Montag, November 25, 2024
Wertstoff statt Klimakiller

Kohlendioxid ist einer der Hauptverursacher des Klimawandels – die Reduktion der CO2-Emissionen hat deshalb oberste Priorität. Parallel dazu wird intensiv an Verfahren geforscht, mit denen CO2 als Rohstoffquelle genutzt werden kann.

Das Treibhausgas Kohlendioxid ist nur eine von unzähligen chemischen Verbindungen, die auf Kohlenstoff basieren. Doch der hohe Anteil an CO2, der bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe in die Erdatmosphäre gelangt, wirkt sich deutlich auf das Klima aus. An Dekarbonisierung oder zumindest Defossilierung führt deshalb kein Weg vorbei.

Wo es (noch) nicht möglich ist, die Emissionen auf Null zu reduzieren, sucht man nach Möglichkeiten, freigesetztes CO2 einzufangen, den enthaltenen Kohlenstoff abzutrennen und zu speichern oder zu nutzen. Da Endlagerstätten tief unter der Erde nicht als nachhaltige Lösung des Problems erscheinen, gibt es weltweit Forschungsprojekte, die auf die laufende Verwertung von CO2 im Sinne eines Kohlenstoffkreislaufs abzielen. Die damit verbundenen Technologien werden unter der Bezeichnung »Carbon Capture and Utilization« (CCU) zusammengefasst. Zur Abscheidung des Kohlenstoffs kommen chemische und/oder biologische Prozesse zum Einsatz. Bei der chemischen Katalyse wird das klimaschädliche CO2 zu Methan und Wasserdampf umgewandelt.

Ein Bioreaktor in Gent: Der Stahlproduzent AcelorMittal sucht nach Möglichkeiten, klimaschädliche Kohle durch zirkulären Kohlenstoff, Biomasse und sogar durch Kunststoffabfälle zu ersetzen. (Bild: AcelorMittal) 

Die biologische Methanisierung geht noch einen Schritt weiter, indem die bei der Katalyse entstandenen Produkte Methanol und Ameisensäure als »Futter« für Mikroorganismen dienen. Auf diese Weise werden bereits Polymere für CO2-basierten Kunststoff, Zusatzstoffe für Baumaterialien sowie Düngemittel hergestellt. »Wir nutzen das CO2 als Rohstoffquelle«, erläutert Jonathan Fabarius, Themenfeldleiter für Mikrobielle Katalyse am Fraunhofer-Institut IGB. »Wir können gänzlich neue Produkte realisieren, aber auch den CO2-Fußabdruck klassischer Produkte verbessern.«

Während für herkömmliche chemische Prozesse viel Energie und teilweise toxische Lösungsmittel erforderlich sind, laufen Verfahren mit Mikroorganismen in der Regel energieeffizienter und umweltfreundlicher ab: Mikroben wachsen in wässrigen Lösungen. Um die Eignung für ein bestimmtes Produkt zu beeinflussen, greifen die Forscher*innen in den Stoffwechsel des Mikroorganismus ein, so Fabarius: »Dafür bringen wir Gene in die Mikroben ein, die den Bauplan für bestimmte Enzyme liefern – man spricht dabei auch von Metabolic 
Engineering.«

Kleine CO2-Fresser

Nicht nur mit nativ-methylothrophen Bakterien, die von Natur aus Methanol verwerten, sondern auch mit Hefe wird experimentiert. An der BOKU Wien beschäftigt sich ein Forschungsteam mit der Entwicklung eines Hefestamms, der CO2 und Methanol in Biomasse umwandelt und hochwertiges, eiweißreiches Tierfutter liefert. »Hefe hat deutlich mehr Vitamine und das Aminosäurenspektrum ist vorteilhafter«, erklärt Biotechnologe Thomas Gaßler.

Dieser Prozess kann ohne agrarische Ausgangsprodukte betrieben werden und ist frei von Pestiziden. Die Hefe-Biomasse könnte das in der industriellen Viehhaltung übliche Fisch- und Sojamehl ersetzen. Der wenig nachhaltige Anbau von Soja und die langen Transportwege würden somit in Zukunft entfallen. Bei der Verleihung des österreichischen Gründerpreises Phönix 2021 holte CarboFeed den Sieg in der Kategorie »Prototyp des Jahres«.

Bisher setzte das Team die Technologie erfolgreich im Labormaßstab um. Die Skalierung und industrielle Anwendung ist das nächste Ziel – denkbar wäre etwa eine Anlage direkt neben einem Industriepark, um das CO2 direkt vor Ort in Methanol umzuwandeln. Gleichzeitig arbeiten die Forscher*innen an einem weiteren Hefestamm, der Ameisensäure als Energieträger nutzt.

CarboFeed gewann 2021 den Gründerpreis Phönix in der Kategorie »Prototyp des Jahres«. Die Umwandlung von CO2 im industriellen Maßstab ist das nächste Ziel. (Bild: CarboFeed)

Das ebenfalls in Wien ansässige Start-up Arkeon hat sich auf die Umwandlung von CO2 in Aminosäuren für die menschliche Ernährung spezialisiert. Zum Einsatz kommen das Verfahren der Gasfermentation sowie sogenannte Archaeen, einzellige Mikroorganismen, die zur regenerativen Produktion von Lebensmitteln beitragen. In zehnjähriger Forschungsarbeit entwickelten die Gründer*innen eine Technologie zur Herstellung aller 20 Aminosäuren, die für die Proteingewinnung essenziell sind.

Nur ein Jahr nach der Firmengründung konnte das Biotech-Unternehmen Anfang März 2022 in einer Seed-Finanzierungsrunde 6,5 Millionen Euro an Land ziehen. Als Investoren beteiligen sich Synthesis Capital und ReGen Ventures, beide mit Background im Bereich Klima- und Lebensmitteltechnologie. »Wir sind stolz darauf, mit erfahrenen Investoren zusammenzuarbeiten, die fest an unsere Vision glauben, die nächste Generation von Proteinzutaten allein aus CO2 herzustellen«, sagt Gregor Tegl, Geschäftsführer von Arkeon Biotechnologies. 

Archeen sind hocheffiziente Mikroorganismen, die aus CO2 nahrhafte Proteine produzieren können. (Bild: Arkeon)

Bereits in Bau ist eine Pilotanlage, die auf den Forschungsergebnissen des Start-ups Econutri – einem Spin-off des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) und der TU Graz – basiert. Das dafür verwendete Bakterium »Cupriavidus necator« ist in der Lage, CO2 in hochwertiges Protein umzuwandeln, ähnlich wie bei der Photosynthese von Pflanzen. Der Haken: Als Energiequelle dient Wasserstoff, der derzeit noch sehr teuer ist.

Helmut Schwab, wissenschaftlicher Leiter bei Econutri und ehemaliger Vorstand des Instituts für Molekulare Biotechnologe an der TU Graz, rechnet jedoch in Zukunft mit einer wesentlich günstigeren Herstellung – das Verfahren sei nämlich äußerst energieeffizient. In Zusammenarbeit mit einem österreichischen Unternehmen wird ein Bioreaktor mit einem Gesamtvolumen von 300 Litern errichtet. Pro Liter könnten 100 Gramm Biomasse produziert werden, die bis zu 80 Prozent aus Protein bestehen und als Futtermittel für Tiere oder in der Lebensmittelindustrie verwendet werden können. Die Grundtechnologie eignet sich aber auch für die Herstellung von umweltfreundlichem Kunststoff. Die nächste Entwicklungsphase sieht die direkte Nutzung von CO2-Quellen, etwa einer Zementfabrik, vor. 

Das Biotech-Unternehmen Arkeon konnte in einer Finanzierungsrunde 6,5 Mio. Euro an Land ziehen. (Bild: Arkeon)

Treibstoff-Alternative

Für einen wesentlichen Anteil der weltweiten CO2-Emissionen sind Autos und Flugzeuge verantwortlich. Eine Alternative zu fossilen Treibstoffen könnten synthetische Treibstoffe sein, die aus CO2 und grünem Strom hergestellt werden und auf diese Weise den CO2-Kreislauf schließen. Vielversprechende Ergebnisse für die Luftfahrt lieferte bereits das US-Start-up Twelve. Mithilfe elektrochemischer Katalyse wird unmittelbar aus der Luft aufgefangenes CO2 aufgespalten und in sauberes Kerosin umgewandelt. Die US Air Force unterstützt die Entwicklungsarbeit.

Der synthetische Kraftstoff ist bereits zertifiziert, Twelve ließ sich zudem die Marke »CO2Made« beim US-Patentamt schützen. Auch Fluglinien wie United Airlines investieren in sogenannte »Sustainable Aviation Fuels« (SAF) als Ersatz für fossile Treibstoffe. Die Wirtschaftlichkeit der produzierten Mengen hält sich derzeit noch in Grenzen, es mangelt auch an der ausreichenden Versorgung mit erneuerbarem Strom.

Seit einigen Wochen testen OMV und Austrian Airlines einen nachhaltigen Kraftstoff, der aus altem Speiseöl hergestellt wird. Derzeit fällt der Output mit 1.500 Tonnen Kraftstoff noch bescheiden aus. Um das in der Konzernstrategie vorgegebene Ziel von jährlich 700.000 Tonnen SAF zu erreichen, plant die OMV ähnliche Projekte in Deutschland und Rumänien.

Nicht nur die Verfügbarkeit nachhaltiger Treibstoffe ist noch ein Problem, sondern der Preis: »Sustainable Aviation Fuels« kosten das Drei- bis Sechs-fache gegenüber herkömmlichem Kerosin. (Bild: US Air Force)

Der Bedarf ist gegeben: Allein die AUA verbrauchte im Vorkrisenjahr 2019 knapp 800.000 Tonnen Kerosin. Auch die Fluglinie will bis 2050 komplett CO2-neutral wirtschaften. Schon in drei Jahren ist in der EU die Beimischung von SAF zum Kerosin verpflichtend – ab 2025 zwei Prozent, 2050 bereits 63 Prozent. Es spießt sich aber nicht nur an der Verfügbarkeit nachhaltiger Treibstoffe, sondern auch am Preis: SAF kosten das Drei- bis Sechsfache im Vergleich zu herkömmlichem Kerosin. Mittelfristig soll daher der »Power-to-Liquid«-Prozess zur Anwendung kommen, bei dem Wasserstoff in Verbindung mit CO2 in klimafreundliche, synthetische Brenn- und Kraftstoffe umgewandelt wird. Allerdings ist auch der Großeinsatz von Wasserstoff noch nicht ausgereift, zudem braucht es zur Herstellung wiederum erneuerbaren Strom in ausreichender Menge.

Eine gemeinsame Versuchsanlage von Siemens Energy und dem Chemiekonzern Evonik ist seit September 2020 in Marl im Ruhrgebiet in Betrieb. Das Prinzip der künstlichen Photosynthese soll hier für die Erzeugung von Spezialchemikalien und in weiterer Folge für synthetischen Treibstoff genutzt werden. In einem zweistufigen Prozess wird CO2 zunächst durch Elektrolyse aufgespalten und dann in einem Bioreaktor in Butanol und Hexanol umgewandelt. Laut Thomas Haas, Leiter des Projekts Rheticus, ist die Wirtschaftlichkeit bereits heute gegeben. Eine kommerzielle Anlage könne jährlich 10.000 Tonnen Hexanol und Butanol herstellen und ca. 25.000 Tonnen CO2 binden.

Ethanol aus Industrieabgasen wird seit 2018 in großem Stil beim chinesischen Stahl-unternehmen Shougang gewonnen. Das Know-how für den Fermentationsprozess liefert das US-Biotech-Unternehmen Lanza Tech, das derzeit auf europäischem Boden für das Stahlwerk von ArcelorMittal in Gent eine Anlage errichtet. Ab Ende 2022 werden in vier Bioreaktoren rund 80 Millionen Liter Ethanol erzeugt, das entspricht knapp der Hälfte des jährlichen Bedarfs in Belgien. Wird das Ethanol jedoch als Kraftstoff verbrannt, entsteht wiederum klimaschädliches CO2.

Der Verbrauch an fossilen Ressourcen wird durch die Wiederverwertung des Kohlenstoffs zwar reduziert, wie viele Tonnen an Emissionen letztlich eingespart werden, ist jedoch fraglich. »Die einmalige Nutzung von Kohlenstoff muss der Vergangenheit angehören«, ist Jennifer Holmgren, CEO von Lanza Tech, dennoch überzeugt. Solange keine überzeugende Alternative zu fossilen Treibstoffen gefunden ist, sei recycelter Kohlenstoff aus Abgasen eine gute Wahl. 

Green City

Wie Müllverbrennungsanlagen in den CO2-Kreislauf eingebunden werden können, um einen Beitrag zur klimaneutralen Energieversorgung von Städten zu leisten, ist ebenfalls Gegenstand von zukunftsweisenden Forschungsarbeiten. In Wien wurden bereits ab 2015 im Rahmen des Projekts »ViennaGreenCO2« Technologien zur CO2-Abscheidung erprobt. »Die drastische Reduzierung von CO2-Emissionen ist wesentlich, damit Städte wie Wien lebenswert bleiben. Die Entwicklung von CO2-Abscheidungsverfahren kann im Gesamtkontext der Dekarbonisierung ein wichtiger Baustein sein«, unterstreicht Wien Energie-Geschäftsführer Karl Gruber. 

CO2- Abscheidung im Kraftwerk: Über 90 Prozent CO2 können hier in Simmering aus Abgasen herausgefiltert und für die weitere Nutzung als Dünger aufbereitet werden. (Bild: Wien Energie)

In einer Pilotanlage im Biomasse-Kraftwerk Simmering gelang es in rund 1.000 Betriebsstunden, mit niedrigem Energieeinsatz über 90 Prozent des CO2 aus Abgasen abzuscheiden. Mit einem Reinheitsgrad von 95 Prozent eignet sich das abgeschiedene CO2 als Düngemittel in Gewächshäusern. An dem im Juni 2020 abgeschlossenen Projekt waren acht Partner, darunter auch LGV, Ilkprojekt und M-TEC, beteiligt. Forscher*innen der TU Wien und der BOKU Wien entwickelten gemeinsam mit dem Mineralölkonzern Shell die Anlage, die von der Vorarlberger Bertsch Holding konstruiert wurde.

Rob Littel, General Manager für CO2-Vermeidungstechnologien bei Shell, betont das Potenzial des innovativen Projektansatzes: »Wir halten die Abscheidung und Nutzung von CO2 für eine essenzielle Maßnahme, um das ambitionierte Ziel, den Klimawandel einzudämmen, zu erreichen und dabei mehr und sauberere Energie zu liefern.«

Die CCU-Technologie ermöglicht es, das CO2 aus bestehender Energie-Infrastruktur sowie aus energieintensiver und Schwerindustrie, z. B. der Zement- und Stahlerzeugung, zu entfernen und stofflich zu nutzen. Die Projektanlage wurde inzwischen zu einem Standort in die Niederlande transferiert, um dort die Technologie auf den Einsatz im industriellen Maßstab vorzubereiten.

 

Im Umfang des Projekts »ViennaGreenCO2« werden verschiedene Möglichkeiten zur Reduktion von Kohlenstoffdioxid erforscht und getestet. (Bild: TU Wien/ Julius Pirklbauer)

Klimaneutraler Zement

Die größte Hürde bei der Nutzung von Industrieabgasen ist die Verunreinigung. Das von Zementwerken freigesetzte CO2 muss für die Weiterverarbeitung aufwendig gereinigt und konditioniert werden. »Zum Beispiel müssen Katalysatorgifte, Staub und andere Störstoffe entfernt werden«, erklärt Kai junge Puring vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. »Das ist sowohl technisch als auch wirtschaftlich eine Herausforderung.«

Sein Team forscht in Zusammenarbeit mit Partnerunternehmen an Möglichkeiten, die Abgasströme direkt zu nutzen, ohne vorgeschaltete Reinigung und Konditionierung. Dafür sind robuste und vergiftungsresistente Katalysatoren aus Materialien erforderlich, die sich stabil gegenüber Schwefel und anderen problematischen Substanzen verhalten.

Eine ähnliche branchenübergreifende Zusammenarbeit gibt es in Österreich mit dem Projekt »Carbon2Product Austria« (C2PAT), an dem sich Verbund, OMV, Borealis und Lafarge beteiligen. Hauptziel ist die Planung und Errichtung einer Anlage zur Kohlenstoffabscheidung im Zementwerk Mannersdorf, um den jährlichen Ausstoß von 700.000 Tonnen CO2 künftig als Ressource zu nützen.

Durch Bündelung gemeinsamer Entwicklungsaktivitäten soll eine sektorübergreifende Wertschöpfungskette entstehen: Der Verbund stellt Strom aus erneuerbaren Quellen und grünen Wasserstoff zur Verfügung. Das abgeschiedene CO2 wird in der OMV-Raffinerie zur Herstellung von synthetischem Kraftstoff genutzt. Borealis plant die Produktion von Polypropylen, einem hochwertigem Kunststoff, der recycelbar ist.

Die Pilotanlage in Mannersdorf geht voraussichtlich 2025 in Betrieb – dann soll auch erstmals klimaneutraler Zement auf den Markt kommen. 

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