Unternehmer und Technologieexperten diskutierten am 30. November im Fabasoft TechSalon in Wien, welche Geschäftsanwendungen schon heute auf die Unterstützung durch künstliche Intelligenz und verwandte Technologien bauen können. Und warum ist KI für den Wirtschaftsstandort Österreich und insbesondere Oberösterreich wichtig? UPDATE: Video
Report: Künstliche Intelligenz ist zu einem vielzitierten Schlagwort geworden – welchen Stellenwert hat es für Ihr Unternehmen?
Wolfgang Freiseisen, RISC: Wir entwickeln als Forschungseinrichtung seit fast 30 Jahren gemeinsam mit der Wirtschaft, Industrie und auch dem Gesundheitsbereich Systeme, die Experten helfen, Entscheidungen zu treffen und Vorgänge zu automatisieren. Ja, das Thema künstliche Intelligenz ist in der öffentlichen Diskussion und auch in der Wissenschaft und Wirtschaft bereits etabliert. Auch wenn es derzeit wie ein Hype anmutet – dieses Thema wird uns nicht mehr verlassen. Ich vergleiche das mit der Phase, in der sich das Internet vor 15 Jahren befunden hatte. Damals hatten einige bereits eine eigene Website probiert – andere waren skeptisch, ob es sich wirklich so breit durchsetzen wird. Das Internet hat letztlich massiv alle unsere Lebensbereiche verändert. Auch bei KI gibt eine ganze Reihe an Möglichkeiten und wir sollten das Beste daraus machen, sie zu nutzen. Sie können die Faustregel hernehmen: Alles, was man mit einer Sekunde Nachdenken lösen kann, wird in naher Zukunft automatisiert werden können.
Report: Welche Bedeutung sehen Sie dazu für den Wirtschaftsstandort Österreich?
Wolfgang Freiseisen: Accenture hat in einer Studie das heimische Wirtschaftswachstum bis zum Jahr 2035 in unterschiedlichen Szenarien durchgerechnet und ist zu dem Schluss gekommen: Mit dem Einsatz von KI wird das Wachstum auf das Doppelte steigen. Wirtschaftlich gesehen können wir es uns also gar nicht leisten, auf diese Technologieentwicklung zu verzichten.
Bild: Wolfgang Freiseisen, RISC Software GmbH, ging in einer Keynote auf das Wesen von KI und ihre Entwicklungsphasen in der Forschung und Wirtschaft ein. Fazit: Nach einem regelrechten »Winter« in der Entwicklung von KI-Systemen werden neue Lösungen in den nächsten Jahren voll durchschlagen.
Report: Was tut sich speziell in OÖ dazu? Sie koordinieren eine Strategie des Landes zum Thema KI.
Wolfgang Freiseisen: Für den Industriestandort Oberösterreich ist es essenziell, dass wir den großen Trend der Automatisierung – auch KI-Systeme sind eine Form der Automatisierung – selbst mitgestalten. Sollten wir das nicht tun, werden wir wahrscheinlich in der Stahlproduktion, bei Automotive oder im Maschinenbau anderen Regionen gegenüber zurückfallen. Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Strugl möchte nun mit der KI-Strategie für Oberösterreich die Zusammenarbeit zwischen Universitäten, universitätsnahen Einrichtungen und Unternehmen fördern und das Thema KI insgesamt vorantreiben. Wir wissen, dass wir hier interdisziplinär agieren müssen. Wir brauchen die passenden Fachkräfte und müssen daher auch die Ausbildung erweitern.
Report: Wird KI nicht auch Arbeitsplätze vernichten – nach dem Motto: Alles, was sich automatisieren lässt, wird automatisiert?
Wolfgang Freiseisen: Natürlich werden durch die Technologie Arbeitsplätze wegfallen, sie werden aber – davon bin ich überzeugt – in Summe trotzdem zunehmen. Es hat ja ebenfalls große Veränderungen in der Wirtschaft in der Vergangenheit gegeben, die Ähnliches gezeigt haben. Durch KI werden aber nicht komplette Jobs ersetzt, sondern nur Teile der Arbeit. In den USA sind einzelne Arbeitsschritte in Rechtsanwaltskanzleien durch intelligente Systeme übernommen worden. Dadurch sind wieder Ressourcen für höherwertige Aufgaben frei geworden.
Wenn es um schiere Rechenleistung geht, sind Computer dem menschlichen Gehirn natürlich überlegen. Die besten Resultate bei komplexeren Aufgaben bekommen Sie aber stets in einer Kooperation vom Mensch und Maschine. Die Kreativität liegt darin, wie die Verknüpfung von KI mit Aufgaben im Alltag eines Fachanwenders bewerkstelligt wird.
Report: Wo und wie setzen Unternehmen heute in der Praxis schon KI ein, Herr Fallmann?
Daniel Fallmann, Mindbreeze: Das passiert schrittweise und ich rate, auch nicht alles zu glauben, was auf den Marketing-Foldern der Hersteller geschrieben steht. Bis Unternehmen das volle Potenzial von KI ausreizen werden, wird noch etwas Zeit vergehen. Aber wir nähern uns über die Herausforderung Big Data – die Datenflut, die Unternehmen in den Griff bekommen müssen – bereits an lernende Systemen heran. Mit ihnen werden, anders als mit starren Algorithmen, bereits unterschiedlichste Aufgabenstellungen flexibel bewältigt.
Report: Was sind hier die Stärken von Mindbreeze?
Daniel Fallmann: Schon im Jahr 2005 bei der Gründung von Mindbreeze hatten unsere Kunden oft mehr als 100 Millionen Dokumente in nur einer einzigen Datenquelle. Wir haben verstanden, dass Unternehmen heute nicht einfach eine Software kaufen wollen, sondern eine Lösung für ein Problem brauchen. Mindbreeze liefert mit der Appliance »Mindbreeze Inspire« eine leistungsfähige Umgebung für Information Insight und Enterprise Search, die mit Machine Learning flexibel mit Daten umgehen kann. Dazu bereiten wir Daten so auf, dass Unternehmen Antworten mitunter auch zu ungeplanten, neuen Themen erhalten – zu Fragen, die man in dieser Form noch gar nicht gestellt hat.
Bild: Daniel Fallmann ist Geschäftsführer der Mindbreeze GmbH mit Sitz in Linz: "Ich rate, auch nicht alles zu glauben, was auf den Marketing-Foldern der Hersteller geschrieben steht."
Das Schöne an heutigen Systemen ist, dass sie mit Deep-Learning und Natural-Language-Processing auch die menschliche, natürliche Sprache verstehen. Das ist auch dringend nötig, denn bei den meisten Unternehmen gilt die 80-20-Regel: 80 % der vorhandenen Daten sind unstrukturiert, das sind beispielsweise Text- und Video-Dateien. Dazu braucht es neue Ansätze eines maschinellen Verstehens von Inhalten.
Ich rate jedem, das einmal selbst mit seinen Unternehmensdaten für unterschiedliche Anwendungsfälle auszuprobieren. Die Lösungen, die Fachbereiche unterstützen und entlasten, sollen sich ja auch kommerziell rechnen – und das tun sie auch.
Report: Können Sie uns ein Beispiel geben? Was wird verbessert?
Daniel Fallmann: Einer unserer Kunden hat über den ganzen Konzern hinweg hunderte Applikationen in Verwendung, in denen beispielsweise Daten zu Flugzeugbauteilen gespeichert liegen. Wenn dort die scheinbar einfache Fragestellung »Was weiß ich über ein Flugzeugteil« auftaucht, braucht es Systeme, die nicht nur unterschiedliche Berechtigungen der Anwender steuern – nicht jeder darf alle Informationen abrufen –, sondern die auch aus unterschiedlichsten Quellen das Gesuchte herausfiltern. Informationen rasch lesen zu können, wird zu einem wesentlichen Faktor in der Wirtschaft.
Ein anderes Beispiel ist der Einsatz in einem Kundenservice-Center. Mit unserer Lösung werden Anfragen, die über die verschiedensten Kanäle eintreffen, vorklassifiziert – noch bevor sie ein Mensch zu Gesicht bekommt. Standardfragen, die man vielleicht schon hunderte Male beantwortet hat, werden automatisiert abgearbeitet. Der Schnitt liegt bereits bei über 90 %, in denen das System selbst eine Antwort geben an. Die Sachbearbeiter bekommen dadurch mehr Zeit für komplexere Anfragen, die vielleicht mehrere Fachbereiche oder auch die Rechtsabteilung betreffen. Wir entlasten in der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine die Experten vom Grundrauschen und schaffen Ressourcen für die Bearbeitung der restlichen 10 %.
Beispiele wie diese werden wir in Zukunft in den unterschiedlichsten Bereichen sehen. Ich würde mir jedenfalls auch selbst wünschen, dass technische Systeme gewisse Routineaufgaben, die ich heute manuell ausführe, automatisch erledigen.
Report: Herr Stark, vor welchen Herausforderungen stehen Sie als ärztlicher Direktor in Bezug auf Medizintechnik und Datenverarbeitung?
Gerhard Stark, Ordensprovinz Barmherzige Brüder: Jedes Gerät liefert uns Daten: Ultraschallgeräte, EKG-Geräte, CT-Maschinen. Die große Herausforderung ist die Vernetzung dieser Daten, das Zusammenführen aller Informationen und natürlich auch das Ziehen sinnvoller Ergebnisse daraus. Wenn ich aber sehe, dass beispielsweise die digitalisierten mikroskopischen Gewebeschnitte aus der Pathologie auch von einem auf Bluterkrankungen spezialisierten Experten in Indien einfach und rasch begutachtet werden können, ist das eine grandiose Sache. Auch genetische Datenbanken bieten heute eine Riesenerweiterung unseres Wissens. Das Datenwachstum ist immens und wird in Zukunft nur noch mit maschineller Hilfe bewältigt werden können. Schätzungen zufolge beträgt die Menge der Daten im medizinischen Bereich weltweit bereits rund 150 Exabyte. Das ist eine Zahl, die eigentlich nicht mehr begreifbar ist, die aber weiter massiv wachsen wird.
Bild: Gerhard Stark ist Ärztlicher Leiter der Österreichischen Ordensprovinz, Barmherzige Brüder: "Das Datenwachstum ist immens und wird in Zukunft nur noch mit maschineller Hilfe bewältigt werden können."
Report: In welcher Weise helfen technische Lösungen bei der Datenflut?
Gerhard Stark: Ärzte müssen sich ständig weiterbilden und eine Riesenmenge wissenschaftlicher Artikel lesen. Das ist für den Einzelnen gar nicht mehr schaffbar. In der Literaturunterstützung gibt es heute eine Reihe an guten Systemen, die automatisch Vorschläge machen, Zitierungen auflisten und damit viel Zeit sparen.
Eher noch an der Basis der Entwicklung einer maschinellen Intelligenz sind »Early Warning Scores« in der klinischen Beobachtung zur Empfehlung medizinischer Maßnahmen oder Algorithmen in Blutzucker-Messgeräten, die bereits Einfluss auf die Insulintherapie nehmen. Noch sind wir hauptsächlich selbst mit dem Generieren und Verarbeiten der Daten beschäftigt.
Wir sind heute über jede technische Unterstützung froh, bleiben aber gleichzeitig vorsichtig. Als Arzt stelle ich mir stets eine Frage: Was ist der Nutzen für den Patienten? Vielfach bauen »Clinical Decision Support Systems«, die etwa bei der Überprüfung von Wechselwirkungen von Medikamenten eingesetzt werden, auf Datenmaterial und Studien auf, die dem Arzt letztlich auch nicht hundertprozentig sicher eine Entscheidung abnehmen können. Man muss einfach wissen, dass auch die Daten in einer KI von Menschen generiert worden sind – mit gewissen Unschärfen.
Helmut Fallmann, Fabasoft: Auf welche Daten ich mich tatsächlich verlassen kann, ist das Thema unserer Zeit. Auch gesellschaftspolitisch ist das Erkennen von Inhalten und Wahrheiten – Stichwort Fake News – mithilfe von Technik enorm wichtig geworden. Hier sehe ich eine große Chance für maschinelle Lösungen, die allerdings von Fachkräften gebaut werden müssen. Der Fachkräftemangel in Österreich ist ein wiederkehrendes Element in unseren Diskussionen. Ich sehe hier aber – was Oberösterreich betrifft – gute Unterstützung von Einrichtungen wie dem IT-Cluster Oberösterreich, der Wirtschaftsagentur Business Upper Austria und der Johannes-Kepler-Universität sowie Fachhochschulen. Es geht darum, junge Menschen früh genug für Technik zu begeistern – sei es für Programmierung, Algorithmik oder künstliche Intelligenz.
Bild: Helmut Fallmann ist Mitglied des Vorstandes der Fabasoft AG: "In Technologie und ihre praxisnahe Anwendung am Standort zu investieren, ist eine Stärke Europas."
In Technologie und ihre praxisnahe Anwendung am Standort zu investieren, ist eine Stärke Europas. Ich wünsche mir, dass die KI-Initiative in Oberösterreich von allen beteiligten Personen weiterhin persönlich vorangetrieben wird. Und ich sehe Europa gefordert, die Gesetzgebung auch für die digitale Welt vorantreiben. Dort, wo Geschäfte gemacht werden, sollten auch Steuern bezahlt werden – das betrifft nicht nur die physische Welt. Die Zukunft gehört einer hybriden Welt, in der Technik und Humanismus miteinander agieren. Das gilt in jedem Beruf.
Hintergrund
Künstliche Intelligenz
Im Gegensatz zu starren Algorithmen bildet Software, die trainierbar und lernfähig ist, die Basis für Systeme künstlicher Intelligenz. Eine KI muss man eigentlich wie ein Kind behandeln, das Lernphasen durchläuft. Zum Bau einer KI sind nicht nur Softwareentwickler, sondern auch Datenanalysten und Spezialisten aus beruflichen oder wissenschaftlichen Fachbereichen gefordert. Dass eine Maschine allerdings wie ein Kind einmal eine Frage stellt, auf die sie nicht programmiert ist, wird noch länger nicht möglich sein und ist derzeit eher ein Thema für Science-Fiction.
Kooperation Mensch und Maschine
Es gibt vier Ebenen der Zusammenarbeit von Menschen und Technik. Die einfachste Form ist eine Assistenz durch die Maschine bei festgelegten Aufgaben, bei der auch eine KI zum Einsatz kommen kann. »Augmented Intelligence« wird dann schon zur Unterstützung von Entscheidungen herangezogen. Je mehr Daten hier zu Verfügung stehen, desto besser sind die Resultate. Im nächsten Schritt wird manuelle Arbeit automatisiert und von »kognitivem Computing« übernommen. Dabei werden auch Geistesarbeiten oder etwa Managementaufgaben an die Maschine abgegeben. Schließlich übernimmt in der vierten Stufe »Autonomous Intelligence« sämtliche Entscheidungsprozesse. Im Ansatz wird dies heute etwa wie bei Mars-Robotern bereits umgesetzt. Diese haben aufgrund der langen Funkverbindungen zur Erde die Fähigkeit, eigenständig zu navigieren und Entscheidungen zu treffen.