Das Ibiza-Video und die Auflösung der Koalition bewegten das Land wie kaum zuvor. Bei der EU-Wahl zeigten sich indessen kaum Auswirkungen. Nach ersten Prognosen für die Nationalratswahl im September könnte in Bezug auf die Machtverhältnisse alles beim Alten bleiben. Lediglich eine Trendwende macht sich bemerkbar: Das in früheren Wahlkämpfen vorherrschende Thema Zuwanderung wurde vom Klimaschutz abgelöst. Wie glaubwürdig die Parteien dabei agieren und ob Ibiza tatsächlich ohne Folgen bleibt, hat Report(+)PLUS bei ExpertInnen nachgefragt.
1. Erstmals wird Klimaschutz im Wahlkampf von allen Parteien thematisiert. Wem gelingt das überzeugender?
Peter Filzmaier, Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz sowie geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien
Eine Standardfrage in der Wahlforschung lautet, ob Partei X bei einem Thema sehr, eher, eher nicht oder gar nicht Kompetenz und Glaubwürdigkeit zugeschrieben wird. Die Antwort darauf ist natürlich ein subjektiver Eindruck der Wähler und keine Studie über das wirkliche Themenwissen von Parteipolitikern. Doch das entsprechende Image entsteht über viele Jahre und ist für die Grünen hier unbestritten am besten. So ein Meinungsbild können andere Parteien nicht in ein paar Wahlkampfmonaten umdrehen.
Wolfgang Bachmayer, Geschäftsführer des Markt- und Meinungsforschungsinstituts OGM
Ja, das Thema Klimaschutz hat nun – auch abseits von jedem Greta-Hype – wieder Hochkonjunktur, nachdem es in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund gerückt ist. Aber auch vorher gab es schon Peaks wie das Waldsterben in den 80ern. Natürlich nutzt dieses Thema am meisten den Grünen als »Erfindern«. Die anderen versuchen natürlich mit aufzuspringen, aber noch gilt hier das Sprichwort von Schmied und Schmiedl.
Alexandra Siegl, Senior Consultant der Peter Hajek Public Opinion Strategies GmbH
Klimaschutz ist derzeit ein zentrales Thema, bei dem sich die Wählerinnen und Wähler Lösungen von der Politik erwarten. Somit kommt im Wahlkampf 2019 auch keine Partei daran vorbei, ein eigenes Konzept dazu zu präsentieren. Grundsätzlich werden Lösungen für den Klimaschutz am stärksten den Grünen zugetraut, die sich bei diesem Thema seit Jahren glaubhaft positionieren. Was aber nicht vergessen werden darf: Man wünscht sich zwar Lösungen für den Klimaschutz, nur eine Minderheit will sich aber auch selbst deutlich einschränken. Und da punkten Parteien, die Vorschläge präsentieren, bei denen der Einzelne nichts an seinem Verhalten ändern muss – Stichwort Wasserstoffauto oder Ausbau erneuerbarer Energien.
2. Führt die Ibiza-Affäre zu verstärk-tem Interesse der WählerInnen?
Peter Filzmaier
Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament haben das Strache-Video und die Folgeereignisse die Beteiligung erhöht. Allerdings hatten wir für den Nationalrat mit über 80 Prozent schon 2017 eine der höchsten Wahlbeteiligungen überhaupt. Es bestätigt sich aber eine Grundregel der Politikwissenschaft, dass Wählerzahl und Demokratiequalität nicht unbedingt zusammenhängen. Oft führen gerade Skandale oder Konfliktsituationen, die sich keiner vorher wünscht, zu mehr politischer Teilnahme.
Wolfgang Bachmayer
Das hat sich bereits bei den EU-Wahlen voll entfaltet, wo die Wahlbeteiligung auch durch die Abwahl der Regierung samt Kanzler Kurz enorm gestiegen ist. Auch wenn die Ibiza-Affäre für viele der aktuellen Entwicklungen verantwortlich ist, sind die Vorkommnisse in Ibiza – und damit HC Strache – schon in den Hintergrund gerückt. Natürlich werden aber die PolitikerInnen im Wahlkampf ausgiebig daran erinnern, das Thema Ibiza ist aber bei den WählerInnen schon weitgehend »gegessen«.
Alexandra Siegl
Die Ibiza-Affäre hat zu Beginn zu zwei gegenläufigen Effekten geführt: Einerseits wurden sowohl Gegner der FPÖ als auch Teile ihrer WählerInnen mobilisiert – Letztere über eine »Jetzt erst recht«-Kampagne –; andererseits fühlten sich viele WählerInnen auch stärker von der Politik abgestoßen. Je länger der Ibiza-Skandal zurückliegt, umso mehr verblassen diese Effekte. Was jedoch bleibt, ist ein gesunkenes Vertrauen in die Politik insgesamt, nicht nur in die FPÖ. »Es sind ja doch alle Politiker gleich«, denkt sich so mancher Wähler, und Nachrichten rund um dubiose Parteifinanzierungskonstrukte auch bei anderen Parteien verstärken diese Wahrnehmung.
3. Wird Korruption kritischer wahrgenommen?
Peter Filzmaier
Wahrgenommen ja, nur hinsichtlich der Konsequenzen bin ich skeptisch. Von den drei größeren Parteien will eher jeder genau dort mehr Transparenz, wo es ihm selber weniger weh tut. Als Wahlmotiv könnte der Eindruck »Die sind alle so!« – nämlich in ihrer Finanzgebarung nicht seriös – entstehen. Die Branche Politik hat ihren Ruf ruiniert. Doch muss sich jeder Einzelne von uns an der Nase nehmen. Wer ständig »Brauchen S' a Rechnung?« fragt, sollte nicht über Transparenzmängel in der Politik schimpfen.
Wolfgang Bachmayer
Ja natürlich, so hat es im letzten erfolgreichen NR-Wahlkampf 2013 der Grünen unter Eva Glawischnig eine zentrale und wirksame Rollo gespielt. Aber das Thema ist nicht neu und hat schon eine lange »Erfolgsgeschichte« in Wahlkämpfen, man denke nur an den AKH-Skandal, die Noricum-Affäre, Eurofighter etc. Insofern ist das aktuell von den Medien sehr intensiv behandelte Thema der Parteienfinanzierung bei der Wählerschaft gar nicht so »heiß« – nach dem Motto »Das haben wir eh schon immer gewusst«.
Alexandra Siegl
Der Themenkomplex Korruption und intransparente Parteifinanzen ist durch den Ibiza-Skandal wieder stärker in den Vordergrund und ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Das ist auch einer der Gründe, warum Grüne und NEOS in den Umfragen derzeit stärker sind als noch vor ein paar Monaten. Beide Parteien sind beim Thema Transparenz und Ehrlichkeit aus Sicht der Wählerinnen und Wähler glaubwürdig positioniert. Erstaunlich ist dennoch, wie wenig die FPÖ in den Umfragen verloren hat. Die blaue Wählerschaft wählt ihre Partei überwiegend aufgrund des Zuwanderungsthemas. Hier fühlt man sich nur von der FPÖ vertreten, da hält man sogar einen Ibiza-Skandal aus.