Für die Energiewende sind alle Wissenschaftsdisziplinen gefordert. Eine entsprechende Plattform bietet die neue internationale Konferenz rund um erneuerbare Energien, Energieeffizienz sowie Energiesysteme EST.
Von Karin Legat aus Karlsruhe
Die Energiewende zeigt Parallelen zum Apollo-Projekt. »Wie für die erste bemannte Mondlandung bedarf es der Expertisen vieler Disziplinen entlang der wissenschaftlichen Wertschöpfungskette«, betonte Wolfgang Breh, Geschäftsführer des KIT-Zentrums Energie, anlässlich der Premiere der EST. 1960 hatte US-Präsident John F. Kennedy die Mondlandung innerhalb eines Jahrzehnts angekündigt. 1969 haben Neil Armstrong und Edwin Aldrin tatsächlich ihren Fuß auf den Mond gesetzt. Heute bildet laut KIT die Energiefrage das jüngste ApolloProjekt. »Zwar ist mehr Zeit eingeplant, wir arbeiten aber am offenen Herzen. Das Energiesystem der hochindustrialisierten Gesellschaft wird im laufenden Betrieb umgebaut. Es muss jede Sekunde zuverlässig laufen«, betont der Geschäftsführer. Der Schlüssel für den Erfolg liegt für ihn in der Forschung.
Wissenschaft ...
Energieforschung ist zentral, somit war die Ausrichtung der EST klar. Die Konferenz muss laut Breh den Austausch über Disziplingrenzen hinweg fördern, den aktuellen Stand der interdisziplinären Forschung kommunizieren wie auch kommende Innovationen der Ener giewirtschaft vorstellen – von Geothermie und Solarzellen über Batterien und Biotreibstoffen bis zu Stromnetzen und Leichtbau. Die EST informierte via wissenschaftlicher Poster, Exponate und Exkursionen – zentraler Kern waren über 50 Themensessions. Referenten aus rund 40 Ländern sprachen über Speicher und Grids, intelligente Energienetzwerke, meteorologische Aspekte von Windenergie-Konversion, Solarwasserstofferzeugung, thermische und chemische Energiespeicher sowie energieeffiziente Verarbeitung von Faserverbundwerkstoffen.
... und Praxis
Bei der Theorie blieb es nicht – eine parallel laufende Messe bot Einblick in die gelebte Praxis. Am KIT-Stand sprach Wolfgang Breh begeistert von zwei aktuellen KIT-Projekten: der organischen PV und der Tiefen-Geothermie. »PV basiert heute fast ausschließlich auf Silizium. Das ist zwar sehr effizient, aber durch den hohen energetischen Aufwand sehr teuer. Wir arbeiten an einer PV, die auf organischen Flüssigkeiten beruht und wie eine Zeitung gedruckt werden kann.« Damit eignet sie sich ebenso für ebene wie gebogene Flächen – Fassaden wie auch Kuppeln. Die Möglichkeit der nahezu vollständigen Transparenz eröffnet die PV-Fläche Fenster. Ein Ziel sind auch semitransparente Autodächer. Es gibt aber noch große Herausforderungen wie Effizienz und Lebensdauer. Der Wirkungsgrad der organischen PV liegt erst bei 9 Prozent gegenüber 18 von kristalliner, die Lebensdauer bei drei bis vier Jahren im Vergleich zu 20. Der finanzielle Aufwand ist zwar deutlich geringer, aber es entscheidet auch der Arbeitsaufwand. Die beiden Technologien – kristallin und organisch – zu verbinden, ist laut Breh schwierig. Eine alternative Lösung sieht das KIT im mehrschichtigen Aufbau. »Tandem-Photovoltaikzellen mit zwei nicht absorbierenden Schichten haben einen höheren Wirkungsgrad«, zeigt er auf. Jede Technologie brauche allerdings ihre Zeit. An der klassischen PV wurde 30 Jahre gearbeitet. In der Nutzung der tiefen Geothermie sieht der KIT-Manager ein zweites zentrales Energieprojekt. Bisher wurde in große Tiefen gebohrt, um das dort vorhandene heiße Wasser zu nutzen. Das KIT-Konzept zielt darauf ab, in Tiefen zwischen 3.000 und 5.000 m eigene Wegsamkeiten für das Wasser zu schaffen. Diese sind dort kaum vorhanden, allerdings für die Nutzung der Geothermie erforderlich. »Wir pressen Wasser mit hohem Druck gemeinsam mit Sand in den Untergrund und brechen das Gestein auf«, erklärt Breh das Prinzip von Hydraulic Fracturing. Die Folge sind jedoch kleine Erdbeben. Hier muss noch intensiv Forschung betrieben werden, um das Gesamtsystem im Untergrund besser zu verstehen. Hinsichtlich Energieeffizienz wird bei KIT unter anderem ein neues Herstellungsverfahren für Zement angesprochen. Das hört sich laut Breh unspektakulär an. »Die Produktion von Zement bildet jedoch 6,5 Prozent des weltweit von Menschen freigesetzten CO 2 .« Beim KIT-Verfahren werden Energieverbrauch und CO 2 -Ausstoß halbiert. Derzeit läuft ein Pilotprojekt mit einem deutschen Zementproduzenten. Zudem wurde eine eigene Gesellschaft gegründet: Ce-lite-ment. Ein Blickfang war der Messestand von Total. Als großer Modellbaukasten wurde die Multi-Energie-Tankstelle Schönefeld BER vorgestellt. Die Tankstelle der Zukunft bietet Energieträger für die verschiedensten Mobilitätsformen, von Kraftstoffen auf Mineralölbasis bis zu Erdgas und E-Ladestationen und nutzt erneuerbare Energie aus einem Windpark sowie einer PV-Anlage. Mobility war auch das Thema bei CEP, der Clean Energy Partnership. Hier ist das Ziel, die Alltagstauglichkeit von Wasserstoff als Kraftstoff zu erproben. Im Mittelpunkt stehen Produktion und Speicherung von Wasserstoff. Seit 2011 konzentriert sich die CEP verstärkt auf die CO 2 -neutrale Wasserstoffproduktion per Wasserelektrolyse mit Energie aus regenerativen Quellen und auf die Herstellung von Wasserstoff aus Biomasse. Die Speicherung erfolgt gasförmig unter hohem Druck sowie als tiefkalter, flüssiger Wasserstoff (-253 Grad). 3M präsentierte seine Novec High-Tech-Flüssigkeiten, die für die Kühlung elektrischer und elektronischer Geräte, für Temperaturschockprüfungen und für die Präzisionsreinigung von Leiterplatten geeignet sind. Metrohm stellte das Solar Cell Package zur Untersuchung elektro- und photoelektrochemischer Vorgänge in Farbstoffsolarzellen und organischen Solarzellen vor. Die Langzeitspeicherung solarer Wärme auf Basis der Adsorption von Wasserdampf in den Poren von Silikagel war ein Thema bei Fraunhofer. Energie braucht Know-how. Dazu war das KIT HoC Zentrum für mediales Lernen mit seinem Blended-Learning-Konzept vor Ort. Webbasierte Lernplattformen, Online-Meetings und wenige Präsenzveranstaltungen schaffen Ortsungebundenheit. Damit zählt das KIT auch Teilnehmer aus Österreich, Spanien und Ungarn.
2016?
Wer die EST nächstes Jahr besuchen will, muss sich noch etwas gedulden. Wolfgang Breh: »Die EST ist die Erste ihrer Art. Heuer hatten wir 600 Besucher. Wir müssen analysieren, wie gut das Konzept angekommen ist. Vorstellbar ist ihre Durchführung alle zwei oder drei Jahre. Die EST ist eine wichtige Veranstaltung und es sind die richtigen Themen.«