Die Investitionen der heimischen Unternehmen sind stark gesunken. Österreich fällt als Innovationsstandort in internationalen Rankings zurück und verliert beim Leitthema Industrie 4.0 den Anschluss.
Von Angela Heissenberger
Der Ölpreis ist rapid gefallen, Euro und Yen haben gegenüber dem US-Dollar deutlich an Wert verloren. Die Gewinner dieser Veränderungen sind die Eurozone und Japan, während die großen Energieexporteure sowie China und die USA zuletzt zurückstecken mussten. Der Internationale Währungsfonds (IWF), der die Berechnungen für die Eurozone in den vergangenen Jahren stetig nach unten revidierte, wertet diese Signale als Wachstumstreiber. So geht der IWF davon aus, dass die Wirtschaft in der Eurozone heuer um 1,5 % und 2016 um 1,6 % zulegen wird. »Wir sehen bereits, dass den Menschen mehr Geld für Konsum bleibt«, zeigte sich IWF-Chefökonom Olivier Blanchard bei der Präsentation der Frühjahrsprognose geradezu euphorisch. In Österreich will trotz der positivenZahlen keine Jubelstimmung aufkommen, für die heimische Wirtschaft geht der Trend in die genau entgegengesetzte Richtung. Hatten die IWF-Ökonomen noch im Oktober ein Plus von 1,9 % erwartet, korrigierten sie ihre Österreich-Prognose nun auf 0,9 %. Damit rutscht die lpenrepublik deutlich nach unten: Nur in Zypern, Finnland, Italien und Kroatien wird das Wachstum 2015 noch schwächer ausfallen.
Auf Talfahrt
Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) ist mit einem Plus von 0,5 % sogar noch pessimistischer. Sorgen bereitet den Experten auch die niedrige Investitionstätigkeit der Unternehmen, die trotz geringer Zinsen in den letzten drei Jahren sehr bescheiden blieb. »Der Konsum allein ist kein Investitionsmotor. Man lernt auch nicht auf einem Bein gehen«, wundert das Thomas Uher, Chef der Erste Bank, nicht wirklich. Für ein gutes Investitionsklima fehle vor allem Vertrauen: »Es ist für Wachstum zu wenig, aber für eine Krise zu viel.« Der EinkaufsManagerIndex (EMI) der Bank Austria befindet sich seit mehr als einem halben Jahr auf Talfahrt. Der Indikator, der auf einer monatlichen Umfrage unter österreichischen Produktionsbetrieben basiert, zeigt kräftige Auftragseinbußen. Auch der Stellenabbau beschleunigte sich zuletzt nochmals. Vor allem der starke Rückgang der Produktion als Folge der nachlassenden Nachfrage spiegelt die missliche Lage der heimischen Industrie wider. Die Abschwächung des Euro führte zu höheren Importpreisen für Rohstoffe und Vorleistungsprodukte, die Betriebe setzten somit weiterhin auf vorsichtiges Lagermanagement. Das Verhältnis zwischen Neuaufträgen und Lagerbestand – ein recht zuverlässiger Indikator für die Entwicklung der kommenden Monate – deutet derzeit noch nicht auf Erholung hin.
Vorbild Deutschland
Ausschlaggebend für die anhaltende Flaute sind mehrere Faktoren. Die für Österreich so wichtige Region Südosteuropa steckt weiterhin in der Krise, auch das Partnerland Italien hat sich noch nicht ausreichend erholt. Indessen zieht Deutschland durch verstärkte Exporte nach Übersee und China davon. Was machen die Deutschen besser? Vor allem in der automotiven Industrie ist es deutschen Unternehmen gelungen, auch über die Krisenjahre rund 750.000 Beschäftigte zu halten, während in anderen europäischen Ländern massiv Arbeitsplätze abgebaut wurden. Zudem investierten deutsche Unternehmen in die Erneuerung ihrer Anlagen – und ernten nun die Früchte. In Österreich führte die sinkende Kapazitätsauslastung der vergangenen drei Jahre fast zu einem Stillstand. Investiert wurde laut Industriellenvereinigung, wenn überhaupt, in erster Linie in Rationalisierungsmaßnahmen. Den wichtigsten Zukunftstrend – international bereits als Hype gehandelt – scheint Österreichs Wirtschaft ohnehin zu verschlafen: Das Schlagwort »Industrie 4.0« beschäftigt zwar seit geraumer Zeit Medien und Politik, nur bei den betroffenen Unternehmen ist das Thema noch nicht angekommen. »Jeder Unternehmer sollte sich die Frage stellen: Wie kann ich einen Mehrwert für meine Kunden schaffen?«, erklärte Wilfried Sihn, Geschäftsführer des Instituts Fraunhofer Austria, im vergangenen November beim »Fachkongress Industrie 4.0«. Die deutsche Akademie der Technikwissenschaften habe bereits 2008 auf die negative Entwicklung des Industriestandortes Deutschland hingewiesen und damit einen entscheidenden Impuls geliefert. Die Diskussion, ob unter »Industrie 4.0« eine Revolution oder eine Evolution mit langsamen Schritten zu verstehen sei, erübrige sich, so Sihn: »Das ist eigentlich völlig egal, es ist jedenfalls eine riesige Chance.«
Aufholbedarf
53 % der heimischen Unternehmen können sich jedoch unter dem Begriff Industrie 4.0 nichts vorstellen. 47 % haben davon zwar gehört, jeder Fünfte sieht darin aber bloß einen vorübergehenden Hype. Zu diesem ernüchternden Ergebnis kommt eine Umfrage unter 200 Führungskräften aus 200 Industriebetrieben in Österreich, durchgeführt von Gallup im Auftrag des Automationsunternehmens Festo. »China und die USA sind bei der Produktion ganz klar auf der Überholspur«, zeigte sich Rainer Ostermann, Geschäftsführer von Festo Österreich, bei der Präsentation der Studie bestürzt. Während in anderen Ländern bereits in die Umstellung der Produktion investiert werde, verfolge man in Österreich eine höchst defensive Taktik: Abwarten. Dabei hätte Österreich bereits jetzt einigen Aufholbedarf. Beispielsweise in der Ausbildung: Die Betriebe sind sich zwar dessen bewusst, dass gut ausgebildetes Personal eine Grundvoraussetzung für die Modernisierung der Produktion und zusätzliches Wachstum ist. 70 % wollen dem Technikermangel vor allem durch Qualifizierung und Umschulung bestehender Mitarbeiter begegnen. Mehr Geld dafür in die Hand nehmen wollen allerdings nur wenige. Lediglich 36 % der Befragten heben die Budgets für Aus- und Weiterbildung an. 2013 waren es noch 46 %. Eine gefährliche Strategie, meint Hermann Studnitzka, Leiter der Abteilung Didactic Concepts bei Festo Österreich, denn Industrie 4.0 bringe auf jeden Fall eine Veränderung der Arbeitsprofile mit sich: »Wir verändern uns vom Knowhow zum Do-how.« Die steigende Automatisierung werde anfangs einige Jobs kosten, hohe fachliche Kompetenzen seien aber in den neuen Produktionsprozessen wichtiger denn je. »Aufgrund der notwendigen Flexibilisierung kommen auch wieder Handarbeitsplätze zum Einsatz. Dafür brauchen wir erfahrene Mitarbeiter«, unterstreicht Studnitzka. Gerade KMU würden davon profitieren, da sie rascher und individueller als große Unternehmen auf Marktbedürfnisse reagieren könnten. Ohne IT geht künftig nichts mehr. Durch die digitale Vernetzung sind kundenspezifische Lösungen nun auch bei großer Modellvielfalt in der Industrie möglich. Stichwort »Losgröße 1« – bereits ein Stück soll künftig zum Preis eines Massenprodukts hergestellt werden können. Industrie 4.0 verknüpft die virtuelle Welt mit der realen Welt, so Studnitzka: »Ein Facharbeiter muss in beiden Welten leben.«
Champions der Zukunft
»Die Start-ups von heute sind vielleicht die Weltmarktführer von morgen. Und die brauchen wir in Österreich wie einen Bissen Brot«, meinte Therese Niss, Bundesvorsitzende der Jungen Industrie, anlässlich der Aktion »Pitch im Paternoster«. Junge Unternehmen zu stärken sollte nicht nur im Interesse der Politik, sondern auch etablierter Betriebe liegen. »Innovationen, die sich erfolgreich am Markt durchsetzen, wirken sich positiv auf die lokale Wertschöpfung aus – daher haben Start-ups ein enormes Potenzial für den Standort Österreich. Die Kooperation mit Start-ups kann auch ein Strategieelement für Leitbetriebe sein, um weltweit an der Technologiespitze zu bleiben «, sagt Günther Wellenzohn von Infineon Technologies Austria. Die österreichische Start-up-Szene muss sich hinsichtlich Kreativität und Professionalität im internationalen Vergleich nicht verstecken, die Bandbreite der Ideen ist enorm:
1. Anyline
Für Business Angel Johann Hansmann ist Anyline »das spannendste Startup 2015«. Eigentlich wollte er sein Investmentportfolio – u.a. mySugr, whatchado und shpock – nicht mehr erweitern. Die mobile Scantechnologie, entwickelt von Lukas Kinigadner und seinem 14-köpfigen Team, ließ sich der Investor aber dann doch nicht entgehen. Anyline revolutioniert die Bildbearbeitung, indem Smartphone-Kameras mit dieser Technologie Objekte und Bilder in Echtzeit für OCR-Algorithmen optimieren und deren Werte direkt scannen können. Anwendung findet Anyline überall dort, wo manuelles Abtippen viele Fehler verursacht, zum Beispiel bei Voucher-Codes oder Zählermessständen. In Verknüpfung mit Augmented-Reality-Lösungen stehen der Erkennung und Verarbeitung von Seriennummern, Schriftzeichen und Ziffern im dreidimensionalen Raum noch weitere vielfältige Möglichkeiten offen.
2. Xarion Laser Acoustics
Ausgehend von seiner Dissertation an der TU Wien gründete Balthasar Fischer gemeinsam mit Geschäftspartner Leonhardt Bauer ein eigenes Spin-off-Unternehmen, um die Idee eines Lasermikrofons weiterzuentwickeln. Dieses optische Mikrofon ist nicht größer als ein Gummibärchen und kommt ohne Membran aus. Die Schallwelle trifft auf den Laserstrahl, ein Sensor nimmt das elektrische Signal auf.
3. eologix sensor technology
Das Start-up im Science Park Graz entstand 2013 aus der Zusammenarbeit von Michael Moser, Thomas Schlegl und Hubert Zangl an der Universität Graz. Mittels Sensoren kann das drahtlose System Oberflächen überwachen. Es kommt zunächst bei Windenergieanlagen zum Einsatz, um die Temperatur und Vereisung der Rotorblätter zu messen. Weitere Anwendungsgebiete wären beispielsweise Industrieroboter (um Kollisionen mit Menschen zu verhindern) oder die Anzeige von Netzberührungen im Ballsport.
4. Belus
Vielversprechend ist auch das Projekt des Teams rund um Matthias Wörgötter. Trocknungsprozesse in der Industrie verbrauchen viel Energie und verursachen hohe Kosten: »Der thermoelektrische Trockner Belus kann hier enorme Einsparungen bringen.«
5. Intacs
Christian Flechl und Christoph Schöggler bieten die erste vollautomatische Ladelösung für Elektroautos, die den Ansteckvorgang auf eine eindimensionale Bewegung reduziert: »Umständliches Hantieren mit einem Ladekabel ist nicht mehr notwendig, noch dazu spart man Kosten.« Die mehrfach preisgekrönte Innovation ist bereits als internationales Patent angemeldet.
6. ChatGrape
Bereits als Studenten entwickelten Leo Fasbender, Tobias Seiler und Felix Häusler das Publisher-Tool Newsgrape. Mit ChatGrape werden nun Sprach- und Textanalyse auf Hightech-Ebene zu einem zeitsparenden Kommunikationstool für Unternehmen verknüpft. Eine intelligente Autocomplete-Funktion hängt alle relevanten Dateien, Dokumente und Issues direkt an eine Nachricht, während man schreibt. Die Lösung ersetzt firmeninterne E-Mails und erleichtert die Suche alter Nachrichten. Ende 2013 lukrierten die drei Gründer in einer ersten Finanzierungsrunde 440.000 Euro Kapital, seither ging es steil bergauf. Im Jänner 2015 investierte das New Yorker Studio Betaworks 1,3 Millionen US-Dollar in das Projekt.