Im Interview mit Report(+)PLUS spricht der Erfinder der Urban Mining and Recycling-Wohneinheit UMAR, Werner Sobek, über die Notwendigkeit von ressourcenschonendem Bauen und erklärt, warum Emissionseffizienz viel wichtiger als Energieeffizienz ist. Als Kampfansage an die klassische Planungs- und Bauwirtschaft will er das vorgefertigte Modul nicht sehen. Er ist aber überzeugt, dass der notwendige Paradigmenwechsel mit traditionellen Bautechniken nicht möglich sein wird.
(+) plus: Wann und wie ist Ihnen die Idee zur Urban Mining and Recycling-Unit UMAR gekommen?
Werner Sobek: Die Idee geht zurück auf das Jahr 1989. Damals hat die deutsche Bundesregierung der Automobilindustrie eine Recyclingquote auferlegt. Ich habe mich gefragt, warum es das im Bauwesen nicht gibt und begonnen, mich mit den Massen- und Müllströmen in der Bauwirtschaft auseinanderzusetzen. Allerdings musste ich feststellen, dass sich niemand darüber Gedanken macht, wie man das verbaute Material später wieder in einen Kreislauf bringen kann. Ich hab dann 1992, vermutlich als weltweit Erster, Vorlesungen über recyclinggerechte Architektur gehalten.
Im Laufe der Jahre wurde mir aber klar, dass selbst wenn wir materialsparend und recyclebar bauen, die weltweiten Ressourcen nicht ausreichen werden, um alle Menschen, insbesondere zukünftige Generationen, auf ein vernünftiges gebautes Niveau zu heben. Deswegen brauchen wir hochwertige Rezyklate, die wir wieder in Gebäude einsetzen können. Wir müssen die gebaute Welt als Rohstofflager betrachten.
(+) plus: Das Problem ist, dass heute kaum jemand weiß, welche Materialien wo verbaut sind ...
Sobek: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit, so einen Rohstoffkataster zu schaffen. Es geht um die Etablierung einer weltweit kompatiblen Datenbasis, um die verbauten Rohstoffe zu kategorisieren. Das ist natürlich nicht einfach, weil die Rückverfolgung der einzelnen Komponenten in den Baustoffen sehr schwierig ist. Aber ohne diesen Kataster wird es nicht gehen. Die Welt läuft in einen gigantischen Zinn-, Zink-, Kupfer- und Sandmangel und in ein riesiges Emissionsproblem, wenn Baustoffe aus der Erde gesprengt, Metalle aus Steinen geschmolzen oder Zement und Ziegel gebrannt werden. Das ist auch meine Kritik an der Wissenschaft. Es wird immer von einem Energieproblem gesprochen wird, dass wir energieeffizienter werden müssen. Das ist Unfug! Wir müssen nicht energieeffizienter werden, sondern emissionseffizienter. Energie gibt es genug. Sonne, Wind oder Geothermie sind mehr als ausreichend vorhanden.
(+) plus: Welche Rolle kann und wird BIM bei der Etablierung des Rohstoffkatasters spielen?
Sobek: BIM wird eine ganz entscheidende Rolle spielen. Allerdings wird es heute oft nur als eine Art große Planungsflexibilität erlaubende 3D-Beschreibung eingesetzt. Dabei kann und muss man im BIM-Modell deutlich mehr Daten und Eigenschaften hinterlegen. In unserem Büro wird das auch schon gemacht.
(+) plus: Gibt es dafür auch eine Nachfrage?
Sobek: Die Nachfrage ist derzeit noch sehr verhalten. Hier muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, wie wichtig diese Informationen für den Betrieb und den späteren Rückbau sind. Andere Länder sind da deutlich weiter. In Singapur muss zusammen mit der Baugenehmigungsplanung auch ein Rückbauplan eingereicht werden. Zum Glück wird jetzt auch eine entsprechende europäische Richtlinie vorbereitet. Damit wird sich der Markt dann komplett ändern.
(+) plus: Woraus besteht ein UMAR-Wohnmodul? Welche Materialien eignen sich besonders für UMAR?
Sobek: UMAR besteht zu 80 Prozent aus Rezyklaten. Für die tragende Holzkonstruktion verwenden wir derzeit noch frisch geschnittenes Holz. Das Isoliermaterial besteht aus zerrissenen Jeans, Teile der Wandinnenoberflächen sind Lehmputz, die Platten darunter sind ehemalige Bauhölzer, die mechanisch zerfasert und geschreddert wurden. Der Putzträger besteht aus Pilz-Myzelien. Und das Wichtigste: Es wird nichts verklebt. Damit kann sortenrein getrennt und recycelt werden.
(+) plus: Die UMAR Wohnmodule werden im Werk vorgefertigt und an die Baustelle geschickt. Sehen Sie Ihr Projekt als Kampfansage an die Planungs- und Bauwirtschaft?
Sobek: Es ist keine Kampfansage, vielmehr eine Fackel am Horizont. Ich bin aber schon der festen Überzeugung, dass echte Nachhaltigkeit, die sich nicht nur am Energieverbrauch orientiert, mit herkömmlichen Bautechniken nicht machbar ist. Sie können von einem Bauarbeiter, der bei Kälte und Nässe in einer Baugrube steht, nicht verlangen, dass er Bauteile mit einer Toleranz von zwei Millimetern herstellt. Deshalb werden heute große Toleranzen zugelassen.
Wenn heute ein Fenster eingebaut wird, hat man rundherum 20 bis 30 mm Spalt. Das wird ausgeschäumt und verputzt und man hat nichts anderes erzeugt als Sondermüll. Dann kommt außen noch ein Wärmedämmverbundsystem drauf, in den Wänden werden Leitungen verlegt. Denn das kann niemand mehr trennen. Je besser das alles zusammenhält, desto besser für die Gewährleistung von Architekt und Baumeister. Aber für das Recycling ist es eine Katastrophe. Deshalb müssen wir diese Bauweise völlig auf den Kopf stellen und in Zukunft so planen und konstruieren, dass eine sortenreine Entnahme aller Materialien möglich ist. Diese Konstruktionsweise haben wir entwickelt.
(+) plus: Aber den klassischen Baumeister brauchen Sie für die industriell vorgefertigten Module nicht mehr?
Sobek: Die brauchen wir alle, wir haben viel zu wenig qualifizierte Fachkräfte. Aber sie müssen sich weiterentwickeln. Die Automobilindustrie hat bei der Einführung des Katalysators auch den eigenen Untergang an die Wand gemalt. Aber nichts ist passiert. Dann kam die Recyclingquote. Wieder wurde der Untergang prophezeit und wieder ist nichts passiert. Im Bauwesen wird es genau so sein.