Montag, Dezember 23, 2024

Ein Sprung ins kalte Wasser ist selten erfolgreich. Unternehmen tun gut daran, neue MitarbeiterInnen in den Job und die Gepflogenheiten einzuführen - sonst sind sie schnell wieder weg. Die Integration beginnt schon vor dem ersten Arbeitstag.

Von Angela Heissenberger

Wenn ein neuer Mitarbeiter an seinem ersten Arbeitstag beim Empfang hört »Ich kann Ihren Namen nicht finden« oder der Chef ihn flüchtig mit den Worten »Nächste Woche zeigt Ihnen der Kollege alles« begrüßt, ist schon vieles schiefgelaufen. Laut einer Studie des Human Capital Institute denken 15 % aller »New Joiner« bereits am ersten Tag ans Aufhören, haben nach einer Woche innerlich gekündigt und sich noch vor Ende der Probezeit tatsächlich verabschiedet. Unter Führungskräften ist die Fluktuation innerhalb der ersten 18 Monate noch deutlich höher. Die Kosten durch Neubesetzungen in dieser frühen Phase sind enorm. »Um eine Stelle zu besetzen, fallen etwa 30 bis 40 % des Jahresgehaltes für die gesuchte Position an. Kündigt der neue Kollege innerhalb des ersten Jahres, hat das Unternehmen kaum eine Chance, seine Investitionen in die Rekrutierung und Einarbeitung zurückzubekommen«, erklärt Till Lohmann, Personalexperte bei PwC. Langfristig kann eine hohe Fluktuation auch der Arbeitgebermarke schaden, meint Managementtrainerin Katharina Schmidt-Pfister: »Wenn potenzielle Bewerber ein ständiges Kommen und Gehen wahrnehmen, wird sich jeder fragen, warum das so ist.« Dabei handelt es sich in den wenigsten Fällen um Fehlentscheidungen in der Personalauswahl. Viele Unternehmen legen höchstes Augenmerk auf das Recruiting. In mehreren Durchgängen werden die Kandidaten einem fachlichen und persönlichen Check unterzogen, um die qualifiziertesten und passendsten Bewerber herauszufiltern. Umso paradoxer scheint es, dass diese sorgfältig ausgesuchten Personen sich selbst überlassen werden, sobald sie ins Unternehmen eintreten.

Holpriger Start

Jedes Unternehmen hat seine eigenen, ungeschriebenen Gesetze. Selten werden neue Mitarbeiter in die speziellen Gepflogenheiten gleich zu Beginn eingeweiht. Im Gegenteil: Manche Kollegen lassen Neulinge gerne erst mal bei Mitarbeitern und Kunden an die Wand rennen, schließlich war es ihnen seinerzeit nicht anders ergangen. Besonders bei Führungskräften liegt die Latte hoch. Von einem erfahrenen Manager wird erwartet, dass er sofort loslegt – und entsprechende Ergebnisse liefert. Bleiben rasche Erfolge aus, wird der Chefsessel schnell zum Schleudersitz. Dabei scheitert das »Loslegen« oft schon an der Bereitstellung eines professionellen Umfeldes: Der Arbeitsplatz ist nicht vorbereitet, das Telefon nicht freigeschaltet, und die Kollegen wissen weder, dass ein Neuer kommt, noch, wie die Aufgabenverteilung künftig aussehen soll. Spätestens da kommen Zweifel auf, ob man sich wirklich für das richtige Unternehmen entschieden hat. Unternehmensberaterin Ulrike Sabathy musste diese Erfahrung vor vielen Jahren selbst machen, als sie voller Freude ihren vermeintlichen Traumjob antrat und eine Hochschaubahn der Gefühle erlebte: »Der Chef war auf Urlaub, die Assistentin sagte nur: ›Ah, Sie sind heute schon da?‹ Ich saß den ganzen Tag in einer Ecke und keiner redete mit mir. Da rasselten meine Emotionen vom höchsten Glück tief hinunter in den Keller.« Die Enttäuschung wirkte noch lange im Unterbewusstsein nach, wie Sabathy heute reflektiert: »Ich war entsprechend demotiviert. Der Start war durch diese Erfahrung für das Unternehmen und mich wesentlich holpriger.« Diese Diskrepanz setzt sich fort: auf der einen Seite der Vorgesetzte, der sich von dem neuen Mitarbeiter mit den vielversprechenden Bewerbungsunterlagen wahre Wunderdinge erhoffte und nun feststellt, dass dieser auch nach Wochen noch nicht so produktiv ist wie erwartet – auf der anderen Seite der enttäuschte Mitarbeiter, der sich von Anfang an nicht willkommen fühlt und vielleicht auch noch nötige Arbeitsmittel und Wissen über frühere Projekte mühselig selbst zusammensuchen muss.

Neuland erkunden

Wer in ein neues Unternehmen kommt, betritt Neuland. Dort herrscht eine andere Kultur, eine andere Sprache wird gesprochen, es gibt andere Gepflogenheiten. Im Grunde bräuchte man einen Reiseführer, um sich zurechtzufinden. Nicht zufällig ist der Begriff »Onboarding« an Schiffs- oder Flugreisen angelehnt, wo die Passagiere bereits beim Check-in freundlich begrüßt und zu ihren Plätzen geleitet werden. Dort steht wieder eigenes Personal zur Unterstützung bereit. Entfiele dieser Service, würden sich die Urlaubsgäste zu Recht brüskiert fühlen und diesen Reiseveranstalter sicher nicht mehr wählen oder weiterempfehlen. Umgelegt auf ein Unternehmen gibt diese Begleitung in der Eingangsphase Sicherheit und das Gefühl, willkommen zu sein. Die Mitarbeiterbindung beginnt schon im Vorfeld des Firmeneintritts, genau genommen unmittelbar im Anschluss an das Recruiting. Onboarding ist ein monatelanger Integrationsprozess, der umso erfolgreicher ist, je besser organisiert er abläuft. Integration bedeutet dabei keine bloße »Einarbeitung« in die Unternehmensmaterie, sondern erfolgt auf drei Ebenen: fachlich, sozial und kulturell.

Der erste Tag

Alle Formalitäten – Dienstvertrag, Essenskarten, Zeiterfassung, persönliche Daten – sollten möglichst schon vorab geklärt werden. Manche Unternehmen schicken den neuen Mitarbeitern sämtliche relevante Unterlagen bereits in einer »Willkommensmappe« nach Hause. Der erste Tag sollte nicht mit Bürokratie vertan werden. Am Beginn steht die offizielle Begrüßung durch die Vorgesetzten, außerdem muss der oder die Neue zumindest den Kollegen der Abteilung persönlich vorgestellt werden. In großen Unternehmen ist die zusätzliche Bekanntgabe (»Wir begrüßen XY«) per Intranet, Wandaushang und Betriebszeitung eine nette Geste und erleichtert die Kontaktaufnahme. Katharina Schmidt-Pfister analysierte die Schwierigkeiten der Jobeingangsphase 2012 in einer empirischen Studie und stellte fest: »Es sind tatsächlich Kleinigkeiten, die ein Mitarbeiter braucht, um sich rasch wohlzufühlen. Schon ein kleines Willkommensgeschenk als Zeichen der Wertschätzung bewirkt oft Wunder. Wenn er dagegen merkt, die Kollegen sind nicht vorbereitet und müssen wegen ihm die Arbeit unterbrechen, führt das zu Unbehagen.« Neueinsteigern zwei dicke Ordner auf den Tisch zu packen, um sie möglichst zeitsparend zu beschäftigen, ist der bequemste Weg, aber sicher nicht der optimalste. Menschen lernen einander am besten über das Gespräch kennen. Herumsitzen und Leitfäden oder Handbücher lesen frustriert auch den motiviertesten Jobstarter. Stattdessen sollten anhand eines Einarbeitungsplans die Aufgabenfelder und Zuständigkeiten genau besprochen werden. Eine Betriebsführung bietet einen Überblick über alle Bereiche. Auch wenn nicht sämtliche Abteilungen mit dem eigenen Tätigkeitsbereich in direkter Verbindung stehen, bekommt man ein Gefühl für »das große Ganze«, den sinnbildlichen Strick, an dem die Belegschaft gemeinsam zieht.

Mit Herzblut dabei

Idealerweise steht dem Neuling in den ersten Wochen ein »Pate« oder »Buddy« zur Seite und beantwortet allfällig auftauchende Fragen. Er zeigt, wie das Unternehmen »tickt«, wie beispielsweise die Corporate Identity bei Telefonaten und E-Mails aussieht oder welche Botschaften nicht nach außen getragen werden. Nicht jeder Kollege eignet sich als Begleiter. Es sollte eine kommunikative Persönlichkeit mit hoher fachlicher und sozialer Kompetenz sein, die diese Aufgabe ernst nimmt. Ein guter Pate vermittelt glaubwürdig, wofür das Herz des Unternehmens schlägt. Damit sich ein Mitarbeiter als Teil des Unternehmens fühlt, muss er erkennen, welches Rädchen im Firmengetriebe er künftig übernimmt. Einer der häufigsten Fehler, so Schmidt-Pfister, ist eine aufgabenbezogene Einführung: »Dem Mitarbeiter werden so lange Aufgaben zugewiesen, bis er imstande ist, das gesamte Bündel an Tätigkeiten zu bewältigen. Dabei fehlt aber der Blick auf Zusammenhänge. Er sieht nicht, wie sich sein Handeln auf die Wertschöpfungskette und den unternehmerischen Erfolg auswirkt.« Die Folge sind »künstlich produzierte Schnittstellen«, meint die Betriebswirtin und Managementtrainerin: »Der Mitarbeiter denkt und handelt begrenzt.« Große Unternehmen forcieren deshalb in ihren Eingliederungsprogrammen vor allem die Vernetzung mit den Schlüsselpersonen in der Organisation. Frischgebackene Coca-Cola-Manager reisen für Kennenlerntreffen rund um die Welt. In der Siemens-Gruppe erfolgt das Kontakteknüpfen via E-Learning – die neuen Mitarbeiter nehmen an einer virtuellen Führung durch die Siemens-Welt teil und lösen gemeinsam Aufgaben. Das nötige Basiswissen und Netzwerken mit Experten jeglicher Herkunft und Fachbereiche erfolgt somit auf spielerische Weise. ThyssenKrupp startet sein Trainee-Programm mit einem dreitägigen Workshop, der die Newcomer in bewusst lockerer Atmosphäre in die offene Diskussionskultur des Konzerns eintauchen lässt. KMU haben diesbezüglich noch Nachholbedarf. Nur wenige nutzen wie Softwaretest-Spezialist Seqis die Chance, ihr Profil als attraktiver Arbeitgeber zu schärfen. »Wir fördern die Integration von neuen Mitarbeitern im Unternehmen schon bei der Personaleinführung. Bereits in den Onboarding-Wochen werden die persönlichen Stärken eines jeden evaluiert und entsprechend forciert«, erklärt Seqis-Geschäftsführer Alexander Weichselberger seine Strategie im »War for Talents«. Auch die Wiener Stadtwerke bieten mit einem Willkommenstag und einer Hop-on-Hop-off-Tour einen Einblick in die verschiedenen Geschäftsbereiche, ein Pate unterstützt in den ersten drei Monaten. In Initiativen wie die Ideenwerkstatt können sich Mitarbeiter aktiv einbringen. Denn was oft vergessen wird: Neue Mitarbeiter verfügen über ein hohes Innovationspotenzial. Sie sind noch nicht betriebsblind und öffnen unkonventionelle, frische Zugänge – wenn man sie lässt.


Onboarding-Programm:

1. Vorbereitungsphase:
Bereits in der Zeitspanne zwischen der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages und dem ersten Arbeitstag sollte sich das Unternehmen als professioneller Arbeitgeber, der sich um seine Mitarbeiter kümmert, präsentieren. Unterlagen über das Leitbild, die wichtigsten Produkte, Prozessabläufe sowie Weiterbildungsmöglichkeiten können vorab zugesandt werden. Administrative Fragen (Arbeitszeiten, persönliche Daten, Zutrittsberechtigungen etc.) sind jetzt zu klären, ebenso die internen Zuständigkeiten. Der Arbeitsplatz und sämtliche Arbeitsmittel müssen vorbereitet und alle KollegInnen informiert sein.

2. Orientierungsphase:
In den ersten drei Monaten ab dem Arbeitsantritt lernt der neue Mitarbeiter das Unternehmen, die Kollegen, die Tätigkeiten und Abläufe kennen und verstehen. Der erste Arbeitstag sollte für das emotionale Ankommen reserviert sein: begrüßen, vorstellen, ein Gespräch mit dem Vorgesetzten, ein Rundgang durch den Betrieb, eine kurze Einführung in den Tätigkeitsbereich. Wertschätzende Gesten wie ein kleines Willkommensgeschenk wirken sich positiv auf Motivation und Loyalität aus. In den ersten Wochen kümmert sich dann ein Pate oder Mentor um die fachliche Integration und führt Schritt für Schritt in den Unternehmensalltag ein. Neben theoretischem Wissen sollte die betriebliche Praxis nicht zu kurz kommen. Beispielsweise kann der Mitarbeiter zu Kundengesprächen mitkommen oder an Meetings teilnehmen – oft bringt der ungetrübte Blick von außen überraschende Ideen.

3. Integrationsphase:
Bis zurvollen Leistungsentfaltung vergehen meist sechs bis zwölf Monate. In dieser Zeit empfiehlt es sich, in regelmäßigen Feedback-Gesprächen die Fortschritte und Abweichungen der gegenseitigen Erwartungen zu überprüfen. Noch länger dauert es in der Regel, bis sich neue Mitarbeiter in der Kultur des Unternehmens zu Hause fühlen. Firmenevents und Teambuilding-Maßnahmen können dabei helfen.

4. Evaluierungsphase:
Die beste Einführung bringt nichts, wenn ihr Nutzen nicht evaluiert wird – im Sinne eines 360°-Feedbacks anhand von Gesprächen mit dem neuen Mitarbeiter, den Kollegen, Kunden und Partnern. Der Erfolg lässt sich aber auch an Zahlen festmachen, etwa an der Personalfluktuation, geringerem Aufwand in der Administration, niedrigerer Fehlerquote oder an höheren Verkaufszahlen, wenn die Mitarbeiter rascher produktiv werden.

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