Sonntag, Dezember 22, 2024
Von den richtigen Zutaten und der Kultur der Küche
Foto: Avanade

Christiane Noll, Geschäftsführerin von Avanade Österreich, über den Hunger nach Innovation in Unternehmen und warum es dafür nicht nur ein Rezept gibt.

(+) plus: Welche technologischen und wirtschaftlichen Veränderungen bringen einen Wandel in Produkten, Servicemodellen und in den Unternehmen selbst? Welche Trends machen Sie dazu für die kommenden Jahre aus?

Christiane Noll: Momentan redet jeder noch von der Digitalisierung, diese wird aber jetzt zum Standard. Wir alle sind vom Aufstehen in der Früh bis zum Schlafengehen von digitalisierten Prozessen umgeben. Die Automatisierung unserer Kommunikationskanäle und der Bereitstellung und Verteilung von Informationen verändert natürlich auch die Arbeitswelt. So habe ich selbst, bei meiner Arbeitsweise, die E-Mail-Flut, wie ich sie vor Jahren hatte, mittlerweile drastisch reduzieren können. Unsere Projektarbeit bei Avanade basiert heute zu einem Großteil auf der Collaboration-Plattform Microsoft Teams. Dort werden auf Knopfdruck die richtigen Informationen zu Projekten und der daran arbeitenden Menschen bereitstellt. Wie das davor war?

Früher hatte ich gut 100 E-Mails zu jedem Projekt, die in einem permanenten Pingpong ständig in die Runde geschickt wurden. Neben effizienteren Arbeitswerkzeugen sehe ich eine weitere große Veränderung in der sofortigen Verfügbarkeit von Dienstleistungen und Produkten, die in vielen Bereichen kommen wird. Amazon arbeitet noch an der »Same Day Delivery« – diesen Anspruch werden wir aber überall sehen. Er ist der zunehmenden Unruhe und Ungeduld der Menschen heute geschuldet.

Das wird auch B2B – den Geschäftskundenbereich – verändern, denn auch in Unternehmen arbeiten letztlich Menschen. Trotzdem sollte sich gerade die besonders schnelllebige IT-Branche noch auch zu Müßiggang besinnen können. Wir haben oft sehr viele Ideen. Mitunter sind aber die Kunden dafür noch gar nicht bereit.

(+) plus: Veränderungen sind technisch oft rasch umsetzbar, ausschlaggebend bleibt aber der Faktor Mensch.

Noll: Das ist überall der Fall. Wir sind nachträglich zu einem großen Projekt hinzugezogen worden, in dem es ursprünglich eigentlich nur um die Umstellung von einer älteren auf eine neue Version der Office-Software gegangen ist. Das wurde typischerweise rein als technisches Projekt gesehen, war aber an der Akzeptanz der User gescheitert. Den Nutzerinnen und Nutzern wurde einfach nicht erklärt, welche Prozessveränderungen damit einhergehen. Man hatte schlichtweg auf Schulungen verzichtet, damit aber Menschen beim Change-Prozess nicht mitgenommen. An solchen Banalitäten scheitern dann Projekte – selbst wenn eine neue Technologie eigentlich die Arbeit erleichtern sollte.

(+) plus:  Wie sollte Innovation prinzipiell in Unternehmen organisiert werden? Worauf gilt es zu achten?

Noll: Es gibt eine schöne Metapher dazu: Wenn du Hunger hast, gibt es nicht nur ein Gericht, das du essen kannst. Das Gleiche gilt für Innovation, die auf vielen Wegen, mit vielen Gerichten zubereitet werden kann. Es hängt nur von den Zutaten, die erhältlich sind, und der Kultur der Küche ab. Vor allem ist es diese Umgebung der Ressourcen, Prozesse und vielleicht auch Regulatorien, die den Weg prägen. Ziel sollte stets sein – um metaphorisch zu bleiben –, gesund satt zu werden. Es ist die Herausforderung in jedem Digitalisierungsprojekt schlechthin, sich nicht irgendetwas Beliebiges hineinzustopfen, sondern für das Unternehmen Verträgliches zu bekommen: das richtige Thema mit einem Nutzen für die Organisation oder die Kunden. Trotzdem kann das tollste Gericht auch nicht satt machen. Es schaut dann vielleicht perfekt aus, hat aber keinen »Impact«. Die Kunst hier ist einfach, die richtigen Fragen zu stellen. Dazu gehört, stets auch sich selbst in Frage zu stellen.

Auch wenn ein Hersteller oder Dienstleister in seinen Geschäftsbeziehungen nicht direkt Konsumenten anspricht, sollte man die Sichtweise der Endkunden einnehmen können, um tatsächlich Veränderungen zu bewirken. In die Rolle eines Bankkunden etwa kann sich sicherlich jeder versetzen – und sich vorstellen, vor welche Herausforderungen die Digitalisierung der Banking-Prozesse ältere Menschen, unsere Elterngeneration, stellt. Bei Kunden der Baubranche ist es vielleicht etwas anderes. Ein Beispiel ist ein Kranhersteller, der seine Kräne künftig nicht mehr verkauft, sondern verleiht.

Die Bauunternehmen wollen den Kran als Service verfügbar haben. Der Besitz dagegen ist für den Unternehmenskunden nutzlos. Das Prinzip des Produkts als Service entspricht zunehmend aber generell den Bedürfnissen der Gesellschaft – die Beispiele dazu werden täglich mehr, siehe car2go und viele andere Mobilitätsanbieter.

(+) plus: Vielerorts ist am Arbeitsplatz-Konzept in Unternehmen gedreht worden, hin zu weniger starren Strukturen. Ist das für das Thema Innovation förderlich gewesen?

Noll: Nehmen wir die Bankenbranche als Beispiel, in der in den letzten drei bis fünf Jahren die internen Arbeitsweisen vielfach verändert worden sind. Alle großen Banken haben heute den »Modern Workplace« – wo, wann und wie unterschiedlich gearbeitet wird – mit einer Selbstverständlichkeit in ihre Unternehmenskultur aufgenommen. Der Begriff des Home-Office ist nicht mehr stigmatisiert: Vor allem junge Leute, die direkt von der Universität oder Fachhochschule in die Arbeitswelt kommen, fordern dies geradezu ein. Es geht also nicht mehr um das Absitzen von Zeit, sondern um das Erreichen von Zielen, um die Sache selbst. Mit dieser Offenheit und Freiheit für den Einzelnen ebenso wie für eine Organisation sind die Kreativität und Innovationskraft gefördert worden. Das kommt dann wieder dem Unternehmen zugute.

(+) plus: Wie gehen Sie mit dem Thema um, dass mit Shared-Desk-Konzepten vor allem die Arbeitsplatzinfrastruktur reduziert wird – und auf einmal zu wenige Arbeitsplätze zu Verfügung stehen?

Noll: Auch wir verfolgen dieses Konzept und an manchen Tagen sieht unser Büro wirklich leer aus – wenn viele unserer Mitarbeiter bei Kunden sind. Das ständige Kommen und Gehen führt aber auch zu Unruhe. Wir erweitern gerade unsere Bürofläche und werden einen »Silent Working Space« einführen – Arbeitsplätze für Leute, die in Ruhe Themen entwickeln und daran arbeiten wollen. Dort können Mitarbeiter auch Plätze reservieren, etwa für die Dauer eines Projekts über mehrere Wochen. Dieses Thema ist also lösbar.

Veränderungsprozesse treffen immer auch auf Skepsis, die meist aber verfliegt. Auch wir haben bei Avanade massive Veränderungen durch ein ungeplantes schnelles Unternehmenswachstum in den letzten Jahren erlebt. Beim Onboarding treffen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit verschiedensten Unternehmenswerten im Gepäck aufeinander. Für alle unsere 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind unsere offenen Arbeitsweisen aber selbstverständlich geworden. Bei jenen, die aus verkrusteten Unternehmen gekommen waren, hat der Veränderungsprozess in den Köpfen sicherlich länger gedauert. Aber er hat stattgefunden.

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