Welche Auswirkungen haben die Pandemie und die Digitalisierung auf Frauen in unterschiedlichen Berufen? Im Gespräch dazu Manuela Vollmann, Geschäftsführerin von ABZ*AUSTRIA.
Report: Sie forcieren seit drei Jahrzehnten das Thema der Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt. Wie ist die Lage derzeit, im zweiten Pandemiejahr?
Manuela Vollmann: Wir haben schon seit der Finanzkrise eine hohe, verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit von Frauen und Männern. Aktuell trifft die Corona-Krise gerade auch Menschen, die schon lange erwerbsarbeitslos sind, zusätzlich zu jenen Arbeitslosen, die durch die Pandemie hinzugekommenen sind. Frauen haben die Kinder beim Homeschooling unterstützt, sich um ältere Familienangehörige gekümmert und auch noch den Haushalt übernommen – damit tritt die Erwerbsarbeit in den Hintergrund und sie müssen in weiterer Folge auf Einkommen und Pension verzichten.
Positiv sehe ich, dass der demografische Wandel und der Fachkräftemangel bei vielen Unternehmen zu einem Umdenken geführt haben. Die Babyboomer gehen in Pension – Die nachfolgenden Generationen sind weniger stark in der Zahl, haben aber andere Anforderungen. Um es auf den Punkt zu bringen: Sie leben nicht um zu arbeiten, sondern sie arbeiten, um zu leben. Auch Männer wollen ihre Kinder gleichberechtigt betreuen und versorgen. Das was die Jungen fordern, führt auch zu einer anderen Art von Führungsmodellen, die uns bei ABZ*AUSTRIA schon lange beschäftigen. Wir haben zum Beispiel auf Führungsebene ein Job-Sharing-Modell umgesetzt. Geteilte Geschäftsführungen machen Organisationen auch resilienter.
Corona hat auch dem Thema Digitalisierung einen enormen Boost und neue Zugänge verschafft – es gibt kaum eine Arbeitsumgebung und auch keinen privaten Bereich, wo die Digitalisierung sich nicht auf unterschiedliche Weise ausbreitet. Ich sehe hier Parallelen zu unserem Dauerthema Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Privatleben. Führungskräfte haben sich damit in der Vergangenheit schon beschäftigt, viele haben aber erst durch die Pandemie diese Herausforderung am eigenen Leib zu spüren bekommen. Hinsichtlich der Digitalisierung braucht es nun die passenden Strukturen in den Unternehmen, aber auch eine Fitness des Managements, hybrides Arbeiten zu unterstützen. Das gilt für Organisationen in der Größe von fünf Mitarbeiter*innen ebenso wie mit 20.000 Mitarbeiter*innen.
Report: Die Digitalisierung hat zumindest dort helfen können, wo Homeoffice möglich war.
Vollmann: Sie hat auch bei systemrelevanten Berufsfeldern an anderen Stellen Veränderungen gebracht. Die Digitalisierung ist früher vor allem bei von Männern dominierten Jobs das große Thema gewesen. Bis Corona gekommen ist, hatte man kaum Erfahrungen mit den Auswirkungen auf sogenannte traditionelle Frauenberufe – Berufsfelder, die natürlich nicht nur Frauen vorbehalten sind, aber in denen viele Frauen tätig sind. Wir arbeiten zum Beispiel viel mit Pflegeeinrichtungen zusammen und ich habe den Eindruck, dass die Pandemie etwas den Blick auf die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Pflegeberuf geschärft hat.
Report: Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf diesen Beruf?
Vollmann: Sie bringt viel Gutes, wie beispielsweise Tools für das effiziente Organisieren von Arbeitszeiten und für die Kommunikation – sie hat aber auch Kehrseiten. So wurden in einem Projekt bereits vor einigen Jahren Pflegerinnen mit Smartphones ausgestattet, die zu Beginn auch ganz glücklich darüber waren. Dann hat sich herausgestellt, dass diese Digitalisierung die Frauen auch belastet hat. Das Läuten des Handys hatte bedeutet: entweder gibt es eine Rüge oder die Bitte des Arbeitgebers, für andere einzuspringen und weitere Dienste zu übernehmen, oder sie bekommen Rückmeldungen von unzufriedenen Angehörigen. Das hat die erbrachte Arbeit nicht unbedingt verbessert, aber die Qualität des Arbeitsplatzes reduziert. Man muss also den Einsatz von digitalen Tools stets abwiegen und überlegen, welche Ziele damit verfolgt werden und die Auswirkungen analysieren. Gerade in Pflegeberufen ist die Wertschätzung für die geleistete Arbeit wichtig. Das hat auch Corona gezeigt. Doch auch hier könnte die Digitalisierung mit beispielsweise einer App, über die man sich untereinander für gute Arbeit lobt und Wertschätzung zeigt, helfen.
Report: Welche Faktoren haben aus Ihrer Sicht den Wandel in der Arbeitswelt in den vergangenen Jahren besonders geprägt?
Vollmann: Wir haben viele Jahre das Thema „Remote Work“ diskutiert und Anfang des Vorjahres eine Studie zur Situation von Frauen dazu im Südburgenland fertiggestellt. Untersucht wurden die Bedingungen, wie Frauen vor Ort gefördert und unterstützt werden können, damit diese nicht jeden Tag mit dem Auto oder den Bus nach Wien fahren müssen. Faktoren wie Vereinbarkeit oder klimafreundliche Arbeitswege waren da noch gar nicht im Fokus, spielen aber ebenfalls eine große Rolle. Unsere Frage war einfach: Wie können Frauen am Land höherqualifizierten Berufen nachgehen und damit entsprechend entlohnt werden? Nun, seit der Pandemie diskutieren wir auf einer völlig anderen Ebene. Es hat sich in den Köpfen so vieler Menschen die Einstellung verändert, dass einem Beruf nur bei ständiger Anwesenheit im Unternehmen nachgegangen werden kann.
Was wir jetzt brauchen, sind neue Arbeitsmodelle und vor allem Co-Working- und Co-Learning-Spaces. Denn Homeoffice allein lässt die Frauen eher verschwinden, sie werden wieder weniger wahrgenommen. Es gibt erste Erfahrungen, dass die traditionelle ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit dadurch eher noch zunimmt. Eine Möglichkeit, den Frauen am Land zu helfen, könnten Gemeindezentren oder Feuerwehrhäuser bieten, die oft die ersten mit Internetanbindung waren. Dort gibt es oft bereits Schulungsräume, die für Kurse beispielsweise zu E-Government-Services in Österreich genutzt werden. Diese Strukturen bieten sich nicht nur für eine gemeinsame Nutzung in den Bereichen Arbeit und Weiterbildung an, sie helfen auch den Menschen, sich vor Ort zu vernetzen.
Report: Wenn Sie einen Wunsch an Politik oder Wirtschaft frei hätten – was würden Sie umgesetzt sehen wollen?
Vollmann: Es braucht einen politischen Rahmen, der eine partnerschaftliche Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit deutlich stärker unterstützt. Wir schlagen ein Modell einer Familienarbeitszeit von 30/30 vor, in dem beide Eltern auf 30 Wochenstunden bei teilweisem, durch den Staat finanzierten, Lohnausgleich reduzieren. Nur wenn beide Elternteile in dieser Lebensphase Erwerbsarbeitszeit reduzieren, wenn es normal wird für Unternehmen, dass auch Männer diese Zeiten in Anspruch nehmen, wird eine Verschiebung von Verantwortlichkeiten und eine größere Selbstverständlichkeit von Frauenkarrieren gelingen. In Österreich gibt es bereits ein Elternteilzeitgesetz, dass in Kombination mit dem 30/30-Modell neue Arbeits- und Lebenswelten für Männer und Frauen ermöglichen kann.