Strukturreformen, Reindustrialisierung und eine Stärkung der Gesetzgebungskompetenzen auf europäischer Ebene: Das wünschen sich die heimischen Wirtschaftskapitäne laut einer aktuellen Studie von der neuen EU-Regierung.
Im Auftrag des Beratungsunternehmens pantarhei advisors Europe führte PGM research im Frühjahr eine Umfrage unter den österreichischen »Top 500«-Unternehmen durch. »Wir wollten wissen, wie österreichische Top-Unternehmen die Performance der letzten EURegierung bewerten, wie die EU als Institution gesehen wird und was auf der EU-Agenda für die nächsten fünf Jahre ganz oben stehen soll«, erklärt der geschäftsführende Gesellschafter Gilbert Rukschcio. Das Ergebnis ist eindeutig. Die Unternehmer wünschen sich einen klaren Fokus auf Strukturreformen als Wachstumsmotor und befürworten eine Reindustrialisierung gegenüber der Konzentration auf den Dienstleistungssektor.
Industrie und Reformen
Die Erkenntnis, dass Länder mit einer starken Industrie deutlich besser durch die Krise gekommen sind, hat bei den heimischen Wirtschaftskapitänen tiefen Eindruck hinterlassen. Fast 60 % fordern von der neuen EU-Regierung eine Reindustrialisierung Europas. Nur rund 30 % sagen, Europa soll verstärkt auf den Faktor Dienstleistungen setzen. Die immer wieder gehörten Rufe nach verstärkten öffentlichen Investitiosprogrammen zur Konjunkturbelebung scheinen indes nicht von der heimischen Wirtschaft zu kommen. Nur 15,2 % sehen in öffentlichen Investitionsprogrammen den Königsweg zu mehr Wachstum, 73,9 % fordern hingegen Strukturreformen. Weniger überraschend ist, dass sich derselbe Prozentsatz die Wettbewerbsfähigkeit als Leitmotiv für die nächste Legislaturperiode wünscht und nur 17,4 % die Soziale Sicherheit.
Wirtschaft will EU stärken
Von der immer wieder kolportierten und von zahlreichen Boulevardblättern herbeigesehnten Europaskepsis ist bei den Unternehmen wenig zu spüren. Ganz im Gegenteil, 60,9 % wünschen sich sogar mehr Gesetzgebungskompetenzen für Parlament und Kommission und weniger Koordinierung zwischen den Mitgliedsstaaten. Gestärkt werden sollen vor allem die »Budgetkontrolle der Mitgliedsstaaten«, die »Steuerpolitik« und die »Koordinierung der Wirtschaftspolitiken«. »Hier wird der EU offensichtlich mehr Kompetenz für Problemlösungen zugeschrieben als dem Nationalstaat«, erklärt Rukschcio. Entsprechend sehen auch 56,5 % derzeit die EU hinsichtlich ihrer Gesetzgebungskompetenzen nicht für den globalen Standortwettbewerb gerüstet. Interessant fällt auch die Antwort auf die Frage aus, welcher Wirtschaftsraum der Motor von neuem Wachstum sein könnte und im politischen Fokus stehen sollte. Denn während österreichische Unternehmen eine starke Verankerung in der CEE-Region haben, sollte nach Meinung der Wirtschaft der politische Fokus auch weiterhin eher auf dem Euroraum liegen (61 % zu 26 %). Eindeutig lehnen die Unternehmer auch Erweiterungsrunden auf absehbare Zeit ab und verlangen eine Phase der Konsolidierung (76 %), was von Jean-Claude Juncker auch bereits so angekündigt wurde.
Die größten Herausforderungen
Als die drei größten Herausforderungen, die die heimische Wirtschaft für die europäische Politik der nächsten fünf Jahre sieht, identifiziert die pantarhei-Studie die Themen »Wettbewerbsfähig & Wachstum«, »Ressourcen & Energie« sowie »Konsolidierung der Haushalte & Arbeitsmarkt«. Die Schlüsselfrage, so das Fazit der Studie, lautet nicht »Mehr oder weniger Europa«, sondern vielmehr »Wie gehen wir mit Zukunftsthemen um«. Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum können nur durch Konzentration auf die EU als Wirtschaftsstandort, durch Konsolidierung der Staatshaushalte und Finanzen erreicht werden. Das Arbeitsmarktthema hängt massiv von der Fokussierung von Demografie, Sozial-und Gesundheitspolitik ab. Das Energiethema mit Schwerpunkt auf Erneuerbare Energien sichert aus Unternehmenssicht die Unabhängigkeit Europas. »Die österreichischen Wirtschaftskapitäne haben eine klare Vorstellung, wie Wachstum und Beschäftigung wieder angekurbelt werden können«, fasst Rukschcio zusammen. Jetzt ist die Politik gefragt.
Report(+)PLUS hat österreichische EU-Parlamentarier mit den zentralen Ergebnissen der pantarhei-Studie konfrontiert. Lesen Sie hier die Antworten von
Othmar Karas (ÖVP)
Jörg Leichtfried (SPÖ)
Barbara Kappel (FPÖ)
Ulrike Lunacek (GRÜNE)
Angelika Mlinar (NEOS)