Sonntag, Dezember 22, 2024

Um das neue Geschäftsmodell der E-Wirtschaft ging es bei der EURELECTRICJahreskonferenz in Berlin.

Von Klaus Fischer

Es sind nicht eben die amüsantesten Zeiten für die europäische Elektrizitätswirtschaft, in denen Antonio Mexia, Vorstandsvorsitzender des portugiesischen Stromund Erdgaskonzerns Energias de Portugal (EDP), die Präsidentschaft des Branchenverbandes EURELECTRIC übernommen hat. Wie er anlässlich seiner Wahl bei der EURELECTRICJahreskonferenz in Berlin Anfang Juni betonte, findet derzeit bekanntlich eine veritable »Revolution« in der Energiewirtschaft statt: »Das Energiesystem der Zukunft wird völlig anders aussehen als das bisherige.« Entsprechend radikal müsse sich das Geschäftsmodell der Branche ändern. Statt sich auf die Stromerzeugung und den Stromverkauf zu konzentrieren, hätten die Energieversorger ihre Kunden weitaus stärker als je zuvor ins Zentrum ihres Agierens zu rücken, deren Bedürfnisse gleichsam im Voraus zu erahnen und ihnen »maßgeschneiderte Lösungen« anzubieten. Und das sei »keineswegs nur als Schlagwort zu verstehen. Es geht um eine grundlegend neue Herangehensweise. Der Kunde wird der König sein, und wir müssen ihm folgen«, stellte Mexia gegenüber dem Energie Report fest. Einfach, billig und fair müssten die neuen Leistungen der E-Wirtschaft für ihre Kunden sein. Wie das zu verstehen ist, erläuterte E.On-Chef Johannes Teyssen, Mexias Vorgänger als EURELECTRIC-Präsident. Die traditionelle Wertschöpfungskette der EWirtschaft zerbreche, »der ausschließliche Verkauf von Kilowattstunden funktioniert nicht mehr.« Gefragt seien vielmehr Dienstleistungen bis zu umfassendem Energiemanagement. Umso mehr rücke der Umgang mit großen Mengen an Kundendaten in den Mittelpunkt: »Diesen professionell zu bewerkstelligen, wird das wichtigste Glied unserer künftigen Wertschöpfungskette sein.« Ähnlich argumentierte Verbund-Generaldirektor Wolfgang Anzengruber. Ihm zufolge ändern sich die Beziehungen der Energieversorger zu ihren Kunden grundlegend: »Wir sind schon jetzt nicht mehr bloße Stromlieferanten, sondern wandeln uns zu Energie-Providern, die den Kunden, gerade auch in Industrie und Gewerbe, Lösungen für alle ihre Fragen im Zusammenhang mit Energie bieten.« Maßgebliche Bedeutung komme dabei Themenfeldern wie Energieeffizienz zu.

Neutrale Stelle

Eine zentrale Rolle als »Market Facilitators « sollen nach Ansicht der E-Wirtschaft künftig die Verteilnetzbetreiber (DSOs) spielen. Ohne zuverlässigen Netzbetrieb könne der Strommarkt nun einmal nicht funktionieren. Außerdem seien die DSOs geradezu prädestiniert dazu, allen Anbietern die Verbrauchsdaten der Kunden zur Verfügung zu stellen, wenn diese das wünschen. Skeptisch äußerte sich dazu indessen Alberto Pototschnig, der Direktor der Agentur der europäischen Regulierungsbehörden (ACER): »Diese Daten sollten bei einer neutralen Stelle liegen. Es ist wichtig, dass niemand ihre Verfügbarkeit als Wettbewerbsvorteil nutzen kann.« EWirtschafts- Vertreter quittierten dies mit dem Hinweis, die Regulatoren selbst hätten mittels Unbundling für die Trennung des Netzbetriebs vom Energieverkauf gesorgt. »Eine neutralere Stelle als ein DSO dürfte daher wohl nur schwer zu finden sein«, konstatierte etwa EURELECTRICGeneralsekretär Hans ten Berge.

Kognitive Systeme

Entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg von Energieunternehmen wird künftig das Management großer Mengen an Informationen über die Kunden sein, betonte Richard Klatovsky, Global Vice President, Energy & Utilities von IBM. Dabei gehe es nicht nur um die Daten hinsichtlich des Energieverbrauchs und dessen Struktur, sondern um grundsätzlich alle Informationen über die Kunden, über die ein Energieunternehmen verfügt, egal, in welcher Form diese vorliegen. Diese Daten müssten mit »kognitiven Systemen « auf Basis künstlicher Intelligenz analysiert werden, um neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln zu können, erläuterte Klatovsky. Die Kunden seien ihrerseits immer besser informiert und würden daher immer anspruchsvoller. Folglich müssten die Energieunternehmen ihre Geschäftsmodelle entsprechend modifizieren. »Die Erfahrungen, die die Kunden mit ihren bisherigen Energieversorgern gemacht haben, prägen das Minimum an Erwartungen, die sie für die Zukunft haben. Das heißt, sämtliche Mitarbeiter der Energieversorger müssen wie die besten Experten der Branche agieren«, konstatierte Klatovsky. Genau dies ermöglichen ihm zufolge kognitive Systeme. Diese analysieren ihnen gestellte Fragen und erstellen auf der Grundlage aller ihnen zur Verfügung stehenden Informationen optimierte Vorschläge für deren Beantwortung. So könnten die Mitarbeiter eines Energieunternehmens einen spezifischen Kunden hinsichtlich eines konkreten Anliegens stets bestmöglich beraten, versicherte der IBM-Manager. Er geht davon aus, dass kognitive Systeme schon innerhalb der kommenden fünf Jahre in der Energiewirtschaft zum Einsatz gelangen werden.

Traditionelle Aufgaben

Jenseits der neuen Geschäftsmodelle werden die Energieunternehmen allerdings auch weiterhin ihre traditionellen Aufgaben wahrzunehmen haben, darunter keineswegs zuletzt die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, argumentierte Oliver Schäfer, der Präsident der European Photovoltaic Industry Association (EPIA). Zwar lasse sich die Stromerzeugung von Photovoltaikanlagen immer besser prognostizieren. Doch bleibe auch in Zukunft das Bereitstellen von Ausgleichsenergie und das Vorhalten entsprechender sicher verfügbarer Leistung, gerade auch durch hochflexible thermische Kraftwerke, schlechterdings unverzichtbar: »Das ist die große Stärke der traditionellen Versorger. Sie werden auch weiterhin eine entscheidende Rolle für das Funktionieren der Energieversorgung spielen.« Ihr »Verschwinden « aus dem Markt wäre daher aus Sicht der Ökostromerzeuger alles andere als wünschenswert, betonte Schäfer.

Verstärkte Zusammenarbeit

Am Rande der EURELECTRICJahreskonferenz in Berlin schlossen der österreichische E-Wirtschaftsverband Oesterreichs Energie und der deutsche Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ihre »Kooperationserklärung Oesterreichs Energie – BDEW«. Sie dient dazu, die seit langem bestehende Zusammenarbeit zu vertiefen. Zu den wichtigsten inhaltlichen Punkten gehören die Aufrechterhaltung der gemeinsamen deutsch-österreichischen Preiszone im Stromgroßhandel, bessere Förderungen für Kraft-Wärme-Kopplungen (KWK), die schrittweise Integration der erneuerbaren Energien in den Markt sowie die Stromnetze sowie das Eintreten für die Vollendung des europäischen Energie-Binnenmarktes. Bei einer Pressekonferenz anlässlich der Unterzeichnung des Abkommens übte der Präsident von Oesterreichs Energie, Wolfgang Anzengruber, Kritik an Überlegungen, die deutsch-österreichische Preiszone aufzulösen: »Das wäre ein Rückschritt in vorliberalisierte Zeiten. Die Verkleinerung von Märkten ist genau das Gegenteil dessen, was die E  will und was wir wollen.« Auch laut BDEW-Präsident Johannes Kempmann sind »grenzüberschreitende Kooperationen«, gerade auch in Form der gemeinsamen Preiszone, notwendig, um die klima- sowie energiepolitischen Ziele der EU zu erreichen. Für die Vorsitzende  der Hauptgeschäftsführung des BDEW, Hildegard Müller, ist die gemeinsame Preiszone ein »Vorbild für den gesamteuropäischen Binnenmarkt«. Laut Barbara Schmidt, der Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, wollen die Verbände in Zukunft auch im europäischen Branchenverband EURELECTRIC vermehrt gemeinsam auftreten. Vereinbarungen ähnlich der mit Oesterreichs Energie hat der BDEW bereits mit anderen E-Wirtschaftsverbänden geschlossen, etwa mit denen der Niederlande und Frankreichs. In der seit 2013 bestehenden Energieinitiative der Alpenländer arbeiten Oesterreichs Energie und der BDEW mit dem Schweizer E-Wirtschaftsverband VSE zusammen. Schwerpunkt der Initiative ist die Abstimmung im Bereich Pumpspeicher.

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