Vor den Färöerinseln macht eine neue Technologie Ebbe und Flut zur Quelle erneuerbarer Energie. Eine Innovation mit großer Zukunft.
Die Macht des Tidenhubs, also der gewaltigen Energie, die durch das Strömen großer Wassermassen bei Ebbe und Flut freigesetzt wird, wird schon lange zur Stromerzeugung genutzt. Schon vor Jahrhunderten nutzten Menschen in Küstenregionen Europas und Nordamerikas etwa von der Flut befüllte Wasserreservoirs zur Betreibung von Getreidemühlen.
Auch Gezeitenkraftwerke zur Stromherstellung gibt es schon lange, mit recht unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien. Die klassischen Kraftwerkstypen in Staudamm- oder Lagunenbauweise haben jedoch mehrere Nachteile: Zum einen ist ihre Errichtung schwierig, teuer und ökologisch problematisch, zum anderen ist ihr Einsatz auf nur wenige geografisch günstige Standorte beschränkt. Aus diesen Gründen richtet sich das Augenmerk der Ingenieur*innen seit einiger Zeit auf In-Flow-Gezeitenkraftwerke, bei denen die Turbinen in durch Ebbe und Flut bewirkte Unterwasserströmungen angebracht werden.
Unterwasserdrachen
Seit der Errichtung des weltweit ersten derartigen Unterwasserkraftwerks 2003 im norwegischen Hammerfest hat sich die Technologie rasant weiterentwickelt. Vor kurzem ist nun vor den Färöerinseln im Nordatlantik eine vielversprechende neue Generation an Meeresströmungskraftwerken in Betrieb gegangen. Der 2007 vom schwedischen Saab-Konzern gegründete »marine energy technology developer« Minesto hat bereits 2020 einen 100-kW-Prototypen im dortigen Vestmannasund installiert und sukzessive vergrößert.
Die aktuelle Turbinengeneration namens Dragon 12 hat ganz schön Power: Mit einem Gewicht von 28 Tonnen und einer Breite von zwölf Metern liefert die an einer Unterwasserverankerung in der Gezeitenströmung schwebende Turbine mit breiten Tragflächen 1,2 MW Leistung. Die Innovation der Turbine liegt in ihrer Beweglichkeit, die den Durchfluss des Wassers drastisch erhöht: Der Unterwasserdrache manövriert selbsttätig in Form einer liegenden Acht im Gezeitenstrom und erhöht so die Durchflussgeschwindigkeit und Turbinenleistung. Im Unterschied zu älteren Technologien ermöglicht das auch die gewinnbringende Installation in Gebieten mit geringerer Meeresströmung.
Vielversprechender Meilenstein
Die Wortverwirrung im Deutschen ist übrigens Zufall: Der mythische Drache ist Namensgeber, vom Flugspielzeug Drachen stammt das Prinzip des Auftriebs, dem die Turbine ihre Beweglichkeit im Wasser verdankt. Anfang Oktober 2024 wurden nun ambitionierte Ausbaupläne der Hestfjord Dragon Farm angekündigt: Begleitet von Ernst & Young als Profis auf dem Gebiet der Investoren- und industriellen Partnersuche macht sich Minesto daran, eine vorerst 10 MW leistungsstarke Anordnung von Dragon-12-Turbinen zu verwirklichen, die geplant bis zu 200 MW an Gezeitenenergie liefern sollen. Der Unterwasserdrache ist somit ein weiterer vielversprechender Meilenstein auf dem Weg zur Zukunft erneuerbarer Energie.