Montag, Dezember 23, 2024

Als Sabine Haag vor sechs Jahren überraschend zur Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums Wien bestellt wurde, waren viele skeptisch, ob sie diese Aufgabe bewältigen könne. Spätestens seit der imposanten Neueröffnung der Kunstkammer ist die Kritik verstummt. Über das Museum als lebendige Forschungsstätte erzählt sie im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: Derzeit läuft die Dokumentation »Das große Museum« erfolgreich im Kino. Was sehr schön darin zu sehen ist: Alle Mitarbeiter brennen für ihr jeweiliges Fachgebiet voller Leidenschaft. Braucht es diese Begeisterung, um hier zu arbeiten?
Sabine Haag: Ich kann das sehr gut an meiner eigenen Person aufhängen. Inzwischen bin ich seit 25 Jahren hier im Haus und meine Begeisterung ist ungebrochen. Ich empfinde es als Privileg, hier mit diesen Objekten arbeiten zu dürfen. Man muss sich das vorstellen: Unsere Reichskrone ist tatsächlich die Krone, die die Herrscher bei der Krönung getragen haben. Diese Nähe zu historisch bedeutenden Dingen ist schon etwas ganz Außergewöhnliches. Die meisten Mitarbeiter, wenn nicht überhaupt alle, verspüren diese enorme Hingabe und Verbundenheit zu ihrer Arbeit. Die finanzielle Abgeltung ist sicher nicht entscheidend.

(+) plus: Ihr Vorgänger Wilfried Seipel sagte, er hätte diese Dreharbeiten niemals erlaubt. Warum waren Sie dazu bereit und haben dem Regisseur auch noch völlig freie Hand gelassen?
Haag: Als der Regisseur Johannes Holzhausen vor vier Jahren mit der Idee zu mir kam, war ich von Anfang an sehr offen und begeistert. Ich fand es schön, dass er hinter die Kulissen schauen wollte, um das Zusammenspiel der Mitarbeiter in ihren unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen zu zeigen. Ich habe darin auch eine große Chance gesehen. Wenn wir unser Haus als unverzichtbaren Teil der Gesellschaft verstehen, ist der Film ein sehr schönes Mittel, um für unsere Arbeit Verständnis zu erwirken. Es ist ein gewisses Risiko, sich zu öffnen und das Schicksal in die Hände des Regisseurs zu legen. Aber wer nicht wagt, gewinnt nicht. Dass mein Vorgänger das nicht gemacht hätte, ist okay. Ich hab’s gemacht.

(+) plus: Auch ein Museum muss im Prinzip wie ein Unternehmen geführt werden. Ist der Spagat zwischen budgetären Vorgaben und wissenschaftlichen Ansprüchen manchmal sehr groß?
Haag: Früher waren Museen hermetische Orte der Bildung, die scheinbar nur für einen sehr kleinen Kreis attraktiv waren. Heute wird Kunstvermittlung zu einem breiten Publikum als Auftrag und Verantwortung verstanden. Wir sind gleichzeitig eine große außeruniversitäre Forschungseinrichtung. Die Forschung an den Objekten ist die Voraussetzung für jene Inhalte, die wir nach außen vermitteln – ohne Objekte keine Forschung, ohne Forschung keine Vermittlung. Die Objekte gehören zum Vermögen der Republik und wir sind dazu angehalten, sie bestmöglich zu verwahren und das Wissen darüber auch für künftige Generationen zugänglich zu machen: Warum wurden diese Objekte geschaffen? Was haben sie mit unserer Identität und unserer Geschichte zu tun? Die Basisabgeltung des Bundes macht ca. zwei Drittel unseres Gesamtbudgets aus und gibt uns Planungssicherheit. Sie wird allerdings nicht an den Index angepasst und bleibt daher immer gleich, während uns Gehaltssteigerungen gesetzlich vorgegeben werden. Es ist klar, dass hier eine Schere entsteht.

(+) plus: Ihr Aufgabengebiet umfasst neben dem Bewahren, Präsentieren und Forschen auch das Sammeln. Können Sie diese Aufgabe hinsichtlich der finanziellen Grenzen adäquat erfüllen?
Haag: Der Spielraum ist sehr überschaubar. Es liegt in unserem Ermessen, wie viel wir von unserem Gesamtbudget für die Sammlungserweiterung reservieren. Für einen Museumskomplex wie unseren ist das ein beschämend kleiner Anteil. Historische Fotografien oder einen Nachlass für das Theatermuseum kann man relativ schnell und unproblematisch kaufen, weil das vergleichsweise erschwinglich ist. Substanzielle Ankäufe für die Gemäldegalerie oder große, teure Objekte sind aber nicht möglich. Bei Versteigerungen können wir eigentlich nur mit externer Finanzierung durch Mäzene und unseren Freundesverein tätig werden. Manche Sammlungen, etwa die Hofjagd- und Rüstkammer oder die Schatzkammer, sind in ihren Beständen abgeschlossen. Da gibt es kaum Objekte, wo ein Zukauf sinnvoll wäre. In anderen Bereichen ist es allerdings sehr schmerzhaft. Diese Problematik betrifft aber sämtliche Bundesmuseen. Eine Lösung wäre die Gründung eines Nationalfonds, aus dem Ankäufe für alle Museen ermöglicht werden.

(+) plus: In Ihrem Haus forschen hochspezialisierte Experten in ihren Fachbereichen. Wollen Sie diese Rolle des KHM in der Öffentlichkeit stärker sichtbar machen?
Haag: Ihre Frage macht mir deutlich, dass wir noch nicht gut genug nach außen zeigen, was wir im Bereich der Forschung leisten. Wissenschaft sichtbar zu machen, braucht Offenheit und Sensibilität, aber auch die Bereitschaft der Medien. An dieser Wechselwirkung arbeiten wir sehr intensiv. Die Kuratoren, die Forscher, die Sammlungsdirektoren und auch ich selbst bieten  Führungen zu unseren Spezialthemen an. Jährlich veranstalten wir eine Konferenz unter dem Titel »Nahaufnahme«, wo Forschungsprojekte nicht nur innerhalb der Community vorgestellt werden. Für uns ist die intensive Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen und internationalen Fachkollegen selbstverständlich, darüber wissen aber nur wenige Menschen Bescheid. Es wird in Zukunft noch viel stärker notwendig sein, unsere hochspezialisierte Forschung auf unterschiedliche Weise zu kommunizieren. Man kann komplexe Inhalte mit einer klaren, nicht-wissenschaftlichen Sprache durchaus an eine breite Öffentlichkeit transportieren. Besondere Renner bei den Präsentationen sind immer die technologischen Aspekte. Wenn unsere Restauratoren zeigen, welche Untersuchungen und Arbeiten notwendig waren, damit Kunstwerke wieder ausgestellt werden können, also sozusagen das nicht sichtbare Innenleben erklären, wird das vom Publikum dankbar aufgenommen.

(+) plus: Was ausgestellt wird, ist tatsächlich nur ein Bruchteil der Schätze, die im Depot lagern. Trotz des wissenschaftlichen Zugangs – ist es nicht auch schade, dass diese Stücke niemand von außerhalb zu sehen bekommt?
Haag: Ich möchte aufräumen mit dem Mythos der vollen Keller, in denen unentdeckte Schätze lagern. Wir wissen sehr genau über jedes der drei Millionen Objekte in unserem Inventarbestand Bescheid. Es liegt in der Verantwortung jedes Sammlungsdirektors, mit welchen Kunstwerken die Sammlung bestmöglich vertreten wird. Die Maxime lautet: Weniger ist mehr. Wir bemühen uns, die schönsten, die bedeutendsten und aussagekräftigsten Objekte zu zeigen. Die Ikonen des Hauses – unsere Bruegels, die Insignien in der Schatzkammer, die Gemma Augustea in der Antikensammlung oder die Saliera in der Kunstkammer – werden deshalb auch nicht verliehen.

(+) plus: Ist das Verleihen ein wichtiger Geschäftszweig für Museen?
Haag: Das Geschäftsmodell Ausstellungsvertrieb ist aus finanzieller Hinsicht wichtig, weil wir dadurch unser Budget aufbessern können, aber auch ein Imagefaktor. Das Haus kann sich im Ausland präsentieren und Werbung machen. Jeder zweite japanische Tourist, der nach Wien kommt, geht ins Kunsthistorische Museum. Das hat auch mit unserer konstanten Ausstellungstätigkeit in Asien zu tun. Manchmal verleihen wir Objekte auch nur gegen Abdeckung der Unkosten. Viele wichtige Ausstellungen »dürfen« einfach ohne die Beteiligung des Kunsthistorischen Museums nicht stattfinden. Es ist für uns auch eine Verpflichtung, unsere Objekte dort im Diskurs zu zeigen – vorausgesetzt, sie sind von ihrem materiellen Befund her reisefähig.

(+) plus: Das KHM ist ein Verband aus mehreren Museen und präsentiert 5.000 Jahre Kunstgeschichte. Wo steht es im Wettbewerb um die Gunst der Besucher?
Haag: Für das Kunsthistorische Museum gibt es in Österreich kein vergleichbares Museum. Unsere Partner auf Augenhöhe sind der Louvre, die National Gallery, die Uffizien, die Eremitage. Das sind unsere Partner, mit denen wir uns messen, vergleichen und zusammenspielen. Im Wettbewerb um Besucher müssen wir die Menschen davon überzeugen: Es lohnt sich, zu uns ins Museum zu kommen. Weltweit gehen angeblich mehr Leute in Museen als auf den Fußballplatz. Das stärkt meine Überzeugung, dass Museen Sehnsuchtsorte für Menschen sind. Wenn sie in einem Museum ein positives Erlebnis hatten, wollen sie das wiederholen. Idealerweise setzt dieses erste schöne Erlebnis in der Kindheit an.

(+) plus: Kommt Kunstvermittlung ohne die sogenannten »neuen« Medien nicht mehr aus?
Haag: Wenn man die neuen Medien gut und clever einsetzt, sind sie unverzichtbar. Das beste Kunsterlebnis hat man allerdings immer durch eine persönliche Führung, einen kundigen Begleiter.
Die neue Kunstkammer ist für mich der Prototyp einer gelungenen, zukunftsweisenden Museumspräsentation von komplexen, fragilen und höchst unterschiedlichen Objekten, die dem Publikum gut erklärt werden müssen – je nach Zeitkontingent der Besucher, nach ihrem Wissensstand und Interesse. Vor allem die jungen Besucher springen oft zuerst auf die iPads an und werden dann zu den Objekten gelenkt. Besonders gut geglückt ist dieses Zusammenspiel bei den beweglichen Kunstwerken, deren Bewegungen man auf den Tablets sieht. Die Filme über diese Automaten haben wir angefertigt, weil uns klar war: Ohne zu sehen, wie diese Objekte früher funktioniert haben, wird man diesen wesentlichen Bestand einer Kunstkammer im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert überhaupt nicht verstehen können. Ich halte es aber für einen großen Trugschluss, dass neue Medien das Allheilmittel in der Kunstvermittlung sind. Falsch eingesetzt, vermitteln sie vollkommen am Objekt und Inhalt vorbei – die Objekte selbst werden gar nicht mehr angeschaut, weil man so abgelenkt ist.

(+) plus: Anlässlich Ihrer Bestellung zur KHM-Direktorin wurden Zweifel laut, ob Sie die Anforderungen bewältigen würden, schließlich hätten Sie ja noch nie ein Museum geleitet. Konnten Sie die Kritiker inzwischen überzeugen?
Haag: Dieselben Fragen habe ich mir auch gestellt: Kann ich das überhaupt? Traue ich mir das zu, diesen Museumskomplex zu leiten? Ich bin in Vorarlberg aufgewachsen und daher sehr leistungsbezogen. Mein Anspruch ist es, meine 750 Mitarbeiter zu motivieren und ihre Arbeit zu unterstützen, damit sich das Museum gut präsentieren, aber auch ständig weiterentwickeln kann. Das ist uns, glaube ich, in den vergangenen sechs Jahren gut gelungen. Ich hoffe, dass ich viele der Kritiker zu Freunden des Museums machen konnte. Letztlich ist ja Kritik ein Auftrag, nicht stehenzubleiben.


Zur Person
Sabine Haag, 52, studierte Anglistik, Amerikanistik und Kunstgeschichte in Innsbruck und Wien. 1990 begann die Spezialistin für Bernstein- und Elfenbeinarbeiten als Kuratorin in der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums Wien. 2007 wurde sie Direktorin der Kunstkammer und der Schatzkammer, 2009 folgte sie Wilfried Seipel als Generaldirektorin nach und verantwortet neben den Sammlungen des KHM, der Kaiserlichen Schatzkammer und der Wagenburg auch das Theatermuseum, das Weltmuseum (ehemals Völkerkundemuseum) und das Schloss Ambras in Innsbruck. Die im März 2013 neu eröffnete, weltweit bedeutendste Kunstkammer entwickelte sich zum Publikumsmagneten und bescherte dem KHM ein Rekordjahr.

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