. Es gab strenge Kleidervorschriften, die Frauen mussten auch im Sommer Strumpfhosen tragen.

Aber die Betreuung der Kunden war höchst professionell. Im Vergleich zu heute liegen natürlich Welten dazwischen – die Kunden gaben per Telefon Überweisungen in Auftrag, daher war auch der Kontakt viel enger. Als Großkundenbetreuerin habe ich interessante Unternehmen kennengelernt und einen breiten Einblick bekommen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, das bis zur Pension zu machen.

(+) plus: Warum sind Sie trotzdem im Bankgeschäft geblieben?

Tschütscher: Nach fünf Jahren warb mich eine Head-
hunterin zur Schoellerbank ab. Das war damals ein wirklich altes Wiener Traditionsbankhaus und ich dachte mir: Es geht also noch steifer! Was mich aber gereizt hat, waren die Pläne, das Firmenkundengeschäft neu aufzubauen. Ich habe dann in Salzburg drei Jahre die Kompetenzzentrale für Westösterreich geleitet. Mich zog es aber wieder nach Wien, ich wollte endlich etwas anderes machen. Damals hätte ich viel darauf gewettet, dass ich sicher nie wieder in eine Bank komme.

(+) plus: Hatten Sie nie Zweifel, einfach die Branche zu wechseln?

Tschütscher: Ich dachte, mir steht die Welt offen. Für eine Unternehmensberatung ging ich zunächst als Geschäftsführerin in die Niederlassung nach Bukarest, wo ich westliche Investoren an rumänischen Firmen vermitteln sollte. Das war für mich wie eine Zeitreise ins Mittelalter. Meine Übernachtung im Hotel hat mehr gekostet als das Monatsgehalt der Sekretärin. Mit dem Geschäftsmodell konnte ich mich nicht identifizieren.

Dann fand ich genau das Richtige: Ich kam zu One, als der Mobilfunkmarkt am Beginn des großen Booms stand. Begonnen habe ich 1999 mit 600 Mitarbeitern, am Ende waren es 1.600. Einmal wurden in einem Monat 80 neue Leute aufgenommen. Es war das größte Startup der letzten Jahrzehnte, es herrschte eine unglaubliche Aufbruchstimmung. Bei One arbeiteten Menschen verschiedenster Nationalitäten. Es war ein sehr lustvolles Arbeiten, aber auch sehr fordernd und zehrend. Ich fing im September an und mein erster freier Tag war Allerheiligen.

Organisationsentwicklung und Corporate Management waren meine Aufgabenbereiche, nach zwei Jahren wurde ich Head of Marketing Business. Den gesamten Marktauftritt inklusive Produktentwicklung für Unternehmen anzuleiten, war natürlich eine tolle Erfahrung. Für mich schließt sich insofern nicht nur der Kreis von Bank zu Bank. Dieses Aufbauen, das Entwickeln und Umsetzen von neuen Projekten zieht sich durch mein Leben. Es ist kein Prozess definiert, es gibt keine Infrastruktur und keinen abgegrenzten Aufgabenbereich – das finde ich spannend.

(+) plus: Warum hat es Sie danach in den Sozialbereich gezogen?

Tschütscher: Ich war 40 und wollte mich neu orientieren. Alle Personalberater rieten mir zu einem Bankjob. Das kam für mich überhaupt nicht in Frage. Das Bankgeschäft hatte sich von der Kundenbetreuung immer mehr auf das Verhandeln von Konditionen reduziert, da ging es um die dritte Kommastelle. Zusätzlich sollte man möglichst viele Sparbücher oder Bausparverträge verkaufen. Ich habe etwas Sinnstiftendes gesucht. Außerdem hatte ich mir fest vorgenommen: In meinen nächsten Jobs will ich in Jeans ins Büro gehen können. Im Gesundheits- und Sozialbereich haben aber nicht sofort alle »Hier!« geschrien, schließlich fehlte mir Branchenerfahrung. Im Haus der Barmherzigkeit wurden gerade die Wirtschaftsbetriebe und die Küche in eine GmbH ausgegliedert. Ich wusste, das kann ich. Dass ich mit der kroatischen Chefin der Reinigungskräfte per du war, wurde aber von der Leitung nicht so gern gesehen.

Danach übernahm ich die Geschäftsführung des Vereins Dialog, der größten ambulanten Suchthilfeeinrichtung Österreichs. Wieder ganz andere Menschen – SozialarbeiterInnen, MedizinerInnen, PsychologInnen. Die hatten große Angst, dass da eine von Zahlen getriebene Betriebswirtschafterin kommt. Wir haben das aber gut hingekriegt. Ich habe Managementmethoden eingebracht und konnte soziale Kompetenzen vertiefen. 2008 wurde der Verein ISO-zertifiziert, die Akademie und neue Standorte gegründet. Darauf bin ich stolz.

(+) plus: Wie sind Sie zur Bank für Gemeinwohl gekommen?

Tschütscher: Nach acht Jahren suchte ich neue Herausforderungen. Ich war inzwischen fast 50 und wollte eine Pause einlegen. Dann haben mir unabhängig voneinander mehrere Bekannte von der Idee einer Bankengründung erzählt. Dort würde noch eine Projektleiterin gesucht. Ein ehemaliger Kollege kannte da jemanden, der schickte mir die Unterlagen. Als ich das Anforderungsprofil durchlas, dachte ich: »Das trifft ja alles genau auf mich zu.« Am Montag habe ich die Bewerbung abgeschickt, am Donnerstag kam ich zum Bewerbungsgespräch und am Freitag hatte ich den Job.

(+) plus: Kannten Sie die Idee einer Bank ohne Profitdenken schon länger?

Tschütscher: Ich hatte mich damit überhaupt nicht beschäftigt. Mir gefällt die Grundidee: Die Vermittlerrolle ist nämlich eigentlich die Aufgabe einer Bank. Es geht nicht um Gewinnmaximierung. In Österreich gab es bisher keine alternative Ethikbank und weltweit sind wir die einzige Bank, die rein aus der Kraft der Zivilgesellschaft gegründet werden soll. Ein solches Unternehmen von Null aufzubauen, reizt mich sehr. Dazu kommt der Gemeinsinn: Jeder von uns kann seinen Teil beitragen, damit sich etwas ändert. Ich habe hier die Bestätigung, etwas Sinnvolles zu tun, und kann hier alle wesentlichen Erfahrungen aus meinem Berufsleben einbringen.

(+) plus: Wie weit ist das Projekt inzwischen gediehen?

Tschütscher: Wir haben knapp 3.000 GenossenschafterInnen mit 2,1 Millionen Euro Kapital. Bis Jahresende möchten wir sechs Millionen erreichen und mit der FMA die Verhandlungen für die Banklizensierung starten. Wir wollen 2016 noch bekannter werden und haben eine ganze Reihe kreativer Ansätze entworfen. Die Resonanz ist jedenfalls sehr positiv. Mit 30.000 bis 40.000 Menschen ist es möglich, diese Bank zu gründen. Das ist in Relation zur Bevölkerung eigentlich gar nicht so viel. Wer eine Änderung im Finanzsystem möchte, muss unterzeichnen. Es sind nur 200 Euro pro Person nötig. Ich finde, das kann es einem schon wert sein.

(+) plus: Überrascht Sie der Zuspruch der Menschen?

Tschütscher: Der Vertrauensverlust in herkömmliche Banken ist sehr groß. Auch die Enttäuschung, dass deren Verluste nun  durch Steuergelder finanziert werden. Wir bieten dafür den richtigen Hebel: Die Genossenschaft agiert offen und transparent. Wir haben eine Gehaltsspanne von 1:5 festgelegt – das bedeutet, der Vorstand verdient maximal das Fünffache des Mitarbeiters mit dem niedrigsten Gehalt. Ich bekomme 4.500 Euro, das ist deutlich weniger, als ich früher verdient habe. Ich weiß aber auch: Das ist immer noch viel Geld. Es gibt abertausende Menschen in Österreich, die mit viel weniger auskommen müssen.

(+) plus: Die Sparer werden zu einem freiwilligen Zinsverzicht eingeladen, mit dem Geld finanziert die Bank gemeinwohlorientierte Projekte. Wird das funktionieren?

Tschütscher: Die Erfahrungen anderer Alternativbanken in Europa zeigen, dass ungefähr ein Drittel der Kundinnen und Kunden auf die Zinsen verzichten.

(+) plus: Wie gelingt es, die große Anfangseuphorie am Leben zu halten?

Tschütscher: Bei One habe ich das schon einmal ähnlich miterlebt. Mit einem gro-ßen Unterschied: Geld spielte keine Rolle, es war einfach vorhanden. Die Strategie lautete anfangs: eine Million Kunden. Von der Telefonistin über den Techniker bis zum ­Marketing hatten alle dieses Ziel verinnerlicht.

Unsere Motivation ist jetzt: Wir wollen eine Bank gründen. Das ist ein sehr ambitionierter Plan. Neun Personen sind angestellt, viele arbeiten ehrenamtlich mit. Das schafft man nur mit einem klaren Ziel,  Offenheit und Wertschätzung. Allen, die hier ihre Zeit einbringen, ist das hoch anzurechnen. Was uns hilft, ist Soziokratie, eine neue Art der Unternehmensführung auf Augenhöhe. Wir haben vier Arbeitskreise, die Sitzungen laufen mit einer klaren Agenda. Ich merke an mir selbst, dass ich dadurch inhaltlich viel konzentrierter bin. Die Besprechungen sind strukturiert und jeder, der möchte, kann zu Wort kommen. Die Entscheidungen werden nicht vom Vorstand allein, sondern immer gemeinsam getroffen.

(+) plus: Sind die Diskussionen in den Projektteams manchmal auch ermüdend?

Tschütscher: Eigentlich nicht. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter kommen zu den Sitzungen manchmal recht abgehetzt direkt von ihrem Job. Und obwohl wir in den drei Stunden sehr intensiv arbeiten, gehen sie nachher energiegeladener hinaus. Das ist wirklich faszinierend. Die Arbeit hier ist eine Energiequelle.

(+) plus: Frauen haben meist eine weniger lineare Erwerbsbiografie als Männer. War das in Ihrem Fall auch ein Nachteil?

Tschütscher: Ich hatte nicht den großen Karriereplan. Wenn man offen ist, findet sich schon der nächste passende Schritt. Ich sehe meinen Lebensweg aber auch als Privileg. Es hätte durchaus einmal irgendwo eine Abzweigung ins Abseits geben können. Bei One dachte ich: Das ist der lässigste Job, den ich je hatte. Trotzdem gab es noch bei Dialog und jetzt hier eine Steigerung.

(+) plus: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Tschütscher: Da bin ich dann die Vorständin der Genossenschaft. Wir haben 40.000 KundInnen und schon viele gemeinwohlorientierte Unternehmen und Projekte ermöglicht. Aber jetzt bauen wir erst mal die Bank auf.

Zur Person

Christine Tschütscher, Jahrgang 1962, studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Innsbruck. Sie begann zunächst im Vertrieb von Rank Xerox und arbeitete dann als Firmenkundenberaterin bei der Erste Bank und der Schoellerbank. Danach war Tschütscher fünf Jahre als Projektmanagerin beim Mobilfunker One tätig. Nach einer Ausbildung für Systemisches Coaching wechselte sie Anfang 2005 als Geschäftsführerin der Wirtschaftsbetriebe GmbH zum Haus der Barmherzigkeit. Von 2006 bis 2014 leitete sie den Verein Dialog, die größte Suchthilfeeinrichtung Österreichs. Im November 2014 wurde Tschütscher Projektleiterin der Bank für Gemeinwohl, deren Vorständin sie seit Jänner 2015 ist.

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