Die jüngste Entscheidung des Europaparlaments zur EU-Klimapolitik hatte es in sich: Der Vorschlag der Kommission, CO2-Zertifikate temporär aus dem Markt zu nehmen, wurde abgelehnt. Die Kommission steht damit vor den Scherben ihrer Klimapolitik. Wie konnte es so weit kommen?
Von Gilbert Rukschcio
Den Graben, in dem der Klimakarren nun steckt, hat sich die Europäische Kommission wohl selbst gegraben. Im Glauben, den sogenannten »Backloading«-Vorschlag schnell durch Parlament und Rat peitschen zu können, um fast eine Milliarde Zertifikate aus dem Markt nehmen zu können, hat sich vor allem die Generaldirektion »Klima« wohl verrannt. Mit dem Worst-Case-Szenario, dass es nicht der niedrige Preis sein wird, der den Emissionshandel »killen« wird, sondern die falsche Strategie der Kommission. Welche strategischen Fehler beging die Kommission?
>> Pacta sunt servanda <<
Die Verhandlungen um die dritte Phase des Emissionshandels waren zäh und schwierig. Man konnte förmlich das kollektive Aufatmen in Brüssel und den Hauptstädten hören, als endlich ein Deal erreicht werden konnte: Das Ziel der 20 %-Reduktion schaffte es durch alle Institutionen. Doch das war einigen Klimaschutzaktivisten nicht genug, und so begannen sie mit massivem Lobbying für das Ziel 30 % bis 2020. Kaum war das Paket geschnürt, sollte es neu verhandelt werden. Dies ließ massiv an der »Handschlagqualität« der EU-Politik zweifeln.
>> Was ist das Ziel? <<
Europa und seine Industrie unternehmen große Anstrengungen, jenen Beitrag am Klimaschutz zu leisten, der politisch und technisch möglich ist. Das ist auch richtig so, schließlich geht es hier um unser aller Zukunft. Man könnte meinen, dass die größte Herausforderung für die EU nach erfolgreicher Fixierung des Emissionshandelssystems (»ETS«) die internationale Dimension darstellt. Klima retten in Europa: schön und gut. Aber Klima, das ist ein globales Ding. Wie bringe ich also Chinesen, Amerikaner und alle anderen dazu, Europa zu folgen? Indem ich mir immer höhere Ziele stecke, die die Industrie immer lauter schreien lassen? Oder indem ich ambitionierte, aber realistische Ziele vereinbare und der Industrie eine Planungssicherheit gebe? Die Zertifikatspreise sind niedrig, aber wir erreichen trotzdem unser gestecktes Ziel von 20 %? Wohl das »Killerargument«, China und die USA mit an Bord zu holen. Sehr schade, dass die Klima-Kommissarin Hedegaard diese historische Chance vertan hat.
>>Richtige und mutige Entscheidung <<
Dass die Europaparlamentarier den Backloading-Vorschlag abgelehnt haben, ist eine richtige und mutige Entscheidung gewesen. Mutig, weil sich daraus natürlich leicht ein politischer Strick drehen lässt. Richtig, weil sie ihren politischen Willen von 2008 bekräftigt haben und die eigentliche Zielsetzung des Emissionshandels damit unterstrichen haben. Nun müssen der Umweltausschuss und dann das Europaparlament im zweiten Anlauf ihren Mut bestätigen.
Zum Autor:
Gilbert Rukschcio studierte Politikwissenschaft in Wien und Aix-en-Provence. Seine berufliche Laufbahn startete er 2005 im Europäischen Parlament. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsunternehmens pantarhei europe und als Politikberater mit Tätigkeitsschwerpunkt in Brüssel für verschiedene österreichische und internationale Unternehmen und Verbände tätig. In seiner Kolumne »Nachricht aus Brüssel« versorgt er die LeserInnen der Report-Fachmedien mit Hintergrundinfos zu europäischen Fragen.