Der weltweite Tourismus boomt, Hotels und Kreuzschifffahrt rechnen mit zweistelligem Gewinnzuwachs. Großereignisse wie die Fußballeuropameisterschaft und die Olympischen Spiele schrecken indessen andere Urlauber*innen ab.
Für den Tourismus lacht trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten und geopolitischer Spannungen wieder die Sonne. Die Hotels sind so voll wie schon lange nicht mehr, auch Luxusunterkünfte werden vermehrt nachgefragt und die Kreuzschifffahrt steuert sogar auf ein Rekordjahr zu. Die Reisebranche kommt nach der Pandemie jetzt wieder auf die Beine, wie eine aktuelle Studie von Kreditversicherer Acredia in Zusammenarbeit mit Allianz Trade belegt. »Die Menschen wollen und brauchen Urlaub, weder Inflation noch wirtschaftliche Unsicherheit können das Reisefieber abschwächen«, sagt Michael Kolb, Vorstand von Acredia.
Während der Pandemie waren die Gewinne der größten internationalen Hotelketten um durchschnittlich 55 Prozent eingebrochen. Seitdem erholt sich der Sektor zunehmend. Bereits im Vorjahr lagen die Einnahmen der großen Ketten durchschnittlich 13 Prozent über dem Niveau von 2019. Heuer wird erwartet, dass die Gewinne vor Steuern (EBITDA) um rund 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr wachsen.
Die Hotelauslastung lag weltweit im ersten Quartal 2024 bei durchschnittlich 61 Prozent, im Mai sogar bei 68 Prozent – dem höchsten Stand seit der Pandemie. Dabei machen Unterkünfte im Niedrigpreissegment den größten Anteil des weltweiten Angebots aus, während bis 2022 noch die gehobene Kategorie dominierte. »Die Inflation drückt auf die Reisekasse der Menschen«, sagt Kolb, »die Reisebranche hat daher das preisgünstige Segment ausgebaut.« Gleichzeitig verzeichnen auch Luxushotels, die lediglich drei Prozent des Marktes darstellen, eine verstärkte Nachfrage. Auch die Kreuzschifffahrt hat weiter zugelegt. 2023 stiegen die Einnahmen um 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr, für heuer wird ein Anstieg um weitere 15 Prozent prognostiziert.
Bild: Michael Kolb, Vorstand der Acredia Versicherung AG.
Europa beliebtes Reiseziel
Die beliebtesten Reiseziele weltweit liegen in Europa, im Vorjahr besuchten 53 Prozent aller Tourist*innen ein europäisches Land. Der schwache Euro sowie Großevents wie die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland und die Olympischen Spiele in Paris sorgen auch dieses Jahr für Besucherströme. Vor allem Reisende aus den USA nutzen die Gelegenheit, aufgrund des günstigen Wechselkurses Urlaub in Europa zu machen. »Der Tourismus hat einen enorm hohen Stellenwert für die Wirtschaft in Europa, rund zehn Prozent des europäischen BIP werden hier erwirtschaftet. Die positive Entwicklung der Branche ist ein wichtiger Lichtblick in der derzeit schwierigen Wirtschaftsphase«, so Kolb.
Allerdings könnten gerade die genannten Großveranstaltungen den berüchtigten »Teflon-Effekt« nach sich ziehen. Air France-KLM berichtete bereits von Buchungsrückgängen nach Paris – der Flugverkehr in die französische Hauptstadt sei diesen Sommer deutlich geringer als in andere europäische Städte. Die Airline rechnet mit Umsatzeinbußen von 160 bis 180 Millionen Euro. Auch die Hotelreservierungen gingen schon im Juni im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 25 Prozent zurück. Ein Grund dürften die explodierenden Preise sein: Kosten von bis zu 1.000 Euro pro Nacht schrecken viele Urlauber*innen, die nicht unbedingt an den Sportevents interessiert sind, ab. Auch Sicherheitsbedenken dürften eine Rolle spielen. In Frankreich wurde schon im Vorfeld der Olympischen Spiele die höchste Alarmstufe ausgerufen.
Überschaubare Effekte
Ob sich derlei Veranstaltungen, die sich über mehrere Wochen erstrecken, wirtschaftlich rechnen, ist tatsächlich fraglich. Ökonomen kamen im Zuge der EM 2024 in Deutschland zu einem ernüchternden Ergebnis. Zwar rechnete die Stadt Berlin im Vorfeld mit insgesamt 600 Millionen Euro direkter und indirekter Wertschöpfung und München ging von 144 Millionen Euro Einnahmen allein durch die anreisenden Stadionbesucher*innen aus. Auch das Münchner ifo-Institut erhob, dass 600.000 ausländische Gäste rund eine Milliarde Euro zusätzlich nach Deutschland bringen, das entspricht etwa 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal. »Der Effekt ist jedoch nur kurzlebig, sodass die Dienstleistungsexporte durch heimkehrende Touristen nach Ende der EM im dritten Quartal wieder sinken und unter dem Strich gleich bleiben dürften«, sagte Ifo-Forscher Gerome Wolf.
Längerfristige gesamtwirtschaftliche Auswirkungen wird die Europameisterschaft kaum nach sich ziehen. Schon bei der WM 2006 in Deutschland hielten sich diese in Grenzen, wie eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung aufzeigte, denn »Einnahmen durch Fußballtouristen stehen Substitutions- und Verdrängungseffekte gegenüber«.
Wie groß der PR- und Werbewert ist, der sich aus der medialen Berichterstattung ergibt, lässt sich freilich kaum seriös beziffern. Weniger frequentierte Austragungsstädte wie Köln, Frankfurt und Leipzig hoffen jedenfalls, auf diesem Weg ihr internationales Ansehen zu stärken und vermehrt in den Fokus der Reisenden zu rücken. Laut Oliver Holtemöller, Co-Autor der Leibniz-Studie, könne einen größeren positiven Effekt aber lediglich das jeweilige Siegerland verbuchen. Demnach würde diesmal also Spanien am meisten profitieren.
Bild: Sportveranstaltungen bringen meist nur ein kurzfristiges, auf wenige Branchen begrenztes Einnahmenplus, die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen halten sich in Grenzen.