Das Internet der Dinge, Dienste und Menschen. Hinter dem Schlagwort Industrie 4.0 steckt das Potenzial für neue Dienste und Geschäftsmodelle. Flexibilität, Effizienz und Produktivität werden auf der Basis vernetzter Systeme steigen, wodurch Vorteile realisierbar sind, die im globalen Wettbewerb von entscheidender Bedeutung sein werden.
Von Thomas Makrandreou, ABB
Anders als bei der Erfindung der Dampfmaschine, der Einführung von Fließbandarbeit und Massenproduktion mittels elektrischer Energie oder der Verwendung von speicherprogrammierbaren Steuerungen als Schritt zur dritten industriellen Revolution lässt sich der bevorstehende Wandel in der industriellen Fertigung nicht an nur einem Innovationsschritt festmachen. Deshalb kann weniger von einer Revolution, als vielmehr von einer Evolution gesprochen werden, von der wir heute bereits erste Schritte auf der Reise zur Ausschöpfung der Möglichkeiten von Technologien gemacht haben, die sich sehr rasant weiterentwickeln und deren Potenzial wir deshalb nur erahnen können. Das Tempo ist dabei von Branche zu Branche unterschiedlich, wobei etwa die Automobilindustrie bereits einen sehr hohen Automatisierungsgrad aufweist und Technologien, die heute Industrie 4.0 zugerechnet werden, zum Teil schon integriert hat.
Zusammenwachsen von Technik
Wir befinden uns also erst relativ am Anfang eines Prozesses, dessen volle Ausprägung sich aus heutiger Sicht nur in groben Zügen vorhersehen lässt. Der wichtigste Meilenstein wird dabei darin liegen, ein herstellerübergreifendes Zusammenwachsen moderner Informationstechnik mit klassischen industriellen Prozessen zu erzielen, wodurch reale Produktionsmittel mit z.B. Webanbindung direkt miteinander interagieren können. Durch flexiblere Produktionsmöglichkeiten kann dadurch die Auslastung gesteigert werden, während gleichzeitig individuellere Fertigungsmöglichkeiten realisiert werden können. Benutzerfreundliche Bedienkonzepte, zielgerichteter Service und Energieeinsparungspotenziale sind Kernthemen dieser Entwicklung, die in Summe eine signifikante Produktivitätssteigerung ermöglicht. Bei ABB sprechen wir vom Internet der Dinge, Dienste und Menschen und wollen damit einer umfassenderen Betrachtung dieses Themas gerecht werden. Dinge, im Sinne von z.B. Maschinen, Robotern, Sensoren, Steuerungen und Software sind bereits seit langer Zeit ein integrativer Bestandteil von Fertigungsprozessen und damit essentieller Bestandteil bzw. Voraussetzung für die Umsetzung von »Industrial Internet« bzw. Industrie 4.0. Erst durch die Kombination mit Technologien aus Bereichen wie Mobile Communication oder Cloud Computing, welche die Kommunikation zwischen Produktionskomponenten ermöglichen, wird der Weg zu neuen Lösungen geebnet. Ein wesentlicher Baustein dieses Konzepts sind sogenannte cyber-physische Systeme, die virtuellen Abbildern von realen Objekten entsprechen. Am Beispiel von Tankstellen-Apps lässt sich dies veranschaulichen: Jede Tankstelle existiert auch als virtuelles Objekt, das etwa Echtzeitpreisinformationen an Apps übermittelt, mit denen der User mit seinem Mobile Device die für ihn günstigste Tankstelle ansteuern kann. Neu daran sind dabei nicht die Technologien, sondern die Kombination dieser unter dem Einbezug mehrerer Systeme und Akteure. Virtuelles Engineering und virtuelle Inbetriebnahmen wären relevante industrielle Nutzungsmöglichkeiten, die signifikante Zeit-und Kosteneinsparungen ermöglichen und beispielsweise bei ABB zum Teil schon heute verwendet werden.
Analyse von Daten
Dienste, vor allem im Bereich der Datenanalyse, die durch die drastisch steigenden Datenmengen immer umfassendere Möglichkeiten bieten werden, können eine wertvolle Basis für Handlungs- und Optimierungsempfehlungen liefern. Im industriellen Kontext könnten zum Beispiel die Messdaten eines Sensors für die Öltemperatur mit Analysedaten des Herstellers und Erfahrungsdaten aus gleichen Maschinen bei anderen Unternehmen verglichen werden, um einem Servicetechniker in Echtzeit treffsichere Prognosen für präventive Wartungsmaßnahmen zu geben, die service-oder gar schadensbedingte Ausfälle verhindern können. Dabei werden die Herausforderungen, welche die »Big Data«-Thematik mit sich bringt, wie Datenstrukturen, User-Verwaltungen, Datenmengen etc., zu meistern sein. Durch den Einsatz von beispielsweise Datenbrillen oder Apps für mobile Geräte können Daten und relevante Informationen bei z.B. Serviceeinsätzen oder Inbetriebnahmen optimal zur Verfügung gestellt werden.
Rolle für den Menschen
Der Mensch wird auch bei diesen Entwicklungen die zentrale Rolle in solchen Systemen innehaben und die Prozesse definieren, programmieren und überwachen. Wir werden also nach wie vor die Entscheidungskompetenz haben, dabei aber durch Technologien wie zum Beispiel Augmented-Reality-Brillen, Datenanalyse-Tools etc. unterstützt werden. Monotone und repetitive Aufgaben werden dadurch zunehmend automatisiert und Menschen durch zielgerichtete Echtzeitinformationen besser in Abläufe eingebunden. Wie bei allen vorangegangenen industriellen Revolutionen auch, werden sich in den relevanten Branchen schrittweise die Anforderungen an Aus- und Weiterbildung und an die entsprechenden Jobprofile anpassen. Auch an das Thema Sicherheit, einerseits natürlich der Menschen in den Produktionsanlagen, andererseits bezüglich der zunehmend größer werdenden Datenmengen und entsprechend notwendiger Schnittstellen, deren Definition erst relativ im Anfang steht, die aber ein zentrales Element dieser Entwicklung darstellen, werden zukünftig noch wesentlich höhere Anforderungen gestellt werden. Für Österreich und Europa bedeuten diese Entwicklungen eine Möglichkeit, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Um diese Chance nutzen zu können, müssen allerdings schon jetzt die notwendigen Vorbereitungen getroffen werden, wie etwa Anpassungen im Schul- und Bildungswesen und die Einführung entsprechender Standards, die eine herstellerübergreifende Kompatibilität, Datenverarbeitung etc. ermöglichen und damit letztlich auch Investitionssicherheit bieten.
Faktor für Wettbewerb
Die Studie »Industrie 4.0 – The new industrial revolution – how Europe will succeed« von Roland Berger geht davon aus, dass Europa durch den steigenden Einsatz von Automatisierungstechnologien im globalen Wettbewerb profitieren kann. Um die entsprechenden Potenziale zu realisieren, wären dazu innerhalb der nächsten 15 Jahre Investitionen in der Höhe von 1350 Milliarden Euro erforderlich, die sicher auch positiv zur Belebung der Wirtschaft im Allgemeinen beitragen würden. Der technologische Fortschritt ist unaufhaltsam. Es bleibt zu hoffen, dass Österreich und Europa es schaffen, diesen für uns rechtzeitig als Chance zu erkennen, um davon zu profitieren. Unternehmen wie ABB forschen sehr aktiv an Lösungen und entwickeln Produkte und Systeme, welche die Nutzung der Vorteile von intelligenten Automatisierungstechnologien heute und in Zukunft ermöglichen und damit wichtige Bausteine auf diesem Weg zur Verfügung stellen.