Montag, Juli 22, 2024

Mit den Arbeitsstrukturen in Unternehmen verändern sich auch die Anforderungen für Führungskräfte. Flachere Hierarchien erfordern Kommunikation auf Augenhöhe und eine neue Qualität des Leadership. Die Chefs von morgen verlieren Macht – was vielen gar nicht leicht fallen dürfte.

»Eine zentrale Unternehmenssteuerung von oben nach unten hat früher einmal funktioniert. Mit Wissensarbeitern jedoch funktioniert diese Art des Managementstils nicht mehr. Die fragen nämlich nicht, ob sie eine Entscheidung treffen dürfen, sie tun es einfach«, sagt Roland Geschwill, Geschäftsführer der Denkwerkstatt für Manager und Autor des Buches »Laterales Management«.

In diesem Begriff steckt das lateinische Wort »latus« für »Seite« – Führungskräfte und Mitarbeiter arbeiten Seite an Seite, gleichberechtigt, in Netzwerken zusammen. Nicht nur Hierarchien verschwinden zusehends, auch die Grenzen zwischen einzelnen Unternehmensbereichen oder Abteilungen verwischen. In interdisziplinären Kompetenzteams bringen Fachkräfte ihre Expertise für die Dauer eines Projekts oder einer definierten Unternehmens­periode ein. Ein Führungsstil, der sich auf institutionelle Macht stützt, ist in diesen temporären Arbeitsgruppen fehl am Platz.

Manager der alten Schule könnten damit ein Problem haben, kommt der Verzicht auf Weisungsbefugnis doch de facto zunächst einem Machtverlust gleich. Der Widerstand wurzelt jedoch eher in einem »nicht Wollen« als »nicht Können«, denn geht es um Geschäftsbeziehungen, zeigen sich die meisten Führungskräfte sehr wohl zu einem fairen Agieren auf Augenhöhe fähig.

Auch im Umgang mit Mitarbeitern würden die persönliche Autorität und Integrität, erwiesenes Expertentum und effizienter Informationsfluss durchaus ausreichen. Wer hier Führungsqualität beweist, ist auf strukturelle Machtbefugnis gar nicht angewiesen. Zudem werden Entscheidungsprozesse immer komplexer – Manager tun gut daran, Maßnahmen nicht einsam in der Chefetage zu treffen, sondern die Meinung der Kollegen aus den Kernbereichen einzuholen.

Ohne Macht führen

Ein Unternehmen zu führen, ist zu einer komplexen Teamaufgabe geworden, die nicht strukturiert und planbar abläuft, sondern nahezu täglich mit Überraschungen aufwartet. Die Fachmeinung spezialisierter Kollegen und Mitarbeiter nicht einzuholen, ist so gesehen schon fast fahrlässig. Die Geschichte der Lehman Brothers zeige, wie verheerend ein Festhalten am »Weiter so« sein könne, meint Psychologe Roland Geschwill: »Die Weltwirtschaftskrise 2008 war keine Kapitalismuskrise, sie war eine Managementkrise! Lineare, ichgetriebene Managementmodelle sind nicht die Antwort auf die Komplexität der Märkte der Zukunft und schon gar nicht auf eine fundamentale Neuorientierung von Wirtschaft und Gesellschaft in einer digitalen Ökonomie.«

Management findet horizontal statt. Die Mitarbeiter bringen ihr Wissen in die Teamarbeit ein und sind dabei je nach Aufgabenstellung mehreren Projektleitern verpflichtet. »Neben Eigenverantwortung erfordert dies viel Flexibilität und Kreativität von jedem Einzelnen. Da innerhalb eines lateral geführten Teams Aufgaben nicht einfach delegiert werden können, spielt die Motivation der Mitarbeiter eine große Rolle«, erklärt Martina Groner, die als Produktmanagerin der Haufe Akademie Leadership-Seminare koordiniert. »Die Führungskraft muss das Team zusammenhalten und von ihren Ideen begeistern. Sie greift vermittelnd ein, wenn es zu Spannungen zwischen den einzelnen Abteilungen oder zu Problemen mit Kunden und Lieferanten kommt und sichert dadurch die kooperative Zusammenarbeit aller
Beteiligten.«

Vertrauen und Verständigung

Positive Beispiele für partizipative Führung ohne Disziplinarbefugnis kennt die Organisationsforschung bereits seit den 60er-Jahren, als viele Verwaltungen, Krankenhäuser und Nichtregierungsorganisationen ihre Strukturen mehr an der Funktion als an der Persönlichkeit der Führungskräfte festmachte. In den 90er-Jahren prägten die Harvard-Experten Roger Fisher und Alan Sharp den Begriff »Laterale Führung«. Ihr Buch »Getting It Done« (deutscher Titel: »Führen ohne Auftrag«) richtet sich an Personen ohne formale Linienführungsfunktion, die aber als Projektleiter oder Kollegen gemeinsame Vorhaben umsetzen wollen und dafür das Engagement anderer Menschen brauchen. Die damals gewonnenen Erkenntnisse kämen den durch Digitalisierung massiv beschleunigten Wirtschaftsprozessen durchaus zupass: Statt Anweisungen abzuwarten, wurde viel Kooperationsarbeit sozusagen am kurzen Dienstweg »über den Flur« abgewickelt. Machtausübung von oben erwies sich eher als Erfolgsbremse.

Kleine, dezentrale Einheiten reagieren beweglich und rasch auf Veränderungen. Die Lösung der Aufgaben den Teams zu überlassen, erfordert von den Führungspersonen Mut, Wertschätzung und die Fähigkeit, loslassen zu können. »Wer Menschen führen will, muss hinter ihnen gehen«, schrieb schon einst Lao­tse. Führung wird unter diesem Aspekt betrachtet nicht überflüssig, sondern folgt ihrer ursprünglichen Bestimmung, nämlich der Begleitung und Unterstützung der Mitarbeiter.

Der Blick auf das große Ganze sollte dabei nicht verloren gehen. Jeder Einzelne muss sich seines Beitrags im Unternehmen bewusst sein, Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten klar geregelt sein. »Die Nachvollziehbarkeit einzelner Arbeitsschritte kann durch prozessorientiertes Denken und Standardisierung gewährleistet werden«, erklärt Erich Steinreiber, CEO der ISS Austria Holding GmbH. »Diese gelebte Transparenz fördert abteilungsübergreifendes Denken sowie die Zusammenarbeit von KollegInnen.« Eine gute Führungskraft erkennt die Potenziale der einzelnen Teammitglieder und stellt die nötige Balance her, um die Energie für ein arbeitsfähiges Netzwerk zu bündeln.

Verschobene Selbstwahrnehmung

In der Praxis mangelt es noch meist an diesen Fähigkeiten. Einer Studie der deutschen Initiative Zukunftsfähige Führung (izf) zufolge sind zwar 60 % der ArbeitnehmerInnen »im Großen und Ganzen« mit dem Führungsverhalten ihrer direkten Vorgesetzten zufrieden. Das Selbstbild der Chefs sieht jedoch deutlich positiver aus: 80 % glauben, ihren Job gut zu machen. Gefragt wurde nach konkreten Führungskompetenzen: Spricht der/die Vorgesetzte Anerkennung aus? Geht er/sie respektvoll mit MitarbeiterInnen um? Sind die Anweisungen klar und verständlich? Bei 26 der 27 Eigenschaften stellten sich die Chefs ein besseres Zeugnis aus, als sie es von ihren MitarbeiterInnen bekamen.

Besonders auffällig ist der Unterschied beim Punkt Kritikfähigkeit. 67 % der Führungskräfte sind der Meinung, Kritik grundsätzlich gut anzunehmen, aber nur 38 % der MitarbeiterInnen sehen das ebenso. Laut einer Gallup-Umfrage halten sich gar 97 % für eine gute Führungskraft. Immerhin 40 % der 1.400 Befragten haben 2016 eine Weiterbildung besucht, um den Umgang mit ihren MitarbeiterInnen zu verbessern. »In puncto Führungsqualität klaffen die Wünsche der Mitarbeiter und die Wirklichkeit in den Unternehmen weit auseinander«, sagt Studienautor Marco Nink. Er sieht vor allem bei grundlegenden Bedürfnissen – Klarheit der Aufgaben, Wertschätzung, konstruktives Feedback – noch »große Defizite«.

Insbesondere im Umgang mit den Generationen Y und Z ortet Sabine Trost, Personalentwicklerin an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Aufholbedarf: »Die Millennials bringen ein verändertes Hierarchieverständnis mit. Respekt und Autorität entstehen nicht mehr automatisch qua hierarchischer (Macht-)Position, Linienentscheidungen werden zunehmend hinterfragt und persönliche Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rücken in den Fokus. Führungskräfte mit lateraler Kompetenz werden hier besser in der Lage sein, auf die Bedürfnisse der Millenials einzugehen und in der Zusammenarbeit gute Ergebnisse zu erzielen.«

Dennoch wird bei der Besetzung von Managementpositionen nach wie vor in erster Linie auf fachliche Kompetenzen geachtet – nicht auf ihre Fähigkeiten, Menschen zu führen. Freilich: Laterale Strukturen sind eine Herausforderung für alle Beteiligten. Nicht rechtzeitig angesprochene Konflikte können die Zusammenarbeit lähmen. Gelingt es aber, dauerhafte Vertrauensbeziehungen durch kluge und faire Verständigung zu säen, profitiert von dieser kooperativen Arbeitskultur das gesamte Unternehmen.

Glossar: Laterale Führung

1. Verständigung:

  • unterschiedliche Auffassungen abklären
  • individuelle Interessen sondieren
  • über Ziele, Herausforderungen und Werte einigen
  • kollektiven Konsens herstellen
  • Arbeitsschemata und Entscheidungsprozesse entwerfen

2. Kommunikation:

  • Verständigungsbrücken schaffen
  • klarer, transparenter Informationsfluss
  • Interaktion und Dialoge entstehen lassen
  • Regeln der Kommunikation und Kooperation erarbeiten, einführen und kontrollieren

3. Vertrauen:

  • Wer selbst vertraut, dem wird vertraut
  • Barrieren und Zwänge offenlegen
  • Akzeptanz von Fehlern
  • Fähigkeit zur Selbstkritik
  • Vertrauen wachsen lassen

4. Entscheidungen:

  • Unsicherheitszonen reduzieren
  • Machtbefugnis teilen
  • Weitergabe von Wissen und Informationen
  • Potenziale erkennen ein gemeinsames Ziel, eine Vision kreieren

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