Wieder verschönert landauf, landab avantgardistische Plakatkunst das Land. Zeit für eine Sichtung der Exponate. Eine Vernissage mit Rainer Sigl. Die Satire im Report.
Nach fünfjähriger kreativer Pause investiert der Staat Österreich seine im Überfluss erwirtschafteten Überschüsse auch heuer wieder in eine landesweite öffentliche Talentschau avantgardistischer Street Art und Plakatkunst, wie sie europaweit ihresgleichen sucht. Monatelang zieren die Werke sorgfältig ausgewählter Künstler das Land – und auch heuer sind wieder bemerkenswerte Exponate dabei.
Zunächst ein Künstler, der sein Sujet auch in dieser Saison wiederholt: Der Hintergrund feuerwehrrot, davor ein weißhaariger älterer Mann, daneben schlichte Parolen, sonst nichts. Diese bewusst minimalistische Inszenierung ist klar ein sarkastischer Kommentar auf die Reizüberflutung, der der Künstler hier angenehme Leere entgegenstellen möchte. Fast laden die absichtsvoll nichtssagenden Sentenzen zur Meditation ein: »Mit sicherer Hand für Österreich« – wahrhaft, hier beruhigt sich das Bewusstsein des Betrachters zum stillen Spiegel, den kein Stäubchen trübt. Schön.
Komplex und zur Interpretation herausfordernd hingegen der Werkzyklus mit dem Thema »Zukunft« des künstlerischen Erzrivalen, uneindeutig, schwer zu interpretieren: »Willkommen Zukunft« lautet der bewusst dunkle Text, daneben ein verunsichert dreinblickendes rothaariges Mädchen, und hinter ihr eine grauhaarige, ungeschminkte androgyne Frau – als Memento Mori? – als Menetekel der Zukunft? – als mahnende Parze? Wir wissen es nicht. Ihr Wiederauftauchen auf anderen Plakaten symbolisiert Vergänglichkeit, macht betroffen – ein kryptisches, aber eigentümlich berührendes Stück Plakatkunst.
Ebenfalls das hohe Greisenalter thematisiert die Serie »Jetzt Frank«, in der schon textlich eindeutig dem Hier und Jetzt das Wort gesprochen wird, denn die Zukunft ist ungewiss, oder besser: allzu gewiss, zieht man das beinahe biblische Alter des Porträtierten mit ins Kalkül. Vielleicht, so könnte man mutmaßen, rückt der Künstler auch den Akt des Kunstschaffens selbst ins Zentrum: »Sougts ihr mir eh, waun i die Augen aufmochen muas wegen dem image für my campaign?« – »Jetzt, Frank!« – Auch das eine charmante Wendung in diesem konzeptuell vieldeutigen Werk.
Die weiteren Exponate: Ein Tier-Zyklus, bei dem auf einem Teil der Plakate einer Frau mittleren Alters beim vergeblichen Versuch, einen Baum zu erklettern, ein grimassierender Affe gegenübergestellt wird – ein kraftvolles Werk des puren Dadaismus – und natürlich der rätselhafteste der traditionell in dieser Schau zu bewundernden Künstler, der heuer – man staune – mit Bibelzitaten zu provozieren sucht. Das schelmische Grinsen des traditionell in knittelvershaften Dada-Reimen sprechenden naiven Künstlers macht die Deutung aber einfach – da bräuchte es eigentlich auch das Detail nicht, dass im an die Groteskerien der Art brut erinnernden Slogan »Höchste Zeit für Nächstenliebe« die »Nächstenliebe« unter Anführungszeichen steht.
Hut ab vor dem österreichischen Staat, der sich mit dieser Aktion um die Akzeptanz avancierter Kunst verdient macht. Ja, liebe Kunstfreunde: So sieht eine sinnvolle Anlageform steuerlicher Gelder aus.