Montag, Dezember 23, 2024

Wie gut schneidet der Wirtschaftsstandort Österreich ab? ­Finden Unternehmen die passenden Fachkräfte? Wie sehen die Voraussetzungen für ­Attraktivität und Flexibilität am ­Arbeitsmarkt aus?

Am 4. November veranstaltete der Report ein Publikumsgespräch zu Standortfaktoren, Willkommenskultur und Fachkräftebedarf. Die weiteren Partner des Gesprächs  im Wien Energie-Kundendienstzentrum waren NAVAX und Radio Technikum. Mit Martin Szelgrad, Report, diskutierten Thomas Irschik, Vorsitzender der Geschäftsführung Wien Energie; Oliver Krizek, Eigentümer und Geschäftsführer der ­NAVAX Unternehmensgruppe; Manuela Vollmann, Geschäftsführerin abz*austria; und Gerhard Novak, Senior Partner Anova HR-Consulting.

(+) plus: Die Energiebranche steckt in einem enormen Wandel. Vor welche Herausforderungen stellt diese Entwicklung den Arbeitgeber Wien Energie?

Thomas Irschik, Wien Energie: Die Energiebranche ist momentan eine der spannendsten, interessantesten und herausforderndsten Branchen. In den vergangenen Jahren sind viele neue Berufsbilder entstanden und die Unternehmen haben sich verändert. Wir handeln heute Energie an der Börse, kaufen nicht mehr wie früher Jahrespensa, sondern Stunden- und Viertelstundenprodukte ein. Wir verwalten Regelenergie, vermarkten Windkraft, bauen Bürgersolarkraftwerke mit Crowdfunding-Ansätzen – es ist eine komplette Durchmischung geworden. Wien wird zur Smart City, in der Energie flexibel erzeugt und genutzt wird.  Um all dies zu ermöglichen, brauchen wir auch smarte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für uns als Arbeitgeber bedeutet dies, eine gute Durchmischung der besten Leute zu bekommen sowie auch die Weiterbildung und Förderung der Beschäftigten zu gestalten.

Wir öffnen uns auch für Kooperationen mit Startups und jungen Unternehmen, die ihre Ideen einbringen. Oftmals haben Menschen aber Angst vor Flexibilität und Veränderung. Hier bedarf es einer guten Zusammenarbeit der Unternehmensführung mit der HR-Abteilung.

Thomas Irschik, Wien Energie

Thomas Irschik, Wien ­Energie: »Brauchen als Unternehmen für die Herausforderungen am Energiemarkt smarte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.«

(+) plus: Wien Energie hat eine gewisse Marktgröße und auch eine starke Marke. Ich nehme an, Sie haben kein Problem, die bes­ten Köpfe zu finden?

Thomas Irschik: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen nicht von selbst und wir wissen: Es gibt einen großen Wettbewerb um gute Leute. Wir treten auf Karrieremessen auf und investieren entsprechend auch in unsere Vermarktung. Wenn Sie als Unternehmen heute nicht mit Karrierethemen präsent sind und gute Basisfeatures bieten – flexible Arbeitszeiten, gut ausgestattete Arbeitsplätze, Weiterbildungsmöglichkeiten –, kommen Sie gar nicht ins Gespräch. Gehalt und Karrieremöglichkeiten sind weiterhin wichtige Bestandteilen, doch sind heute auch andere Werte entscheidend: In welchen Bereichen ist das Unternehmen engagiert? Was sind die Herausforderungen am Markt? Wie gestaltet sich meine tägliche Arbeit, wie abwechslungsreich sind meine Tätigkeiten? Wir wissen, dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch umsorgen und – salopp gesagt – pflegen müssen. Dazu gehört die Flexibilität, Bildungskarenzen oder andere Auszeiten zu gewähren.

(+) plus: Wenn wir mittelständische Unternehmen betrachten: Finden Sie die richtigen Leute am Arbeitsmarkt, Herr Krizek?

Oliver Krizek, NAVAX: Ich habe als Unternehmer unterschiedliche Phasen der Mitarbeiterführung erlebt – von der Gründung mit dem ersten Mitarbeiter bis zur Beschäftigung von knapp 200 Leuten heute an sieben Standorten in drei Ländern. Wir haben mittlerweile mit unserem Namen und unserer Größe den Vorteil, dass sich Interessierte auch von selbst bewerben. Wir wissen aber, dass wir auch selbst viel dazu investieren müssen und das machen wir auch. Vor allem bei der Mitarbeiterbindung sind wir sehr umtriebig und versuchen durch Fortbildungsmaßnahmen in Kombination mit Unternehmensfitnessprogrammen und Afterwork-Events den Mitarbeitern einen Mehrwert zu bieten und mit einer modernen Arbeitsumgebung und -tools zu punkten.

Oft entspricht jedoch das Anspruchsdenken in der heutigen Zeit nicht den Realitäten des Marktes, wie man auch anhand von Studien sieht. Da erwartet ein Studien­abgänger heute ein Gehalt ab 2.000 Euro netto. Das sind teilweise verrückte Beträge, bei denen mittelständische Unternehmen mit den großen internationalen Konzernen nicht mithalten können. Ich bin überzeugt, dass ein Mitarbeiter mit einem so hohen Einstiegsgehalt nur noch wenig Motivation für die kommenden Jahre übrig hat. Ich schätze Österreich mehr als jedes andere Land. Viele hier haben aber noch nicht mitbekommen, dass wir uns alle in einer globalisierten Welt bewegen. Es geht nicht mehr um Salzburg gegen Graz oder um Österreich gegen Deutschland. In Zukunft wird sich ganz Eu­ropa mit anderen Regionen matchen müssen.

Oliver Krizek, Navax

Oliver Krizek, Navax: »Es geht nicht mehr um Salzburg gegen Graz oder um Österreich gegen Deutschland. In Zukunft wird sich ganz Europa mit anderen Regionen matchen müssen.«

(+) plus: Welche Art von Mitarbeitern suchen Sie?

Oliver Krizek: Wir suchen Mitarbeiter die einerseits technisch gut ausgebildet sind, andererseits als HAK- oder FH-Absolventen auch über einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund verfügen, da wir zukünftig den Fokus noch mehr auf Beratung setzen werden. Weniger suche ich meine Mitarbeiter auf der Wirtschaftsuniversität, hier stoßen wir oft auf eine gewisse Saturiertheit bei den Kandidaten.

(+) plus: Wie schneidet der Wirtschaftsstandort Österreich im Vergleich mit anderen Ländern in Europa ab?

Oliver Krizek: Wenn wir die IT-Branche betrachten, können wir uns nicht an anderen europäischen Ländern messen, da Eu­ropa diese Entwicklung der IT völlig verpasst hat. Die starke Economy dazu befindet sich in Kalifornien. Jedes Startup heute, das wirklich etwas erreicht, finanziert sich über das Silicon Valley. Positive Ausnahmen in Europa sind vielleicht noch Berlin und Paris – Städte, in denen sich bei Unternehmensgründungen im IT-Bereich derzeit viel tut. Das Denken in Nationalstaaten in Europa ist für den wirtschaftlichen Erfolg aber kontraproduktiv. Auch ist die Mobilitätsbereitschaft der Arbeitnehmer in Österreich fürchterlich. Wir haben schon Probleme, Mitarbeiter für die Dauer eines Projekts von ein paar Wochen ins Ausland zu bewegen.

(+) plus: Welchen Struktur- und Kulturwandel wünschen Sie sich für den Arbeitsmarkt, Frau Vollmann?

Manuela Vollmann, abz*austria: Wir wissen aus Studien, dass der Faktor Einkommen gegenüber anderen Werten in der Wichtigkeit abnimmt. Unternehmen müssen sich heute überlegen, wie sie sich attraktiv für Jüngere ebenso wie für Ältere gestalten können – um gerade auch die vielen Förderungen, die es in Österreich gibt, in Anspruch nehmen zu können. Das abz*austria ist nicht nur beratend im Arbeitsmarkt für Unternehmen tätig, sondern auch ein Partner für die öffentliche Hand und damit auch für die Politik, um diese Win-win-win-Situation für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Unternehmen und Staat zu ermöglichen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und auch die Beschäftigung Älterer sind keine reinen sozialen Themen mehr, sondern wirken sich auf die Produktivität in Unternehmen aus. Hier gilt es, alle Menschen auf dem Weg der Digitalisierung der Wirtschaft mitzunehmen. Dies ist zu einer Überlebensfrage für die Unternehmen geworden. Grundsätzlich ist es für jedes Unternehmen gut, Menschen lange im Job zu halten. Schließlich hat man ja auch viel Wissen in seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investiert.

Manuela Vollmann, abz*austria

Manuela Vollmann, abz*austria: »Wir müssen eine flexible lebensphasenorientierte Arbeitszeitkultur in Österreich einführen.«

(+) plus: Wie können Firmen Arbeitnehmer länger im eigenen Unternehmen halten?

Manuela Vollmann: Wir haben in unserem Unternehmen ein System, dass auch im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten absolut flexible Arbeitszeiten erlaubt. So kommen wir auch ohne Kernarbeitszeiten aus. Unsere 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können in einem Gleitzeitmodell zwischen sechs bis 22 Uhr arbeiten. Wir bieten zudem die Möglichkeit an, von zu Hause aus zu arbeiten. Insgesamt gab es im abz*austria im Vorjahr 26 verschiedene Teilzeitmodelle. Wir wollen aber nicht prinzipiell Frauen in die Teilzeitbeschäftigung drängen, sondern glauben, dass es Lebensphasen sowohl bei Männern als auch bei Frauen gibt, die flexiblere Arbeitsverhältnisse benötigen. Dies wird wohl jeder von uns kennen, dass man manchmal seine Energien etwas herunterfahren möchte, um dann zu einer anderen Zeit wieder besonders leistungsfähig zu sein.

Solche Schwankungen sind ganz natürlich und müssen auch möglich sein – sonst geht einem irgendwann die Luft aus. Wir müssen eine flexible lebensphasenorientierte Arbeitszeitkultur in Österreich einführen. Wir brauchen das für Mitarbeiter, die junge Eltern sind, und auch für jene mit einem Pflegefall zu Hause. Hier auf die Politik zu warten, ist eine Möglichkeit. Als Unternehmen selbst etwas zu tun, ist noch besser. Das alles sind wesentliche Faktoren, um als Unternehmen und auch als Wirtschaft insgesamt attraktiv zu sein.

(+) plus: Haben wir eine Willkommenskultur in Österreich? Sollten wir den Arbeitsmarkt auch Flüchtlingen öffnen?

Manuela Vollmann: Leider haben wir in Österreich die Tradition, Menschen mit Migrationshintergrund entweder unterqualifiziert oder überhaupt nicht zu beschäftigen. Statistiken zufolge ist die Arbeitslosenrate bei diesen Menschen besonders hoch. Hier hat der Staat, aber auch die Wirtschaft noch viel zu tun.

Ich bin guter Hoffnung, dass sich dies ändern wird. Denn die Motivation der Menschen, die nach Österreich kommen, ist riesengroß. Wir sollten das Beste daraus machen. Auch das herrschende Bildungssystem hat längst ausgedient. Erwachsenenbildung ist hierzulande völlig unterdotiert.

Bürokratie am Pranger (Oben): »Maßnahmen wie die Rot-weiß-rot-Karte für die Beschäftigung von Schlüsselkräften aus Drittstaaten funktionieren nicht. Die Verfahren dauern viel zu lange«, merkte Gerhard Mansbart, arx anima, aus dem Publikum an.

(+) plus: Werden aus Ihrer Sicht die richtigen Fachkräfte ausgebildet?

Gerhard Novak, Anova HR-Consulting: Wahrscheinlich sehen alle, die in der Wirtschaft stehen, die Bildungspolitik in Österreich als dringend veränderungsbedürftig an. Während früher Unmengen an Controllern ausgebildet wurden, hat sich der Schwerpunkt in der universitären Ausbildung auf HR-Expertinnen und -Experten gedreht. Was der Wirtschaft aber fehlt, sind ausgebildete Vertriebskräfte. Hierzulande hat der Vertrieb kein besonders gutes Image – zu Unrecht. Ebenso werden in Technikbereichen zu wenige Menschen ausgebildet. Der Bedarf des Marktes ist in manchen Bereichen wesentlich höher, als universitäre und andere Ausbildungen produzieren.

Wir beraten Unternehmen auch zu Employer Branding. Hier geht darum, im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte attraktiver als andere zu sein. Die Arbeitgebermarke wird zunehmend wichtig, um Mitarbeiter zu gewinnen und die besten Köpfe im Unternehmen zu halten. Wir wissen aus Gesprächen mit Bewerberinnen und Bewerbern: An oberster Stelle bei den Faktoren für einen Arbeitsplatz steht die Wertschätzung.

Gerhard Novak, Anova HR-Consulting

Gerhard Novak, Anova HR-Consulting: »So gut ausgebildet, so erfahren, so selbst­bewusst kann eine Person nicht sein, dass sie im Alter von über 50 Jahren einen Arbeitsplatz am freien Markt bekommt.«

(+) plus: Sehen Sie generell überzogene Gehaltsvorstellungen bei Bewerbern?

Gerhard Novak: Absolut nicht. Doch ist in der IT-Branche die Situation derzeit sicherlich angespannt. Hier sehen viele spätestens nach ein, zwei Bewerbungen, dass Fachkräftemangel herrscht. Und Angebot und Nachfrage bestimmen bekanntlich die Preise.

Generell sehe ich bei der Mitarbeitersuche einen Wandel im HR-Bereich: Zunehmend wird auf die Persönlichkeit geachtet. Soft Skills sind heute mindestens so wichtig wie die fachlichen Voraussetzungen und auch keine Frage des Alters oder des Geschlechts. Das lebenslange Lernen heute ist ein Faktum.

Auch ist die Beschäftigung von 50+ Arbeitnehmern ein massives gesellschaftspolitisches Thema, das sich in den nächsten Jahren sicherlich verschärfen wird. So gut ausgebildet, so erfahren, so selbstbewusst kann eine Person nicht sein, dass sie im Alter von über 50 Jahren einen Arbeitsplatz am freien Markt bekommt. Wir brauchen hier vor allem eine politische Strategie, dieses Bewusstsein in den Unternehmen zu schärfen und Maßnahmen einzufordern. Wenn ein 52-Jähriger in einem Unternehmen angestellt wird, hat er laut Pensionsrecht noch 13 Jahre zu arbeiten. Ich kenne keine Firma, die über einen Business-Plan über einen solch langen Zeitraum verfügt.


 

Alle Bilder vom Podium Arbeitsmarkt gibt es HIER.

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Das zusammenfassende Video vom Podium Arbeitsmarkt:

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