Zeiterfassung, Internet- und E-Mail-Protokolle, Handy-Standort: Arbeitgeber wissen oft mehr, als ihren Angestellten lieb ist. Mittels spezieller Software können Daten zu den eigenen Mitarbeitern analysiert, Bewerber nach ihren Fähigkeiten selektiert und Posten zielgerichtet besetzt werden. Doch digitale Überwachung löst oft Unbehagen aus und kratzt am gegenseitigen Vertrauen.
Ein Blick auf Facebook genügt und das Leben eines Menschen breitet sich aus: Was er gerne isst, wo er die Freizeit verbringt, wem er bei der Weltmeisterschaft die Daumen drückt und dass der Geburtstag der Schwiegermutter bevorsteht. Auch allerlei lustige, manchmal pikante Fotos sind in der Regel dabei. Geht es um Datenerfassung in der Firma, verstehen die meisten Menschen jedoch keinen Spaß. Private E-Mails am Firmencomputer, Videoüberwachung, Kontrolle der zurückgelegten Strecken im Firmengebäude: Wo hört die Privatsphäre auf? Aus technischer Sicht ist praktisch alles möglich, vieles wird auch bereits angewandt – mit und ohne Wissen der Mitarbeiter. Das Marktforschungsunternehmen TNS Global hat im Auftrag von Dell und Intel eine Studie zu den ITTrends der Zukunft vorgelegt, nach der im Schnitt bereits 28 % der Unternehmen die E-Mails ihrer Mitarbeiter überwachen. Unter den großen Konzernen lesen gar bei 38 % Vorgesetzte mit. Mittels Aufzeichnung der Mausbewegungen und Tastatureingaben können außerdem alle Vorgänge am Computer dokumentiert werden. Und ID-Karten, die eigentlich als Zutrittskontrolle für geschützte Räume dienen, ermöglichen eine lückenlose Überwachung. Auf welchen Wegen sich der Mitarbeiter bewegt, wie lange er sich in der Kaffeeküche aufhält und wo er besonders lange plaudert, lässt sich aus den gespeicherten Daten eben auch ablesen. Neigt ein Kollege eher der Pflege der Unternehmenskultur als harter Knochenarbeit zu, wird das vielleicht leichter auffliegen.
Big Brother in der Chefetage
Abgesehen von den vielfach nachgewiesenen Auswirkungen eines positiven Betriebsklimas bleibt aber dahingestellt, ob Leistungsmonitoring ausgerechnet über digitale Überwachung erfolgen muss und was die Aufzeichnungen tatsächlich aussagen. Wie im Fußball zeigt das Diagramm zwar, wie oft ein Spieler wohin gelaufen ist, seine aufmunternden oder energischen Worte, die die Mitspieler noch zum entscheidenden Tor im Finish motivierten, sieht man jedoch nicht. Die digitale Überwachung ist aber auch aus juristischer Sicht fragwürdig. Der Datenschutz am Arbeitsplatz stützt sich im Wesentlichen auf vier Sätze aus dem Arbeitsverfassungsrecht aus den Jahren 1974 bzw. 1986. »Alle vier knappen Sätze sind seit ihrer Einführung unverändert«, konstatiert Rainer Knyrim, Partner der Kanzlei Preslmayr Rechtsanwälte. Die gesamte Entwicklung des Internets und der Datenspeicherung ist spurlos an der Judikatur vorübergegangen. »In Unternehmen wirft die innerbetriebliche und konzerninterne EDV täglich Datenschutzfragen auf«, erklärt Rechtsexperte Knyrim. »So fehlen Antworten zur kollektiven Regelung der Überwachung von E-Mail- und Internetverkehr der Mitarbeiter.« In Deutschland wird bereits seit mehreren Jahren an einem Datenschutzgesetz für Beschäftigte gefeilt – bisher ohne Ergebnis. Heftige Proteste an dem vorgelegten Gesetzesentwurf kamen sowohl von Wirtschaftsverbänden wie auch von Gewerkschaften, SPD, den Grünen und den Linken. In Österreich beschränkte sich die Diskussion auf die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Möglicherweise mahlen in diesem Fall die europäischen Mühlen schneller: Die EUKommission hat einen Entwurf mit einigen – allerdings sehr schwammig formulierten – Mindestnormen für ein neues EU-Datenschutzrecht beschlossen, um insbesondere den Interessensausgleich zwischen Arbeitnehmern und internationalen Konzernen in anderen EU-Staaten zu klären. Dem nationalen Gesetzgeber steht es frei, eigenständig weitreichendere Regelungen zu erlassen.
Personalauswahl per Computer
Bis es so weit ist, bewegen sich viele Unternehmen in einer Grauzone. Der Arbeitgeber muss zwar gewährleisten, dass Daten über die Mitarbeiter nicht missbräuchlich verwendet werden können. Sensible Informationen obliegen in der Regel Lohnverrechnung und Personalbüro. In großen Unternehmen sind diese Bereiche meist getrennt, Zugriff haben nur berechtigte Personen. Bei KMU wird mit diesen Daten mitunter nachlässiger umgegangen, vor allem Zugriff und Weitergabe durch Unbefugte können nicht immer völlig ausgeschlossen werden. Das betrifft auch den Bereich Recruiting. Name und Adresse eines Bewerbers dürfen gespeichert werden. Die Sicherung weiterer Informationen über einen längeren Zeitraum ist dagegen heikel. Das Thema Datenschutz ist umso brisanter, seit Software für Human Resource Management nicht bloß die Verwaltung von Stammdaten und die Administration der Löhne und Gehälter erleichtert, sondern sich zu einer Komplettlösung entwickelt. Vom Rekrutierungsprozess über Zeiterfassung, Mitarbeitergespräche und Beurteilungen bis zur Auswahl und Förderung von Talenten werden alle HR-Themen bedient. »Diese Lösungen decken den gesamten Mitarbeiterlebenszyklus ab, von der Anwerbung bis zur Pensionierung. Der tatsächliche Mehrwert liegt darin, dass sie den Personalbereich darin unterstützen, den zukünftigen Bedarf zu ermitteln und aktiv anzugehen, bevor es zu spät ist«, erklärte Shawn Price, damaliger Sales-Chef bei SAP, anlässlich einer Studienpräsentation im vergangenen Oktober. SAP offeriert mit »SuccessFactors« eine cloudbasierte HR-Technologie. Konkurrent Oracle lieferte sich 2004 mit PeopleSoft eine Übernahmeschlacht und stärkte 2012 mit einem weiteren Zukauf – der Talent-Management-Software Talea – seine Marktposition. Auch IBM ging mit der Übernahme von Kenexa vor zwei Jahren diesen Weg und bezieht in die Personalsuche Social-Media-Informationen mit ein. »Als Ergebnis dieser Synergie werden Kunden in der Lage sein, Menschen mit den richtigen Fähigkeiten zu gewinnen und zu entwickeln, um die richtigen Teams aufzubauen. Jedes Unternehmen, in jedem Geschäftsbetrieb, will die Macht der sozialen Netzwerke nutzen«, ließ IBM-Manager Alistair Rennie verlauten. Der Supercomputer Watson, der in der TV-Show »Jeopardy« durch einen Sieg gegen menschliche Kandidaten für Aufsehen sorgte, soll in der Lage sein, umfassende Daten zu Mitarbeitern zu analysieren und zu interpretieren. Darunter fallen etwa die Berufserfahrung, die Entwicklung bestimmter Fähigkeiten, persönliche Eigenschaften oder Verhaltensweisen. Watson ist lernfähig und vermag nicht nur Stellen mit den richtigen Leuten zu besetzen und Teams ideal zu formieren, sondern kann angeblich auch Trends in der Belegschaft frühzeitig erkennen. In Europa, wo Datensicherheit nicht erst seit der NSAAffäre einen höheren Stellenwert einnimmt als in den USA, dürfte diese Facette von Big Data erneut Widerstände schüren.
Top-Thema Talentesuche
Abseits der großen Player, die sich auf dem boomenden HR-Markt um die Gunst der Konzerne matchen, bieten insbesondere für den europäischen Markt einige Software-Schmieden auch schlanke, unkomplizierte Lösungen für den Mittelstand. Manche Tools greifen einzelne Bereiche heraus, teilweise gibt es auch ganzheitliche Modulsysteme, die individuell kombinierbar sind. Entscheidend ist die leichte Bedienbarkeit: »Je mehr Fragezeichen ein System aufwirft, desto weniger gerne arbeite ich damit. Es muss intuitiv zu betätigen sein. Ich darf nicht nachdenken müssen«, erklärt Sage-Marketingleiter Wolfgang Rehor. KMU vernachlässigen ihr Personalmanagement noch vielfach. Nach wie vor werden für tägliche Routinetätigkeiten wie Lohn- und Spesenabrechnung, Urlaubsplanung und Diensteinteilung Excel-Tabellen ausgefüllt, wie eine Umfrage von Steria Mummert Consulting ergab. 200 Bewerber, die sich auf ein Stellenangebot melden, können der Geschäftsführung eines kleinen Familienbetriebes schon ungeahnte Probleme bringen. Spielen dann noch mehrere Kanäle – Social Media, Jobportale und Zeitungsinserate – mit, ist die Mitarbeitersuche kaum noch unter einen Hut zu bringen. Kein Wunder, wenn dann auf geeignete Kandidaten schlicht »vergessen« wird oder ausgesiebte Bewerber nicht einmal eine Absage-Mail bekommen. Diese Unprofessionalität kann sich im Grunde kein Betrieb, der auf Fachkräfte angewiesen ist, mehr erlauben. Der HR-Markt ist heiß. Wie der »HR Service Delivery Survey 2013« von Tower Watson zeigt, steht die Branche vor einem tiefgreifenden Wandel. Bei der Digitalisierung nehmen die DACH-Länder eine Vorreiterrolle ein. Knapp die Hälfte der Unternehmen plante für 2013 oder heuer eine Umstrukturierung ihres HR-Bereichs. An erster Stelle der Aufgaben steht dabei Talente-Management, gefolgt von höherer Effizienz in den Geschäftsprozessen und im Recruiting.
Strategische Position
Mit den neuen Anforderungen hat sich das Berufsbild der Personalisten grundlegend geändert. Früher eng bei der Verwaltung angesiedelt und vorwiegend mit arbeitsrechtlichen Angelegenheiten befasst, nimmt die Personalabteilung bereits in vielen Unternehmen eine strategische Schlüsselposition, in direkter Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung, ein. Mitarbeiter gelten inzwischen als wichtigste Ressource – statt viel Zeit mit administrativen Tätigkeiten zu vergeuden, investieren Unternehmen inzwischen lieber in hochwertige und effiziente Technologien, um mehr Kapazitäten für qualitative Personalentwicklung zu schaffen. Nicht alle begreifen diese Trendwende als neue Chance: In der »HRM-Trendstudie 2013« der Wissensfabrik St. Gallen sahen die Befragten mehrheitlich die Gefahr, traditionelle HR-Aufgaben zu verlieren, wenn Algorithmen die Bewerbungen sortieren, Mitarbeiter sich über Online-Plattformen vernetzen und ihre Urlaubszeiten und Spesenabrechnungen selbstständig speichern. Digitalisierung schafft mehr Transparenz, setzt aber auch eine stärkere Vertrauenskultur im Unternehmen voraus. Hierarchieebenen werden relativiert, man kommuniziert auf Augenhöhe – wenn die Daten in Einverständnis mit dem Mitarbeiter oder von ihm selbst im System erfasst werden.
Continental
Weltweit vernetzt mit ConNext
Soziale Netzwerke, Wikis und Blogs gehören längst zum alltäglichen Leben. Die erhoffte Hilfe ist oft nur einen Mausklick entfernt. Der Autozulieferer Continental macht sich diese Form der Kommunikation zunutze. Über eine interne Social-Media-Plattform sind die rund 170.000 Mitarbeiter in 46 Ländern miteinander vernetzt. Eine zentrale Suchfunktion ermöglicht die Recherche von Daten, Dokumenten und Personen zu bestimmten Fachgebieten. »Die Plattform soll als eine Art lebendiges Konzerngehirn dienen, das Wissen speichert und es allen zugänglich macht«, sagt Monika Andrae, Konzernsprecherin von Continental. Zentrales Element von ConNext sind die Profile der Mitarbeiter. Jedem Nutzer steht frei, auch Angaben über persönliche Interessen zu machen und eigene Gruppen zu einzelnen Themen zu gründen. In Blogs und Foren können die Mitarbeiter relevante Informationen veröffentlichen sowie die Beiträge anderer diskutieren und kommentieren. Klarnamen sind obligatorisch. Entgleisende Beiträge werden gelöscht, kommen aber ohnehin selten vor. 400 ausgebildete »Guides« helfen beim Einstieg und stehen bei Problemen als Ansprechpartner zur Verfügung. Rund 40.000 Mitarbeiter sind seit dem Start im Dezember 2012 im System aktiv, pro Woche beteiligen sich mehr als 10.000 am Austausch von Informationen und der Pflege der Wissensdatenbanken. Die Inhalte der Wikis wurden über 300.000 Mal abgerufen. Die rund 3.000 Communities kommunizieren in acht Sprachen über Organisationseinheiten und Ländergrenzen hinweg. Der hierarchiefreie Dialog zwischen Mitarbeitern und Führungskräften erweist sich aber auch als Impuls für eine lebendige Unternehmenskultur.