Conrad Scheiber, CEO Quality Austria, über das Qualitätsbewusstsein der heimischen Wirtschaft, die enormen Potenziale im Energiemanagement und die zu erwartenden Änderungen durch die Revision ISO 9001.
(+) Plus: Viele österreichische Unternehmen werden für ihre Produkt- und Dienstleistungsqualität international geschätzt. Länder wie die Schweiz oder Deutschland werden aber noch stärker mit »Qualität« assoziiert. Sehen Sie die Chance, dass »Made in Austria« mittelfristig in diese Top-Liga aufsteigen kann?
Konrad Scheiber: An dieser Wahrnehmung wird sich in absehbarer Zeit wenig ändern. »Made in Austria« hat einen exzellenten Ruf, es ist aber mit keiner globalen Aufholjagd in Richtung Schweiz oder Deutschland zu rechnen. Es gibt aber länderspezifische Unterschiede. In Russland etwa hat österreichische Qualität, seien es nun Produkte oder Dienstleistungen, einen höheren Stellenwert als deutsche Qualität. Da ist die Marke »Made in Austria« vor allem geprägt durch den Tourismus. Auch die Bereiche Kunst und Kultur haben die Marke nachhaltig positiv geprägt. Und die Wirtschaftskammer und deren Außenstellen haben diese positiven Assoziationen aufgegriffen und durchaus erfolgreich mit der Produkt- und Dienstleistungsqualität österreichischer Unternehmen in Verbindung gesetzt. Aber natürlich könnte man da noch viel mehr machen.
(+) Plus: In welchen Branchen hat sich in Sachen Qualitätsbewusstsein in letzter Zeit am meisten getan?
Scheiber: Die Lebensmittelbranche ist auf einem sehr guten Weg. Da haben sich mit dem angrenzenden Ausland enge Netzwerke gebildet, die, getrieben durch den Handel, großen Wert auf Qualität legen. Wenn nur einmal die Qualität nicht stimmt, ist man auch schon raus aus dem Netzwerk. Das geht ähnlich schnell wie in der Automobilbranche. Und auch im Gesundheitswesen hat sich vieles zum Guten gewendet. Da ist Österreich etwa mit dem AKH Wien heute Weltspitze. Vor zehn Jahren war es unmöglich, über Fehlermechanismen zu reden, heute sind Fehlermeldesysteme Standard in jeder Gesundheitseinrichtung.
(+) Plus: Gerade das AKH Wien genießt nicht den besten Ruf, wird oft mit Skandalen und Misswirtschaft in Verbindung gebracht.
Scheiber: Das ist ein Irrtum, dem viele unterliegen. Viele dieser Fehler sind den rechtlichen Rahmenbedingungen zuzuschreiben. Es gibt Bereiche, wo aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden mehrere Dokumentationsschienen parallel geführt werden müssen. Das ist natürlich ineffektiv und wird dann fälschlicherweise mit dem Managementsystem in Verbindung gebracht. Dabei sind es im Gegenteil eben jene Managementsysteme, die diese Missstände aufzeigen und, sofern rechtlich möglich, beseitigen können. Aber kein Managementsystem dieser Welt kann ein Gesetz aushebeln.
(+) Plus: Lebensmittel- und Gesundheitsbranche zählen zu den Musterschülern. Welche Branchen hinken hinterher?
Scheiber: Am meisten Nachholbedarf sehe ich im Bereich der öffentlichen Verwaltung, der Administration und vor allem auf dem weiten Feld der Klein- und Mittelunternehmen, speziell im Bau- und Baunebengewerbe.
(+) Plus: Welche Auswirkungen hat ein effektives Qualitätsmanagement auf den Unternehmenserfolg?
Scheiber: Da muss man unterscheiden zwischen dem reglementierten und dem nicht-reglementierten Bereich. Im reglementierten Bereich ist Qualität unternehmenskritisch. Wer im Geschäft bleiben will, muss die Qualitätsansprüche erfüllen, sonst ist man weg vom Fenster. Das gilt etwa für Medizinprodukte, den Automobilsektor oder die Luft- und Raumfahrt. Da ist ein höchstes Maß an Qualität und Zuverlässigkeit unabdingbar.
(+) Plus: Und im nicht-reglementierten Bereich?
Scheiber: Erfreulich ist, dass Qualitätsmanagement als Marketing-Gag heute praktisch ausgestorben ist. Das war eine Zeit lang durchaus nichts Ungewöhnliches, dass Unternehmen ein Qualitätsmanagementsystem implementiert haben, nur um den Briefkopf mit einem Gütesiegel schmücken zu können. Heute sehen die meisten Unternehmen den unmittelbaren Nutzen, den Managementsysteme bringen. Denn jeder Fehler verursacht Kosten und Managementsysteme helfen, diese Fehler zu vermeiden. Jeder Kunde, der nicht wiederkommt, bringt mich dem Ruin einen Schritt näher. Diese sogenannten Schattenkosten machen oft bis zu 15 bis 20 Prozent des Umsatzes aus. Diese Kosten zu reduzieren, ist für viele Unternehmen überlebenswichtig.
(+) Plus: Es gibt aber auch Stimmen, die in Managementsystemen und Zertifizierungen vor allem den hohen Aufwand sehen.Davon profitieren würden letztendlich nur die Zertifizierer selbst.
Scheiber: Dem kann ich guten Gewissens widersprechen. Nicht die Zertifizierer profitieren, sondern die Unternehmen. Die Kosten für die Zertifzierungen sind ein Klacks im Vergleich zu dem, was an Einsparungen möglich ist. Es hat ja auch einen Grund, dass wir in Österreich schon mehr als 70 Unternehmen haben, die wir seit mehr als 20 Jahren nach ISO 9001 zertifizieren. Das zeigt eindrucksvoll, dass diese Unternehmen einen nachhaltigen Nutzen daraus ziehen. Es geht diesen Unternehmen darum, dem Mitbewerb immer einen Schritt voraus zu sein und sich stetig zu verbessern. Viele Unternehmen wissen gar nicht, wie viele Reklamationen sie haben und was sie das kostet – in der Nachbearbeitung, der negativen Mundpropaganda und den möglichen Kundenverlusten. Das geht nur über Qualitätsmanagement. Dafür braucht man zuallererst eine Ist-Analyse. Und das ist tatsächlich Knochenarbeit, denn da geht es um Datensammlung und Datenauswertung. Aber die Komplexität eines jeden Managementsystems wird vom Unternehmen selbst festgelegt.
(+) Plus: Ein großes Thema sowohl der Quality Austria als auch der heimischen Wirtschaft ist das neue Energieeffizienzgesetz. Auch hier wird ein hoher finanzieller und zeitlicher Aufwand befürchtet. Welche Auswirkungen wird das Gesetz tatsächlich haben?
Scheiber: Die österreichische Regierung hat sich dazu bekannt bis 2020 die Energieeffizienz um 20 Prozent zu steigern. Dafür braucht es konkrete Maßnahmen, die in ein Gesetz gegossen werden müssen und von der heimischen Wirtschaft zu erfüllen sind. Volkswirtschaftlich bedeutet das eine geringere Abhängigkeit von Energieimporten. Der Einsparungseffekt auf Basis eines Systemstandards wie der ISO 50001 liegt bei fünf bis 20 Prozent. Deutschland etwa verzeichnet aktuell einen enormen Boom.
(+) Plus: Die energieintensive Industrie in Österreich hat aufgrund der Wettbewerbsfähigkeit in der Vergangenheit viel Geld in Energieeffizienzmaßnahmen gesetzt. Wenn jetzt von Brüssel ausgehend pauschal noch einmal eine prozentuelle Einsparung gefordert wird, sind die Unternehmen, die in der Vergangenheit ihre Hausaufgaben gemacht haben, krass benachteiligt. Etwas polemisch formuliert: Das Zementwerk in Rumänien hat in der Regel noch deutlich mehr Einsparungspotenzial als etwa das Zementwerk Leube in Salzburg, das in den letzten Jahren mehr als 30 Millionen Euro in Effizienzmaßnahmen investiert hat.
Scheiber: Das sind in der Regel Einzelfälle. Aber ich denke auch, dass es vernünftiger ist, Benchmarks aufzustellen. Wer die Benchmarks übererfüllt, sollte belohnt werden, wer darunter fällt, zu Verbesserungen verpflichtet werden. Im Vordergrund sollte aber der volkswirtschaftliche Effekt stehen. Und da sind wir auf einem guten Weg, denn die letzten Jahre haben bereits gezeigt, dass es zu einer Entkoppelung der Steigerung der Wertschöpfung vom Energieverbrauch kommt. Die Energieintensität pro Produktionseinheit hat bereits abgenommen. Wenn man sieht, dass Erdgas bei uns deutlich teurer ist als etwa in den USA, dann muss man überlegen, wie man diesen Wettbewerbsnachteil kompensieren kann. Eine Möglichkeit ist die Effizienz. Fast alle Unternehmen klagen über hohe Energiepreise, aber kaum jemand weiß, wo die Energie tatsächlich verpufft. Dabei helfen Systematiken wie die ISO 50001. Es wurden bereits viele Lehrgangsprojekte umgesetzt, die mit einer einzigen Ausnahme alle Amortisationszeiten von unter einem Jahr hatten.
(+) Plus: Welche Erfahrungen gibt es bereits mit der ISO 50001 und wie sind Ihre Erwartungen an die Norm?
Scheiber: Es gibt schon einige Erfahrungen. Und dabei zeigt sich vor allem die einfache Integration in bestehende Systeme. Für Unternehmen, die sich bislang noch nicht mit Managementsystemen auseinandergesetzt haben, ist ein deutlicher Mehraufwand zu erwarten. Aber auch hier gilt es, dass man sich seiner eigenen Prozesse bewusst sein muss.
(+) Plus: Die ISO 9001 ist die weltweit erfolgreichste Norm. Jetzt steht eine Revision an. Mit welchen Änderungen ist zu rechnen und welche Auswirkungen hat das auf zertifizierte Unternehmen?
Scheiber: Vieles ist noch in der Schwebe. Aber einige Änderungen sind bereits fix. Ein Ziel ist etwa, dass in Zukunft alle Normen, von der IT-Sicherheit über Umwelt bis zur Energie, denselben Aufbau haben sollen. Damit wird es zu einer deutlichen Vereinfachung und einer Reduktion des Interpretationsspielraums kommen. Inhaltlich wird in Zukunft eine reine Kundenorientierung nicht mehr ausreichen. Die Analyse der internen und externen Kontexte wird weiter an Bedeutung gewinnen. Dazu wird der risiko- und chancenbasierte Ansatz im Qualitätsmanagement wesentlich stärker betont werden. Auch der prozessorientierte Ansatz soll weiter vertieft werden. Das wird für einige Unternehmen sicher eine große Herausforderung darstellen. Das Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird sicher zunehmen.
(+) Plus: Manche Menschen behaupten, dass Zertifzierungen wenig Wert haben. Denn auch die Alpine war mehrfach zertifiziert.
Scheiber: Da werden Äpfel mit Birnen verwechselt. Denn wenn wir von Systemzertifizierungen und Audits reden, dann reden wir von non-financial-Audits. Das heißt, der Aspekt des Finanzwesens wird bewusst weitgehend ausgeklammert. Das hat auch einen guten Grund: Wenn ein spanischer Eigentümer zwei Milliarden Euro aus der österreichischen Tochter abzieht und in Spanien verwendet, dann hat das natürlich Folgen, sagt aber nichts über die Managementqualität aus. Für diese Entwicklungen sind andere Systeme verantwortlich, bis hinauf zur Finanzmarktaufsicht.