Sonntag, Dezember 22, 2024
Land der Erfinder*innen

Österreich hat durch die Pandemie einen kräftigen Digitalisierungsschub erfahren. Diesen Schwung gilt es nun auch für die Innovationskraft zu nützen, denn die heimische Wirtschaft kann im internationalen Wettbewerb nur mit Qualität und technologischem Vorsprung bestehen.


Auf den ersten Blick sieht Österreichs Innovationsbilanz nicht so schlecht aus. Bei den europäischen Patentanmeldungen pro Kopf belegt die Alpenrepublik im EU-Vergleich Platz sieben. Im Global Innovation Index der UN-Organisation für geistiges Eigentum konnte Österreich gegenüber 2020 auf Rang 18 vorrücken und zählt damit im jährlichen Vergleich der Innovationskraft von 132 Volkswirtschaften zu den wenigen Ländern, die sich im Ranking verbessern konnten.

Was die F&E-Quote betrifft, liegt Österreich EU-weit an dritter Stelle. Auch bei EU-Förderprogrammen sind heimische Projekte stark präsent. Gemessen am Output verlaufen die hohen Ausgaben jedoch oftmals im Sand – zu wenige Forschungsaktivitäten führen tatsächlich zu radikalen Innovationen, die im Ausland für Aufsehen sorgen. Die Bereiche, in denen Österreich eine internationale Spitzenposition einnimmt, sind an einer Hand abgezählt: Quantentechnologie, Life Science und Digital Health.

Gerade in der medizinischen Diagnostik konnten durch künstliche Intelligenz bahnbrechende Anwendungen entwickelt werden. Bei den Fachkräften zeigt sich jedoch ein enormer Mangel, wie Nikolaus Kawka, CEO von Zühlke Österreich, bei einem Event der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein im November erklärte: »In Österreich haben wir das Problem, dass wir digitale Talente suchen, bekommen sie aber nicht. Der Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet.« Neben dem Datenschutz, der das Generieren von Daten unnötig erschwere, sieht er weitere Altlasten in den Versäumnissen der vergangenen Jahre.

»80 Prozent unserer Projekte haben Probleme, überhaupt Daten aus den Datensilos zu sammeln und zu analysieren, um irgendwann einmal daraus KI zu machen. Hier erkennt man die fehlenden Investitionen der letzten 20 Jahre«, so Kawka. »Es gibt viele Leichen im Keller der Unternehmen wie zum Beispiel fehlendes Datenmanagement.« Die DSGVO habe viele Entwicklungen zusätzlich verzögert.


Pioniergeist

Erfinder wie Josef Frauscher, Geschäftsführer der Frauscher Thermal Motors GmbH, kümmert das kaum. Seit 20 Jahren tüftelt er unbeirrt an Stirlingmotoren und betreibt in St. Marienkirchen in Oberösterreich ein eigenes Forschungszentrum. Mehr als 180.000 Arbeitsstunden flossen bereits in die Forschung und Entwicklung. Mit der patentierten alphagamma-Technologie erzielte er 2017 den Durchbruch und heimste bereits mehrere Preise ein, zuletzt den German Innovation Award 2021.

Der neuartige Motor ermöglicht es, Gülle aus der Landwirtschaft oder Kläranlagen zu elektrischer Energie und Heizungswärme umzuwandeln. Das klimaschädliche Methan wird somit effizient genutzt und gleichzeitig unschädlich für die Atmosphäre gemacht. Bislang wird in Biogasanlagen vor allem Mais und Raps verwendet – durch den hohen Bedarf an fruchtbaren Ackerböden steht der Anbau jedoch stark in der Kritik. Josef Frauscher hofft, dass in naher Zukunft der klimaschonende Effekt derartiger Anlagen entsprechend gefördert wird: »Der Anreiz zur Reduktion der Methan-Emissionen aus der Viehzucht kann nur daran liegen, dass den Landwirten die Verminderung der Emissionen entsprechend der klimawirksamen Wertigkeit vergütet wird.«



Der Unternehmer Josef Frauscher tüftelt seit 20 Jahren an Stirlingmotoren. (Bild: Erwin Berghammer)

Auch die Gründer*innen des Wiener Start-ups Helioz treiben hehre Ziele an. »Als wir Helioz vor elf Jahren gegründet haben, waren Umweltschutz und CO2-Kompensation nicht annähernd ein so präsentes Thema wie heute. Mittlerweile sind die Begriffe glücklicherweise kaum aus dem Wortschatz wegzudenken«, erläutert Martin Wesian. Aus mehr als 1.000 Einreichungen aus 141 Ländern und als einziges österreichisches Unternehmen wurde Helioz ausgewählt, um auf der diesjährigen Dubai Expo unter 30 Best-Practice-Projekten seine nachhaltige Lösung zur Wasserdesinfektion zu präsentieren. 

Das 2010 gegründete Unternehmen entwickelte eine Methode, mit der es möglich ist, verschmutztes Wasser mittels Solarenergie zu reinigen. Ein UV-Messgerät zeigt an, wann das Wasser trinkbar ist. Diese umweltfreundliche Methode versorgt bereits tausende Familien in Indien, Afrika und Südostasien mit sauberem Wasser.



Das Wiener Start-up Helioz entwickelte eine nachhaltige Lösung zur Wasserdesinfektion.


Lange Durststrecke

Bei Einsätzen von Feuerwehr und Rettung gelten in der Regel andere Prioritäten als Klimaschutz und Digitalisierung. Um diesen Anforderungen dennoch zu entsprechen, stattete die Rosenbauer International AG, global führender Feuerwehrgerätehersteller aus Leonding, die Fahrzeuge mit einer radikal modernisierten Architektur aus. Durch den Wegfall des konventionellen Antriebsstranges konnten sich die Entwicklungsingenieure weitgehend von der klassischen Aufbauphilosophie lösen. Das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort zeichnete diese technologische Pionierleistung mit dem diesjährigen Staatspreis Innovation aus.



Der Feuerwehrgerätehersteller Rosenbauer wurde mit dem Staatspreis Innovation ausgezeichnet.

»Wir freuen uns sehr über diese Anerkennung und sehen darin eine Bestätigung unserer vor rund zehn Jahren begonnenen Entwicklungsarbeit an diesem Fahrzeug«, sagt Markus Schachner, Leiter des Rosenbauer Product Development. »Der RT vereint aus unserer Sicht alles, worauf es im Feuerwehreinsatz der Zukunft ankommt: eine hoch ergonomische Fahrzeugarchitektur, einen emissionsarmen Antrieb, ein innovatives, weitgehend digitalisiertes Bedienkonzept und umfassende Konnektivität.«

Das »Feuerwehrauto der Zukunft« verfügt über ein E-Antriebskonzept, das die Fahrzeuge emissionsärmer, sicherer, aber auch wendiger macht. Das Lichtsystem wirft weniger Schatten und der Geräuschpegel ist insgesamt niedriger. Seit Anfang 2021 sind die ersten Fahrzeuge bei der Berliner Feuerwehr bereits im Regeleinsatz – mehr als 90 Prozent der Fahrten können rein batterie-elektrisch erfolgen. Gegenüber einem dieselgetriebenen Löschfahrzeug ergibt sich daraus eine jährliche Ersparnis von 14 Tonnen CO2.


Auf den Markt bringen

Die lange Entwicklungsdauer mancher Innovationen bedeutet für Unternehmen mitunter eine harte Durststrecke. Insbesondere KMU kann das an finanzielle Grenzen bringen. Das Forschungsnetzwerk Austrian Cooperative Research (ACR) ermöglicht einen niederschwelligen Zugang zu Forschungsergebnissen und unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei ihrer Innovationsarbeit. »Die ACR-Institute haben genau jenen Zug zum Tor, den wir so dringend brauchen, um Innovationen auf den Markt zu bringen, mit welchen auch Umsätze generiert werden«, betont ACR-Präsidentin Iris Filzwieser.

Die im Rahmen der ACR-Enquete im Oktober ausgezeichneten Projekte zeigen die große Bandbreite der heimischen Innovationen: ein Modell, das den Ertrag von Solaranlagen im Realbetrieb voraussagt, 3D-gedruckte Hochsicherheitsbauteile aus Stahlguss, die Charakterisierung von Laserschäden an künstlichen Linsen, die Entwicklung eines CO2-Kompressors für Kühlanlagen und Wärmepumpen sowie die Entwicklung eines nachhaltigen Bindemittels für Spritzbeton. Diese Vielfalt freut auch Mariana Kühnel, stellvertretende Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich: »Besonders beeindruckend an den eingereichten Projekten sind die Kooperationen der Institute und Unternehmen aus den verschiedenen Branchen und Forschungsdisziplinen.«



Cornelia Bauer, Chemikerin bei der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ), forscht an der Optimierung von Spritzbeton. (Bild: ACR/Alice Schnür-Wala)

Neben dem Innovationspreis wurden der ARC Woman Award sowie der ACR Start-up-Preis vergeben, um Leistungen von Frauen in Technik und Wissenschaft sichtbar zu machen und innovative Jungunternehmen auszuzeichnen. »Start-ups haben einen proaktiven, risikofreudigen, Go-to-Market-Ansatz, um Innovationen voranzutreiben und umzusetzen. Sie tragen daher zum Erfolg und zum nachhaltigen Wachstum des Standorts bei und schaffen hochwertige Arbeitsplätze«, sagt aws-Geschäftsführer Bernhard Sagmeister. Die Austria Wirtschaftsservice (aws) unterstützt als Förderbank des Bundes junge Unternehmen mit Garantien, Krediten, Zuschüssen und Coaching.


Forschung nutzen


Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in Österreich rund um heimische Universitäten und Fachhochschulen noch relativ wenige Spin-offs und Start-ups. Der österreichische Investor und Mitgründer der Firma ARM Limited, Hermann Hauser, und Risikokapitalgeber Herbert Gartner, CEO von eQventure, riefen deshalb Ende November die Initiative »Spin-off Austria« ins Leben. Die Finanzierung erfolgt meist durch die Gründer*innen, öffentliche Förderungen, Risikokapitalgeber oder Banken. Bei der Nutzung von neuen wissenschaftlichen Verfahren oder Forschungsergebnissen der Universität ist jedoch vorab die Frage des geistigen Eigentums zu klären.

Als positives Beispiel nennt Hauser die Universität Innsbruck, wo es seit 2008 eine Unternehmensbeteiligungsgesellschaft gibt, die sich an kommerziell ausgerichteten Spin-offs der Universität beteiligt. Ein Erfolgsbeispiel: 2018 übernahm der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim das Biotech-Unternehmen Vira Therapeutics, ein Spin-off der Medizinischen Universität Innsbruck, um 210 Millionen Euro. Österreich gibt zwar 3,2 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aus, werden die Ergebnisse jedoch im Ausland verwertet, sei dies zum Schaden der heimischen Steuerzahler*innen, so Hauser:
»Die Frage ist: Können wir es uns leisten, wissenschaftliche Erkenntnisse nicht wirtschaftlich umzusetzen?«


Start-Ups: Gewinnbeteiligung für Mitarbeiter*innen

Ab 1. Jänner 2022 ist eine Gewinnbeteiligung von Mitarbeiter*innen als steuerfreie Prämie bis zu 3.000 Euro pro Jahr möglich. Besonders in der Start-up-Szene machte sich ob dieser Ankündigung große Enttäuschung breit. Die Beteiligung ist nämlich an die Gewinne des Vorjahres geknüpft – und die können junge Unternehmen selten vorweisen. Zudem sind in der Gründungsphase kaum Vermögenswerte vorhanden, was die Bewertung des Unternehmens schwierig macht. »Wir brauchen den Wachstumsmotor der Start-ups und die innovative Kraft«, sagt Markus Raunig vom Verband AustrianStartups.

Die rund 2.500 österreichischen Start-up-Unternehmen haben bereits mehr als 20.000 Arbeitsplätze geschaffen. In den nächsten Monaten könnten noch einmal 10.000 Jobs dazukommen, wenn die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen verbessert werden. Gemeinsam mit der Wirtschaftsprüfung Mazars wurde nun ein alternatives Modell vorgestellt. Die wichtigsten Eckpunkte: Beteiligungen für Mitarbeiter*innen sollen ungeachtet einer Freigrenze nicht als Vorteil aus dem Arbeitsverhältnis betrachtet werden, daher sollen sich auch weder Lohn-Besteuerung noch SV-Pflicht daraus ergeben. Damit die Begünstigung vorwiegend Start-ups zugute kommt, soll sie ausschließlich für Unternehmen gelten, die jünger als 15 Jahre sind, nicht börsennotiert sind und Mitarbeiter*innen pro Kopf mit maximal 20 Prozent  beteiligen.



Peter Wundsam, Geschäftsführer Mazars Austria: »Anreiz schaffen.«

Die steuerliche Bevorzugung von externen Gesellschafter*innen wäre mit diesem Vorschlag ebenfalls behoben. Denn während ein Investor derzeit auf die Gewinne bloß die Kapitalertragssteuer (27,5 Prozent) bezahlt, muss ein Mitarbeiter eine Beteiligung über dem Freibetrag mit dem Lohnsteuersatz und der Sozialversicherung versteuern. »Mitarbeiter*innen sollen Investor*innen gleichgestellt werden, denn sie investieren ja ihre Arbeitskraft und ihr Engagement«, betont Peter Wundsam, Geschäftsführer von Mazars Austria. »Es braucht ein Modell, das nicht noch höhere Lohnnebenkosten bringt und das für Mitarbeitende zudem ein tatsächlicher Anreiz ist.«

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