Sonntag, Dezember 22, 2024
Wenn der Energieausweis daneben liegt

Ein aktuelles Forschungsprojekt zeigt, dass die Bauteilaktivierung ihre Stärken nicht nur im Neubau, sondern auch im Bestand ausspielen kann. Das Ausmaß der Einsparungspotenziale wurde nicht nur von der Bauherrin massiv unterschätzt. Auch extern hinzugezogene Experten zeigten sich überrascht, denn der vorab erstellte Energieausweis lag trotz höchster Sorgfalt um mehr als das Doppelte über dem tatsächlichen Verbrauch. Jetzt wird eine Überarbeitung des Energieausweises gefordert.

Seit einigen Jahren macht sich die Massivbau-Lobby für die sogenannte thermische Bauteilaktivierung stark. Dabei werden Rohrsysteme in großflächige, massive Bauteile eingelegt, durch die warmes oder kaltes Wasser geleitet wird. Das Wasser gibt die Wärme oder Kälte an den massiven Bauteil wie etwa Beton ab, der mit seiner hohen Materialdichte die Energie speichert und den Raum gleichmäßig beheizt oder kühlt. Großflächige Betonbauteile ersetzen damit den klassischen Heizkörper bzw. die Klimaanlage. Während dieses Prinzip im Neubau bereits weit verbreitet ist, spielt es im Bereich der Sanierung praktisch keine Rolle. Dabei zeigt ein bereits im Jahr 2008 saniertes Objekt in Hallein, dass die Bauteilaktivierung ihre Stärken auch bei Bestandsobjekten ausspielen kann. Bei vier Bewohnern und einer Gesamtfläche von 210 m² liegen die Energiekosten inklusive Warmwasseraufbereitung bei rund 900 Euro pro Heizsaison.

»Ich habe damit gerechnet, dass die Heizkosten nicht sehr hoch sein werden. Aber dass es so wenig ist, hat mich dann doch überrascht«, erklärt Bauherrin und Architektin Eva Habersatter-Lindner. Das liegt auch daran, dass ein vorab erstellter Energieausweis die doppelte Menge des tatsächlichen Verbrauchs hochgerechnet hatte. Grund genug für das Kompetenzzentrum Bauforschung KBF, sich das Projekt in Kooperation mit der FH Salzburg genauer anzusehen. »Unser Ziel war es, die Ursachen für diese hohe Diskrepanz herauszufinden und zu analysieren, ob der geringe Verbrauch ein Einzelfall ist oder ob diese Einsparungen bei weiteren Sanierungsprojekten mit Bauteilaktivierung erzielt werden können«, erklärt KBF-Geschäftsführer Gunther Graupner.

Das Projekt

Die sanierte Wohnung befindet es sich im dritten und vierten Stock eines für die Halleiner Altstadt ganz typischen Gebäudes. Das Haus aus dem 13. Jahrhundert ist groß, aber äußerst verschachtelt. Im Laufe der Jahrhunderte wurde immer irgendwo etwas angebaut, abgerissen oder aufgestockt. Bis zum dritten Stock steht die Hinterseite des Hauses in Fels und Erde.

Bei der Sanierung ist Habersatter-Lindner sehr vorsichtig mit der alten Substanz umgegangen. »Alte Gebäude haben ihren eigenen Charakter, ich wollte diesen unbedingt erhalten«, erzählt sie. Bei der Heizung entschied sich die Baumeisterin für eine Bauteilaktivierung mit Wärme aus Strom. Im dritten Stock wurde auf eine auf eine Außendämmung bewusst verzichtet. Das hätte dem Haus viel von seinem Charme genommen. Gedämmt wurde nur der Ausbau im vierten Stock. Dafür verlegte ein Installateur an den Innenseiten der Wände rund um die Fenster herum Kupferrohre, durch die in der Heizperiode warmes Wasser fließt. Darüber kam ein dreilagiger Kalkputz. Die Bauteilaktivierung hat nicht nur die Heizkosten deutlich reduziert, sondern auch dafür gesorgt, dass die bei so alten Mauern übliche Feuchtigkeit verschwunden ist. »Selbst im dritten Stock, wo sich an der am Felsen verlaufenden Wand früher Schimmel gebildet hatte, ist es seither staubtrocken«, erklärt Habersatter-Lindner.

Geringere Diskrepanz

Um herauszufinden, welche Aspekte für die enorme Heizkostenreduktion verantwortlich sind, hat die FH Salzburg unter der Leitung von Markus Leeb, Fachbereichsleiter Intelligente Energiesysteme, verschiedene Messmethoden eingesetzt. Neben der Durchführung einer Bauteilmessung wurden ein Wärmemengenzähler und vier Datenlogger für Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit installiert. Am Ende wurde anhand der gesammelten Daten eine Simulation des jährlichen Energieverbrauchs erstellt. Die Erkenntnisse bestätigten die Speicherfähigkeit der massiven Wände. Der Einfluss der Außenlufttemperatur auf die Bauteilschichttemperatur in Richtung Innenraum nimmt kontinuierlich ab. Während etwa die Außentemperatur im kalten Februar 2018 zwischen -10 und +5 Grad schwankte, blieb die Oberflächentemperatur konstant bei 20 Grad. Mit einer Abweichung von rund 9 % zum tatsächlichen Energiebedarf fällt die Diskrepanz zwischen Realität und Simulation deutlich geringer aus als zwischen Realität und Energieausweis.

Nicht der Weisheit letzter Schluss

Die größten Unterschiede gab es bei den Lüftungs- und Transmissionswärmeverlusten. Die Lüftungswärmeverluste wurden im Energieausweis um 89 % oder 7.414 kWh/a zu hoch angesetzt, die Transmissionswärmeverluste um 20 % oder 4.703  kWh/a. Die Hauptgründe dafür liegen in der falschen Einschätzung des Nutzungsverhaltens  sowie der unterschiedlichen Erfassung des Gebäudevolumens und die geringe Differenzierung der Speichermassen. Während man etwa im Simulationsmodell von einem Volumen von 580 m³ ausgegangen ist, war das angenommene Volumen im Energieausweis mit 725 m³ deutlich höher. »Damit war der angenommene Energieverlust natürlich deutlich höher«, erklärt Graupner.

Die Untersuchung der FH Salzburg hat deutlich gezeigt, dass aktivierte Bauteile auch bei nachträglicher Wandtemperierung stark schwankenden Außentemperaturen standhalten. »Die Speicherkraft ist auch im Bereich der Sanierung von Vorteil«, ist Leeb überzeugt. Thermisch aktivierte Bauteile schaffen angenehmes Raumklima, beseitigen Feuchteprobleme und senken den

Energieverbrauch. Der Energieausweis bildet diese Einsparung aber nur unzureichend ab. »Der errechnete Verbrauch und der tatsächliche Bedarf klaffen weit auseinander«, kritisiert Graupner. Er fordert deshalb eine Überarbeitung des Energieausweises. Dass das nicht ganz einfach wird, ist Graupner bewusst. »Natürlich gibt es in den Normungsgremien unterschiedliche Interessen. Die geringe Differenzierung der Speichermassen hat ja auch vielen Marktteilnehmern in die Hände gespielt.« Um das zu ändern, braucht es gute Argumente und vor allem valide Daten. Deshalb steht ein weiteres Forschungsprojekt schon in den Startlöchern. Im Rahmen eines FFG-Projekts will die FH Salzburg zusätzliche Algorithmen für die Bauteilaktivierung im Bestand erarbeiten, um die Diskrepanzen zwischen Energieausweis und tatsächlichem Bedarf zu verringern. »Einer Verbesserung des Rechenkerns kann sich schließlich niemand verwehren«, ist Graupner überzeugt.

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