Von österreichischen Betrieben werden derzeit rund 4.000 Lehrlinge gesucht. Gleichzeitig finden viele Jugendliche keine Lehrstelle. Ein Grund für dieses Paradoxon sind einerseits die eingeschränkten Berufswünsche – Mädchen wollen noch immer am liebsten Verkäuferin, Sekretärin oder Friseurin und Burschen Mechaniker oder Elektriker werden –, andererseits Bildungslücken und fehlende Sozialkompetenzen. Die Defizite setzen sich fort: 2012 fiel jeder fünfte Lehrling bei der Abschlussprüfung durch. Report(+)PLUS hat AusbilderInnen nach ihrer Einschätzung gefragt.
1. Wie könnte die Lehre attraktiver werden?
Petra Mathi-Kogelnik, Geschäftsführerin Mitarbeiter bei dm drogeriemarkt GmbH Österreich: Wir sind mit dem dualen Ausbildungssystem in Österreich grundsätzlich sehr zufrieden. Die Attraktivität der Lehre ist eng mit den zukünftigen Berufs- und Einkommensaussichten verknüpft. Hier gilt es aus Unternehmenssicht aufzuzeigen, welche vielfältigen Möglichkeiten den Jugendlichen mit einer Lehre offen stehen. Wir setzen stark auf Lehre & Matura sowie auf interne Karrierechancen (vom Lehrling bis in die Geschäftsführung) und wollen auch das Image der Lehre bei den Eltern verbessern. Natürlich sollten die Lehrberufe zukunftsorientiert regelmäßig weiterentwickelt werden und die Lehrpläne in den Berufsschulen dementsprechend überarbeitet werden. Darüber hinaus haben Lehrlinge auch die Chance, mit dem Fachhochschullehrgang Handelsmanagement eine akademische Laufbahn bis zum Master berufsbegleitend einzuschlagen.
Reinhard Koch, Lehrlingsausbildungsleiter der Starlim Spritzguss GmbH: Wir, d.h. jeder Einzelne, müssen positiv über die Lehre zu denken beginnen. Wir haben in Österreich ein einzigartiges duales Ausbildungssystem, das uns die Facharbeiter garantiert. Jedoch muss das Bewusstsein bei den Eltern und bei den Betrieben auf ein positives Signal gestellt werden. Es ist nicht »nur« eine Lehre, sondern ein ausgezeichneter Ausbildungsweg, der nach positivem Abschluss alle Möglichkeiten für den Jugendlichen und seine Weiterentwicklung offen hält.
Michaela Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung und Geschäftsführerin des Boutiquehotels Stadthalle: Erstens: durch Wertschätzung in den Betrieben und auch außerhalb. Eine solide Ausbildung ist eine hervorragende Basis für einen erfüllenden Job mit gutem Verdienst und Karriereaussichten – im Inland wie auch im Ausland. Dazu gezieltes Forcieren von Begabung, wie die Lehrlingsakademie der ÖHV. Zweitens: Zeigen wir den jungen Menschen nicht hypothetische Chancen, sondern realistische Szenarien. Der Tourismus boomt weltweit, überall werden Fachkräfte gesucht, in anderen Branchen Mitarbeiter abgebaut, Kurzarbeit eingesetzt. Wer an einem Boom teilhaben will, lernt im Tourismus, verdient damit gutes Geld und kommt, wenn er will, in der Welt herum.
2. Stellt die junge Generation die ausbildenden Unternehmen vor größere Herausforderungen als früher?
Petra Mathi-Kogelnik: Jeder Generationswechsel stellt ein ausbildendes Unternehmen vor neue Herausforderungen. Die Bedürfnisse und Interessen der Jugendlichen verändern sich, wir empfinden das allerdings nicht als negativ. Die Herausforderung liegt darin, einen Beruf bzw. eine Berufsausbildung für Jugendliche attraktiv zu halten. Im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung setzen wir seit einigen Jahren auf interne Lehrlingsworkshops. Mit dem richtigen Zugang können Ausbilder Jugendliche nicht nur für einen Beruf begeistern, sondern diese Begeisterung ein Leben lang aufrechterhalten. Bildungslücken können über den Aufbau von Sozial- und Fachkompetenzen kompensiert werden. Hier sehen wir großes Potenzial und nehmen dies auch als unsere Verantwortung wahr.
Reinhard Koch: Jein, denn wenn man als Unternehmen eine gute Ausbildung betreibt, hat man sich mit den Anforderungen der heutigen Zeit auseinandergesetzt und diese nach und nach in die Ausbildung eingebaut. Für uns heißt das, dass wir uns als Ausbilder selbst laufend weiterbilden und uns andere Lernmethoden aneignen, um diese »Lücken« wieder auszufüllen. In der Wirtschaft müssen wir schneller reagieren als der Staat in der Bildungsreform, sonst könnten wir nicht konkurrenzfähig bleiben.
Michaela Reitterer: »Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren …« Schlag nach bei Sokrates, da war es auch schon so – ich will in diesen ewigen Jammer nicht einsteigen. Jugendliche, die früher eine Lehre absolviert haben, werden heute in mittlere Schulen gesteckt usw. Alle Eltern wollen, dass die Kinder es einmal besser haben. Dann ist ganz klar, dass wir mit der Qualität in der Lehre Probleme bekommen und auch in der Schule. Das zieht sich durch. Die Politik dreht ununterbrochen an einem Rad im System, ohne darauf zu achten, was das an anderen Stellen bewirkt. Wir müssen da nachjustieren, alle gemeinsam, Eltern, Lehrer, Politik, die Jugendlichen selbst und sicher auch Ausbilder. Man sollte das ganz nüchtern betrachten.
3. Mangelt es auch an der Qualität der Ausbildung in den Betrieben?
Petra Mathi-Kogelnik: Das Ergebnis der Lehrabschlussprüfung kann keineswegs als einzige Bewertung der Qualität der Lehrlingsausbildung gewertet werden, es ist ein Qualitätsmerkmal von vielen. Wir sehen uns als Ausbildungsbetrieb in einem größeren Ausbildungsgeflecht mit Berufsschulen, Eltern, Jugendlichen, Politik und Wirtschaft. Es braucht eine gute Zusammenarbeit zwischen diesen Bezugsgruppen, dann kann auch in der heutigen Zeit eine qualitativ hochwertige Ausbildung sichergestellt werden – und so erleben wir es auch bei dm.
Reinhard Koch: Die Ausbildungsqualität in den Betrieben halte ich für gut, jedoch sind die Prüfungsanforderungen in den letzten Jahren gestiegen. Ich begrüße das, schließlich soll die Lehrabschlussprüfung nicht zu einem »Geschenk« nach der Lehrzeit mutieren. Die Unternehmen müssen kontinuierlich in die Ausbildung der Jugendlichen investieren. Später können sie dann aus qualifizierten Fachkräften schöpfen. Obwohl wir es als Österreicher gewohnt sind zu jammern, sollten wir lieber unsere Zeit und Energie in die zeitgemäße Ausbildung unserer Jugendlichen investieren.
Michaela Reitterer: In dem System spielen Lehrlinge, Lehrer, Eltern, Ausbilder, Prüfer und Bildungspolitiker mit – und es ändert sich schneller, als sich die Beteiligten einstellen können. Wir öffnen den Zugang zur Bildung für Schichten, die bisher keinen Zugang hatten, damit nicht umzugehen wissen. Das funktioniert nicht ohne Nachjustieren – siehe Hauptkritik der OECD: In einem Umfeld, das die Experten als »bildungsfern« bezeichnen, schaffen wir kaum Abschlüsse. Wir müssen die jungen Menschen besser auf diese Herausforderung vorbereiten und auch ihr Umfeld. Solange wir das nicht schaffen, kommen wir über gegenseitige Schuldzuweisungen nicht hinaus. Wohin uns das führt, sehen wir in den Rankings, in den Betrieben und bei den Lehrabschlüssen.