Sonntag, Dezember 22, 2024

Können wir im globalen Wettbewerb erfolgreich sein? Mit einem Beitrag des Digitalradio-Senders Radio Technikum:

Die Forschungs- und Entwicklungspartner Austrian Institute of Technology (AIT) und ­VRVis – Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung präsentierten Ende Februar im Tech Gate in Wien neueste Technologielösungen. Demonstriert wurden: Strategien für die Erkennung von Cyberangriffen, Verschlüsselungsmethoden für den Datenaustausch, Kommunikationssysteme für Katastrophenmanagement und vieles mehr. Vertreter aus Wirtschaft, öffentlicher Hand und Forschung diskutieren die Frage, welche Rolle Forschung und Entwicklung beim Erfolg heimischer Technologie auf globalen Märkten spielen. Helmut Leopold, Head of Digital Safety & Security Department AIT; VRVis-Geschäftsführer Georg Stonawski; Ulrike Huemer, CIO der Stadt Wien; Fabasoft-Cloud-Geschäftsführer Andreas Dangl; Matthias Gasser, Head of Product Anyline, 9Yards, und Huemer iT-Solutions-Geschäftsführer Walter Huemer sprachen mit Martin Szelgrad, Report Verlag.

(+) plus: Gibt es Beispiele, in denen Industriebetriebe durch Kooperationen mit dem AIT bereits international Erfolge verzeichnen können? Was sind die Herausforderungen in der Internationalisierung?

Helmut Leopold, AIT: Wir haben in dieser Ausstellung nicht nur Konzepte und Visionen präsentiert, sondern vor allem konkrete Entwicklungen, die einen sehr hohen Reifegrad erreicht haben. Bei den Beispielen stecken jeweils einige Jahre Technologieentwicklung dahinter und sie sind bereits international erfolgreich. So hat in Zusammenarbeit mit dem AIT das kleine Kärntner Hightech Unternehmen a.tron3d bereits 2011 ein Produkt mit AIT-Technologie entwickelt, welches bis auf eine Genauigkeit von 20 Mikrometer Kleinstobjekte trotz Oberflächenreflexionen erfassen kann. Der kleinste mobile Zahnscanner der Welt, der Dental-Scanner, ermöglicht digitale Zahnabbildungen und macht die für Patienen unangenehme Zahnabformung mit Kunststoffabdruck
obsolet.

Bild: Helmut Leopold, AIT: »Brauchen wieder mehr Selbstbewusstsein in ­Österreich.«

Das zweite Beispiel ist unser Fahrassis-tenzsystem mit Kameratechnik für Bombardier. Der internationale Konzern Bombardier ist der erste, der in Straßenbahnen ein intelligentes Fahrerassistenzsystem zur Unfallvermeidung einbaut – mit Technologie made in Austria. Wir können zeigen, dass Hightech nicht immer aus dem Silicon Valley oder aus China kommen muss. Wir haben die Rechte darauf, und vor allem können wir die Technologie beliebig gemeinsam mit Partnern anpassen um Produktinnovationen auch am internationalen Markt zu positionieren. Dazu braucht es Kooperationen mit der Industrie und genau dies ist auch die Herausforderung in dem kleinen Österreich: Noch besser und effizienter zusammenzuarbeiten – mit Forschungseinrichtungen wie dem AIT und ­VRVis, die Ideen haben und selbst Technologierisiko nehmen.

(+) plus: Wie steht es um das Selbstbewusstsein dazu hierzulande?

Helmut Leopold: Viele nehmen die hier tätigen Forschungseinrichtungen als auch Unternehmen gar nicht als international relevante Innovatoren wahr. Erst wenn sich die Menschen etwas damit beschäftigen, kommen sie darauf, wie neu und besonders diese Entwicklungen sind. Wenn ich das Beispiel automatisierte Grenzkontrollabläufe durch IT-Systeme hernehme: Dazu hat das AIT schon 2005 technische Lösungen entwickelt – in einer Zeit, als viele noch die Sinnhaftigkeit einer solchen Technologie, die aus dem Schengenbinnenland Österreich kommt, hinterfragt haben. Heute bildet das AIT ein international wahrgenommenes Kompetenzzentrum dazu und setzt gut 28 Millionen Euro Projektbudget mit IT-Systemen für Flughäfen und Grenzkontrollen um. Ein weiterer Bereich, in dem wir sehr selbstbewusst agieren können, ist Cybersecurity, in dem wir bereits ein sehr großes Expertenteam mit viel Know-how aufgebaut haben und in internationalen Projektkonsortien mit Budgets von über 23 Millionen Euro Hightech-Lösungen entwickeln.

Wir haben sehr gescheite Leute hier in Österreich und auch eine gut funktionierende Innovationsförderung durch die öffentliche Hand. Wir müssen es aber noch besser schaffen, Entwicklungen die hier passieren, in Produkte zu gießen und international zu vermarkten. Nehmen Sie nur das Beispiel des selbstfahrenden Autos. Auch wenn sie noch nicht marktreif ist, ist es eine visionäre Technologie. Wir am AIT arbeiten auch in Österreich am Thema autonomes Fahren und haben bereits ein international anerkanntes Kompetenzzentrum dazu in Wien etabliert. Trotzdem gibt es ein überschaubares nationales Interesse aus Österreich, auch in diesem Technologiebereich am Weltmarkt mit Hightech-Produkten mitzumischen. Zu sehr sind alle von einzelnen internationalen Marketingstories geblendet und glauben, dass man eh alles am Ende nur zukaufen muss. Es gibt zu geringes Verständnis, dass wir sehr wohl auch am Hightech-Markt international mitmischen können. So werden wir in Österreich nie weiterkommen.

(+) plus: Das VRVis hat ebenfalls bereits Beispiele für internationale Erfolgsprojekte. Wie groß ist der Forschungsanteil bei Ihren Projekten?

Bild: Georg Stonawski, VRVis: »Menschen sollten sich zusammensetzen und miteinander reden.«

Georg Stonawski, VRVis: Forschung und Entwicklung spielen für eine Einrichtung wie das VRVis eine wesentliche Rolle. Wir haben bereits vor zehn Jahren für Microsoft gearbeitet, in »Microsoft Virtual Earth« steckt viel Code von VRVis drinnen. Auch werden biologische Datenbanken in den USA mit Software vom VRVis auswertet und entwickelt. tefor – eine Kooperation von französischen Forschungszentren – setzt eine ähnliche Software für Entwicklungsarbeiten von Biologen ein. Es gibt weitere schöne Erfolge bei Unternehmen wie Hilti im Augmented-Reality-Bereich oder auch bei der Stadt Köln, für die wir an einem Hochwassermanagement-System arbeiten.

Es freut mich auch, dass wir für international aufgestellte österreichische Unternehmen tätig sein dürfen. Diese Firmen tragen Technologie, die in Österreich entwickelt worden ist, in die Welt hinaus. Das sichert wieder Arbeitsplätze. Das VRVis hat in der Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Konzerne gezeigt, dass Visual Computing eine weltweit anerkannte Kern-Domäne der Wiener IKT-Szene ist.

(+) plus: Wie können Kunden aus der Wirtschaft mit Forschungsunternehmen zusammenarbeiten? Wie beginnt eine solche Zusammenarbeit?

Georg Stonawski: Am Beginn jedes guten Produkts oder einer Entwicklung steht, dass sich Menschen zusammensetzen und miteinander reden. Der eine hat einen konkreten Bedarf oder eine Fragestellung, der andere kann dazu zur Lösung vielleicht etwas beitragen. Gerade das ist aber auch die große Herausforderung. Unternehmen propagieren ihre Fragestellungen nicht in der Zeitung. Gerade bei internationalen Unternehmen ist hier die Zutrittsbarriere hoch, da ja die richtigen Ansprechpartner schwer greifbar sind. Wenn dabei erkannt wird, dass sich die Zusammenarbeit dann rechnet, dann findet sich auch eine Finanzierung dafür.

(+) plus: Wenn wir vom Innovationshub Wien mit der Stadt Wien als wichtige Auftraggeberin sprechen – wie gut schneidet Wien im Städte- und Innovationsvergleich ab? Was könnte man noch besser machen?

Ulrike Huemer, Stadt Wien: Wien hat im internationalen City-Innovation-Index Rang drei hinter London und San Francisco erreicht. Wir haben daher eine ausgezeichnete Ausgangsbasis dafür, innovative Ideen mit Kooperationspartnern aus der Industrie oder Forschungseinrichtungen weiterzuentwickeln. Die Initiative Digitalcity.wien setzt sich dafür ein, dass die Rahmenbedingungen weiterhin verbessert werden.

Wien hat mit der Innovationsstrategie 2020 klar definiert, bestimmte Stärkefelder gezielt auszubauen. IT ist dabei ein wesentlicher Faktor. Der Strategie zufolge soll jede Idee in Wien die Möglichkeit haben, auch umgesetzt werden zu können. Die Förderkulisse dazu ist in Österreich und auch in Europa sehr gut. Es geht aber auch darum, Fördermittel effizient und flexibel einsetzen zu können. Natürlich ist die öffentliche Verwaltung wie die Stadt massiv gefordert, Innovation zu ermöglichen. Wir können Living Labs initiieren, Proof-of-concepts ermöglichen. In Österreich herrscht leider immer noch eine Fehlerkultur, die kaum Fehltritte erlaubt.
Innovation lebt davon, dass manchmal anfangs etwas auch nur »gut genug« ist und nicht perfekt sein muss.

Bild: Ulrike Huemer, Stadt Wien: »Oft schwierig, Innovation zeitgerecht auf den Boden zu bringen.«

(+) plus: Es scheint aber kaum möglich zu sein, als öffentliche Auftraggeberin in Projekte mit signifikantem F&E-Anteil zu investieren – also in Lösungen, die es noch nicht von der Stange gibt.

Ulrike Huemer: Als CIO einer Stadt wie Wien leide besonders ich unter den starren vergaberechtlichen Bedingungen. Mitunter haben wir tolle Ideen, die wir mit Kooperationspartnern aus der Industrie oder Forschungseinrichtungen weiterentwickeln wollen, stoßen aber schnell an die Grenzen der Vergaberechts, die es für uns schwierig machen, Innovation zeitgerecht auf den Boden zu bringen. Bei aller Rücksicht auf Compliancevorgaben bei Ausschreibungen: Wir schränken uns hier selbst ein.

(+) plus: Mit welchen Lösungen ist Fabasoft auch international erfolgreich? Was sind Ihre Spezialitäten, Herr Dangl?

Andreas Dangl, Fabasoft Cloud: Fabasoft hat seit seiner Gründung 1988 stark auf das Behördengeschäft, auf die Verwaltung von Akten und Dokumenten in Organisationen, fokussiert. Trotz unserer Markterfahrung und Größe haben wir weiterhin den Drang, innovativ zu sein. Innerhalb unserer Organisation agieren wir deshalb wie ein Inkubator, um neue Produkte auch auf Basis von Forschungstätigkeit von Grund auf zu entwickeln und am Markt zu etablieren. Unsere Suchmaschinentechnologie Mindbreeze ist eines der Erfolgsbeispiele dazu. Sie ist mit ihrem semantischen Ansatz bei Enterprise Search international höchst erfolgreich und wird als lokal installierte Hardware in Unternehmensnetzen eingesetzt. An der Mindbreeze-Lösung haben wir inklusive Forschungsarbeiten sicherlich zehn Jahre lang entwickelt.

Bild: Andreas Dangl, Fabasoft Cloud: »Punkten mit Lösungen für die strengeren Sicherheitsanforderungen in Europa.«

Mit dieser Konsequenz und einem Verständnis für die strengeren Sicherheitsanforderungen in Europa schaffen wir es, erfolgreich zu sein.
Das zweite Thema ist Cloud Computing im Sinne von Software-as-a-Service als klarer Zukunftstrend. Auch hier haben wir einen klaren Fokus auf Sicherheits- und Verschlüsselungstechnologien sowie Datenschutz. Wir zeigen, dass beides möglich ist: flexible, skalierbare Clouddienste, die trotzdem nach europäischen Datensicherheitsrichtlinien sicher sind.

(+) plus: Herr Gasser, Anyline ist ein weiteres Beispiel für ein Produkt mit großem Potenzial auch am internationalen Markt. Welche Branchen sprechen Sie damit an?

Matthias Gasser, 9Yards: Anyline ist ein Softwarebaustein, der eine einfache Bildverarbeitung und Texterkennung über mobile Endgeräte ermöglicht. Als Startprojekt wurde mit dem Partner mySugr eine Anwendung entwickelt, die das Auslesen und Verarbeiten von Werten aus Messgeräten rein über die Kamera von Smartphones ermöglicht und die Daten in das mySugr Logbook importiert. Heute können wir stolz sagen, dass mittlerweile auch in Anwendungen von Konzernen wie zum Beispiel Red Bull Mobile Anyline in verschiedenen Apps im App Store zu finden ist. Es war von Anfang an klar, dass die Lösung sehr gut und einfach funktionieren muss. Über ein dynamisches, einfach anzupassendes Software-Development-Kit werden unterschiedlichste Texterkennungslösungen angeboten und finden bereits in verschiedensten Bereichen wie in der Utilities-, Logistikbranche oder auch für Personenidentifizierungen Anwendung.

Bild: Matthias Gasser, Anyline: »Regelmäßiger Auftritt auf internationalen Messen hilft sehr.«

(+) plus: Können Sie über die Chancen für heimische Unternehmen am internationalen Parkett sprechen – wie gehen Sie die Internationalisierung an?

Matthias Gasser: Wir kommen gerade vom Mobile World Congress in Barcelona zurück, auf dem wir, unterstützt von der Wirtschaftsagentur Wien, als Aussteller vertreten waren. Für uns war das ein sehr großer Erfolg. Gerade als Startup ist es wichtig, Präsenz zu zeigen – so waren wir auch auf Europas größter Energiemesse E-world in Essen vor einigen Wochen vor Ort. Als neues Unternehmen muss man mindestens zweimal bei diesen Veranstaltungen auftreten, um eine Vertrauensbasis schaffen zu können, um wahr- und ernst genommen zu werden. Es geht darum, zu zeigen: Uns gibt es immer noch. Schon ein Vergrößern des Messestandes demonstriert den Besuchern, dass sich bei uns einiges tut und dass wir wachsen.

(+) plus: Herr Huemer, wie erleben Sie österreichische Kunden? Sind diese offen für lokale Lösungspartner

Bild: Walter Huemer, Huemer IT-Solutions: »Brauchen wieder Bewusstsein, dass ›Made in Austria‹ etwas wert ist.«

Walter Huemer, Huemer iT-Solutions: ­Dies ist eine Frage der Kultur und leider waren meine Erfahrungen in den vergangenen Jahren dazu nicht nur positiv. Fakt ist, dass es österreichischen Startups schwer gemacht wird, am heimischen Markt Fuß zu fassen. Die Skepsis ist wahnsinnig groß. Wir haben immer wieder Aussagen von CIOs großer Unternehmen, die meinen, ihr Vertrauen nicht einem Unternehmen schenken zu können, das lediglich 20 Mitarbeiter hat – auch wenn man mit einer solchen Firmengröße in Österreich eigentlich zur etablierten Wirtschaft gehört. Ich finde, wir sollten Mut zeigen und unser Vertrauen österreichischen Unternehmen schenken.

Wir brauchen wieder ein Bewusstsein dafür, dass »Made in Austria« etwas wert ist. Die Schweizer machen uns das hervorragend vor. Schweizer kaufen prinzipiell in der Schweiz. Erst wenn etwas im eigenen Land nicht angeboten wird, kauft man woanders ein. Amazon und viele andere große Handels- und Industrieanbieter versteuern ihre Gewinne nicht hier. Sie investieren nicht in unser Sozialsystem und in unsere Infrastrukturen. Wir können und müssen das selbst lösen – vielleicht auch mit einem Umdenken bei Ausschreibungen.

Sehen & Verstehen

AIT und VRVis demonstrierten mit Partnern zahlreiche Technologien zu IT- und Infra­strukturSicherheit sowie Werkzeuge für Datenanalysen.

Cyberattack Information System (CAIS)

AIT-ExpertInnen forschen an neuen Sicherheitstechnologien wie etwa Techniken zur Anomalieerkennung, Methoden für den organisationsübergreifenden Austausch von Informationen zur besseren Abwehr von Cyberangriffen und zur effizienten Analyse der aktuellen Bedrohungslage mittels innovativen Werkzeugen.

Infrastruktur­visualisierung

Die Visualisierung von Infrastruktur­projekten ist zu einem wichtigen Werkzeug in der Planung, öffentlichen Präsentation, Umsetzung, Wartung und Betrieb geworden. VRVis GearViewer dient zur Visualisierung und Analyse von georeferenzierten Planungs- und Bestandsdaten in interaktiven 3D-Umgebungen– etwa zur realisitischen Darstellung von Straßen- und Schienenverkehr

Entscheidungshilfe bei Hochwasser (VISDOM)

Hochwassermanagement setzt ein vorbeugendes Handeln sowie Maßnahmen zur effektiven Gefahrenabwehr voraus. Mit der Software VISDOM von VRVis können Simulationsläufe erzeugt und mittels Visualisierung rasch analysiert werden, um beispielsweise beste Positionierungen für Sandsackbarrieren zu ermitteln.

Digitale Bürgerbeteiligung

Mittels E-Partizipation können Verwaltungsabläufe bei Bürgerbeteiligungsprozessen benutzerfreundlicher gestaltet und Services verbessert werden. Die Arbeit der AIT-ExpertInnen fokussiert auf eine dazu skalierbare und sichere Architektur. Die Technologie unterstützt Aspekte der Sicherheit und Privatsphäre sowie des Datenschutzes und kann mit bereits bestehenden elektronischen Identitäten genutzt werden.

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