Montag, Dezember 23, 2024
Handel im Wandel

Die Ansprüche der Kund*innen sind in den letzten beiden Jahrzehnten stark gestiegen – die Coronapandemie hat diese Entwicklung noch zusätzlich befeuert. Stationärer Handel und E-Commerce können nicht immer mit diesen Erwartungen Schritt halten.

Krisen hat die Weltwirtschaft schon mehrere erlebt. Nach einigen Monaten geht es mit der Konjunktur aber wieder bergauf, nach zwei Jahren ist alles wie vorher.

»Nach der Ölkrise ging man wieder zur Tagesordnung über; diesmal nicht«, erklärt Peter Haller, Gründer der Serviceplan Gruppe. »Die Coronakrise ist die erste multilaterale Krise, die alle Bereiche betrifft.«

Konsument*innen verändern ihr Konsumverhalten, die Marktanteile haben sich um ein Drittel verschoben.
Mit Ausnahme des Lebensmitteleinzelhandels traf der erste Lockdown im März 2020 den Handel großteils wie ein Keulenschlag.

Kaum ein Geschäft – von der kleinen Modeboutique bis zur großen Einrichtungskette – war gut auf eine flächendeckende Schließung vorbereitet. Hier zeigte sich schmerzhaft und deutlich, wie sehr der heimische Handel die digitale Transformation verschlafen hatte.

Trotz jahrelanger Klagen über die Konkurrenz durch Amazon und andere Internetriesen war gar nicht erst versucht worden, dieser Übermacht mit einem eigenen Webshop-Angebot Paroli zu bieten. Vier von fünf stationären Geschäften verzeichneten eine sinkende Kund*innenfrequenz.

Eineinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie liefert die Studie »Post-Corona-Consumer« von TQS Research & Consulting interessante Erkenntnisse:
Neun von zehn österreichischen Kund*innen shoppen nun gleich viel oder viel mehr im Internet als zuvor. 43 Prozent kaufen Produkte, die sie bisher nur in Filialen besorgt hatten. Lediglich drei Prozent verzichten generell auf Webshops.



Wie sie trotz anhaltender Krise das Geschäft wieder beleben und mehr Kund*innen anlocken können, zählt für viele Betriebe nach wie vor zu den dringlichsten Fragen. Das bevorstehende Weihnachtsgeschäft könnte entscheidend für die Existenz einzelner Händler*innen sein.

»Kunden wollen heute möglichst einfach, schnell und bequem einkaufen – egal wo, egal wann«, sagt Helmut Kosa, Managing Partner der Growth Consultancy & US.

»Daher müssen auf möglichst allen verfügbaren Kanälen reibungslose Interaktionsmöglichkeiten mit Marken, Produkten und Dienstleistungen geschaffen werden.«

An allen Kontaktpunkten sollten positive Kund*innenerlebnisse geschaffen werden, um die Kund*innenbindung wieder zu stärken. Digitale Kund*innenbindungs­programme können dabei unterstützen.


Loyalität gesunken

Doch gerade die Touchpoints haben sich durch veränderte Mobilitätswege deutlich verschoben. Berufstätige verbringen mehr Zeit als früher im Homeoffice und nutzen seltener öffentliche Verkehrsmittel.

Mit dem Arbeitsleben verlagert sich auch der Kaufprozess zunehmend nach Hause bzw. ins Internet – damit fallen viele Kontaktpunkte, an denen potenzielle Kund*innen erreicht werden können, weg.

Im Zuge der Coronapandemie ist auch die Markenloyalität gesunken. Konsument*innen verzichten auf Markenprodukte, wenn es eine günstigere Alternative gibt – der Markenname allein bietet keine ausreichende Garantie für besondere Qualität.

Nie haben sich Marktanteile in den letzten Jahrzehnten so gravierend verschoben wie jetzt. Trotzdem halten die meisten Hersteller an der traditionellen Markenführung fest, wie GfK, Serviceplan Group und der Markenverband auf ihrer diesjährigen Marken-Roadshow offenlegten.

Laut Eduard Böhler, Managing Partner im House of Communication Wien, ist von einer nachhaltigen Veränderung der Konsument*innenbedürfnisse auszugehen, die eine Neuausrichtung der Markenführung bedingt:

»Auch auf dem österreichischen Markt spüren wir, dass die Menschen ihr Kaufverhalten in den Pandemiejahren drastisch verändert haben. Eine zaghafte und zeitlich verzögerte Reaktion darauf kann existenzbedrohend sein.

Aufgrund der hohen Volatilität werden die Karten vielfach neu gemischt: Noch nie war es so leicht, Marktanteile zu gewinnen – oder eben auch zu verlieren.«


Eduard Böhler, House of Communication: »Noch nie war es so leicht, Marktanteile zu gewinnen – oder zu verlieren.«

Vergleiche mit der Finanzkrise 2009 zeigen, dass Unternehmen, die antizyklisch agierten, ihre Werbeausgaben also trotz der Krise nicht reduzierten, bis zu 19 Prozent an Marktanteilen gewonnen haben. In der Pandemie zeigte sich noch deutlich höhere Volatilität.

Individuelle Botschaften

Customer-Experience hat in den vergangenen Jahren sehr an Bedeutung gewonnen. Künstliche Intelligenz und Robotik haben das Spektrum der Möglichkeiten wesentlich erweitert. Sprachaktivierte KI-Assistenten und robotergestützte Prozessautomatisierung sollen noch treffsicherer die Bedürfnisse der Kund*innen erkennen und erfüllen.

Während sich Unternehmen, die diese Technologien bereits einsetzen, sehr zufrieden zeigen, wird diese positive Einschätzung durch die Wahrnehmung der Verbraucher*innen nur teilweise bestätigt.

52 Prozent der Personen, die im Rahmen des jährlichen »Global Customer Experience Benchmarking Report« befragt wurden, gaben an, dass digitale Kanäle sie aufgrund begrenzter Möglichkeiten im Stich gelassen hätten. 44 Prozent berichteten von nicht verstandenen oder nicht beantworteten Anfragen.

»Die Kundenperspektive liefert sehr aussagekräftige Studienergebnisse«, erklärt Roman Oberauer, Vice President Go To Market & Innovation bei NTT Ltd. in Österreich.


Roman Oberauer, NTT: »Die Entwicklung neuer Technologien ist spannend, aber letztlich muss der Mensch immer im Mittelpunkt stehen.«

»Sie zeigen uns die – möglicherweise wachsende – Diskrepanz zwischen der Einschätzung der eigenen Leistung der Unternehmen und der Wahrnehmung des Kundenerlebnisses durch die Verbraucher. Die Entwicklung neuer Technologien im CX-Bereich ist spannend, aber letztlich muss der Mensch immer im Mittelpunkt stehen.«

Das Bedürfnis nach menschlicher Nähe ist ungebrochen. 38 Prozent der befragten Kund*innen ziehen es vor, mit echten Menschen zu sprechen und meiden digitale Kanäle.

Dazu kommt ein kritischeres Bewusstsein, was die Freigabe von Daten betrifft. Mehr als die Hälfte der Nutzer*innen löscht bereits regelmäßig die Cookies, jede*r Dritte verwendet bestimmte Browser und Suchmaschinen, um die Privatsphäre zu schützen.

Zukunft ohne Cookies

Um die Customer-Journey besser orchestrieren zu können, braucht es aber Daten – Marketingverantwortliche müssen daher neue Wege gehen, etwa mit Tech-Adaptionen an Google, Policy und Datenschutz.

KI-basierte Zielgruppenbestimmung wird in Zukunft den auslaufenden Cookie-Ansatz ablösen. Diese Anpassung der Mediatechnologie an ein Datenmanagement in Echtzeit steht aber in vielen Unternehmen noch aus.

Der Trend geht weg von einer Massenkampagne für alle, hin zu individuellen Botschaften für bestimmte Zielgruppen, die Konsument*innen in den verschiedenen Phasen ihrer Kaufentscheidung erreichen.
Das erfordert unterschiedliche Kampagnenvariationen, die auf das jeweilige Medium abgestimmt werden.

Mit der Digitalisierung der Customer-Journey wird der Weg zwischen »erstmals gesehen« und »sieht interessant aus« zu »sofortigem Kauf« kürzer.


Barbara Evans, Geschäftsführerin Mediaplus. 

»Hat man früher die Maßnahmen nach Image und Kaufaufforderung differenziert, werden dies nun eng verzahnt«, sagt Barbara Evans, Geschäftsführerin der Mediaplus Group.

Angesichts verschärfter Bestimmungen bleiben Unternehmen künftig deutlich weniger Daten, die sie für Marketing nutzen dürfen. Es braucht daher intelligente Services, die User*innen davon überzeugen, ihre Daten mit dem Unternehmen zu teilen.

Ohne Mehrwert für Konsument*innen wird es nicht gehen – für einen monatlichen Newsletter per E-Mail gibt niemand Cookies her.


Zur Info: Das Ende der Cookies? 

Spätestens seit der DSGVO ist klar: Cookies weiterhin für Tracking zu nutzen, wird schwieriger, wenn nicht gar unmöglich.

Während Firefox (Mozilla) und Safari (Apple) bereits länger Anti-Tracking-Methoden integriert haben, hielt sich Google bisher zurück.

Ab 2022 will nun – der mit Abstand populärste Browser – Google Chrome nachziehen und sogenannte Third-Party-Cookies blockieren. Die Marketing-Branche stellt das vor die grundsätzliche Frage, wie Nutzerda­ten künftig gesammelt und für personalisierte Werbung verwendet werden können.

Prinzipiell wird zwischen First-Party- und Third-Party-Cookies unterschieden. First Party bedeutet, dass das Cookie – ein kleiner Code-Schnipsel – auf der besuchten Webseite gesetzt wird.

Third-Party-Cookies stammen hingegen von Drittanbietern, die auf der besuchten Seite Werbung schalten. Sie markieren User und erkennen sie auch auf anderen Webseiten wieder.

Aus der Verweildauer, dem Aufruf von Links und der Häufigkeit von Seitenaufrufen lassen sich Interessens- und Nutzerprofile erstellen, auf deren Basis zugeschnittene Werbeanzeigen ausgespielt werden.

Während First-Party-Cookies nicht an Dritte übermittelt werden dürfen, ist dies bei Third-Party-Cookies sehr wohl erlaubt – der Weg der Nutzer*innen kann durch das gesamte Internet nachvollzogen werden.

Der Europäische Gerichtshof und die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) haben den Einsatz von Drittanbieter-Cookies bereits stark reguliert. User müssen einer Speicherung ihrer Daten explizit durch die Opt-In-Funktion zustimmen.

Voreingestellte Zustimmungs-Banner sind unzulässig. Andererseits zeigten sich Nutzer*innen von Cookie-Bannern zunehmend genervt – das Ende der Cookie-Ära werden sie sicher am wenigsten bedauern.

Um User und Publisher zufriedenzustellen und wohl auch die eigenen Einbußen in der Webanalyse zu minimieren, will Google seine »Privacy Sandbox« optimieren. Hier werden ebenfalls Nutzungsdaten gesammelt, einzelne User bleiben jedoch anonym. Personalisierte Werbung wird für eine übergeordnete Zielgruppe passend ausgespielt.

Eine alternative Möglichkeit für Unternehmen besteht darin, vermehrt auf First-Party-Daten zu setzen und eine eigene Nutzerdatenbank aufzubauen – auch daraus ließen sich Zielgruppen definieren.

Goodies oder exklusive Inhalte könnten Nutzer*innen Anreize zur Registrierung bieten.

Die führenden Schweizer Medienhäuser haben bereits eine gemeinsame Allianz gegründet – über ein Login haben registrierte Nutzer*innen Zugriff auf alle News-Plattformen, im Gegenzug stellen sie ihre Daten für personalisierte Werbung zur Verfügung.
 

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