Das nach langem Ringen beschlossene Schulautonomiepaket sieht die Schaffung von Schulclustern als neue Verwaltungseinheit, mehr Mitsprache für Schulleiter und Modellregionen für Gesamtschule vor. An den getrennten Zuständigkeiten von Bund und Ländern wurde abermals nicht gerüttelt, auch die lange Umsetzungsdauer stößt auf Kritik. Für Report(+)PLUS haben drei BildungsexpertInnen das Reformpaket unter die Lupe genommen.
1. Halten Sie die Einführung von Schulclustern für sinnvoll?
"2.000 von Österreichs 6.000 Schulen sind Klein- und Kleinstschulen, die nicht aus pädagogischen, sondern ausschließlich aus Regional- und Lehrergewerkschaftsinteressen erhalten werden. Diese Tatsache ist wesentlich dafür mitverantwortlich, dass wir das zweitteuerste Schulsystem der EU haben und trotzdem alle über zu wenig Ressourcen klagen. Die Schulcluster sollen diesen Zustand einzementieren. In Wahrheit wird es nicht möglich sein, über 6.000 Schulen technisch und pädagogisch auf ein hohes Niveau zu führen, genügend geeignete Direktoren und Lehrer zu finden und gleichzeitig in den Ballungsräumen neue Schulen zu schaffen. Da die Einführung der Schulcluster aber von so vielen Vetorechten abhängt, werden sie in dieser Form ohnehin nicht kommen."
Andreas Salcher, Mitbegründer der Sir-Karl-Popper-Schule, Berater und Autor (u.a. »Der talentierte Schüler und seine Feinde«)
"Schulcluster sind grundsätzlich sinnvoll. Kleine Standorte können dadurch gesichert und qualitativ aufgewertet werden. Die Zusammenarbeit von Schulen kann zu einem Austausch von LehrerInnen führen und damit können besondere Fähigkeiten einzelner PädagogInnen für Spezialaufgaben mehreren Standorten zur Verfügung stehen. Am einfachsten gestaltet sich die Bildung eines Clusters, wenn die Schulen nahe beieinander liegen. Kleinstschulen in ländlichen Regionen sind aber oft weit voneinander entfernt. Das Risiko bei der Bildung von Schulclustern ist die Zwischenebene, die durch die Aufteilung der Aufgaben der Schulleitung eingezogen wird."
Christa Koenne, Mitarbeiterin am Institut für Unterricht- und Schulentwicklung der Universität Klagenfurt und Lehrbeauftragte an der Donau-Universität Krems, 1998–2005 Leiterin der PISA-Science-Gruppe Österreich
"Ich denke, dass Schulcluster nur in Ausnahmefällen sinnvoll sind. Schulleiter*innen sollen an ihrer Schule präsent sein, als Ansprechperson für Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern möglichst immer erreichbar. Fehlt die Schulleitung z.B. aufgrund einer Fortbildung einzelne Tage, bleiben viele Anliegen unbeantwortet. Müssen Schulleiter*innen nun zwischen zwei Clusterschulen wechseln, sind sie die halbe Zeit absent – das wäre eine massive Belastung für die Schule. Dazu kommt das Commitment, das Schulleitung für die eigene Schule empfinden sollte – wie lässt sich das erreichen, wenn man nur zum Teil zuständig ist?"
Michel Fleck, Direktor der Schule Anton-Krieger-Gasse in Wien 23, die seit 1974 im Rahmen eines Schulversuchs als einzige echte Gesamtschule Österreichs geführt wird
2. Wie könnten die Zuständigkeiten von Bund und Ländern in der Schulverwaltung effizienter geregelt werden?
"Die Länder haben durchgesetzt, dass sich Österreich mit seinen 8,7 Millionen Einwohnern weiterhin neun Schulverwaltungen leistet. Wenig beneidenswerte Schuldirektoren müssen in Zukunft das Machtspiel zwischen der Bildungsministerin und den Landeshauptleuten ausbalancieren. Kein einziger Posten wird durch diese »Reform« eingespart, im Prinzip ist das ein Beschäftigungsprogramm für Verfassungsrechtler. Dafür bleibt das riesige Bildungsministerium unangetastet. Zumindest werden in Zukunft alle Lehrer über das Finanzministerium abgerechnet. Damit wird das erste Mal das Geheimnis gelüftet, welche Lehrer in welchen Klassenzimmern tatsächlich unterrichten."
Andreas Salcher
"Die geteilte Zuständigkeit (BundeslehrerInnen/LandeslehrerInnen) bleibt erhalten. Dadurch ist die Zusammenarbeit für viele Schulen weiter schwierig. Ein Cluster über Landesgrenzen ist unmöglich. Ob Bildungsdirektionen, ausgestattet mit klaren Verfahrensregeln, den parteipolitischen Einfluss im Schulsystem zurückdrängen werden, bleibt abzuwarten. Eine öffentliche Beobachtung ist wichtig."
Christa Koenne
"In meinen Augen sollten alle Schulen als Bundesschulen geführt werden. Es ist natürlich sinnvoll, dass den Ländern ein gewisses Mitspracherecht in bestimmten Punkten eingeräumt wird, aber grundsätzlich halte ich eine alleinige Zuständigkeit durch den Bund für einfacher als eine gemischte durch zwei Körperschaften. Es ist auch nicht eindeutig klar, in welchen Punkten eine Einflussnahme bzw. Mitbestimmung der Länder wichtig ist. Die organisatorischen Rahmenbedingungen sollten vom Bund kommen, die pädagogischen sollten den Schulen obliegen."
Michel Fleck
3. Welche neuen Erkenntnisse zur Gesamtschule sind von einem Testlauf in Modellregionen zu erwarten?
"In Deutschland gibt es seit vielen Jahren in den einzelnen Bundesländern alle Varianten von reinen Gesamtschulen, z.B. in Berlin und Hamburg, bis zu differenzierten Schulen in Bayern. Bei Vergleichsstudien schneiden die Bayern deutlich besser ab als die Gesamtschulsysteme. Dabei spielen aber auch Wohlstand und Familiensituationen eine wesentliche Rolle, denn es gibt durchaus einzelne pädagogisch herausragende Gesamtschulen. Warum man sich in Vorarlberg neue Erkenntnisse bei einem Testlauf, der auf zehn Jahre (!) angesetzt ist, erwartet, verstehe ich nicht ganz. Die große John-Hattie-Studie zeigt, dass die Schulorganisation einen sehr geringen Einfluss auf die Ergebnisse hat. Vielmehr sind wertschätzende Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern sowie die Unterrichtsqualität entscheidend. Darauf sollten wir uns konzentrieren."
Andreas Salcher
"Eine gemeinsame Schule für alle Lernenden in der schulpflichtigen Zeit ist international üblich. Die guten Erfahrungen sind vielfach (auch wissenschaftlich) bestätigt. Um zu wissen, dass eine Trennung Zehnjähriger in genau zwei Gruppen falsch ist, braucht es keine weitere Bestätigung. Weder ist eine treffsichere Diagnostik sichergestellt, noch wird diese Zweiteilung am Ende der Volksschule einheitlich geregelt. Schulen haben sehr unterschiedliche Standards für die Entscheidungsfindung. Gemeinsame Schule bedeutet ein gemeinsames »Dach«, unter dem dann Gemeinsamkeit und Individualisierung in unterschiedlichen Lernsettings gestaltet werden muss. Wie diese anspruchsvolle Organisation gestaltet werden kann, dazu können Modellregionen Erfahrungen sammeln, von denen andere lernen werden."
Christa Koenne
"Nur durch Umsetzung einer Modellregion kann das Konzept der Gesamtschule valide überprüft werden. Auch wenn es derzeit einzelne Schulen gibt, die das Modell der Gesamtschule praktizieren, konkurrieren sie mit benachbarten AHS. Es fehlt diesen Gesamtschulstandorten also ein gewisser Anteil von Kindern von bildungsaffinen Eltern. Nur Ergebnisse von Gesamtschulen einer Modellregion erlauben eine sinnvolle Evaluation – nicht im Vergleich mit AHS, sondern mit allen Schularten einer Nicht-Modellregion."
Michel Fleck