Dienstag, Juli 02, 2024
Grüne Vergaben
Bild: Asfinag

Der Bau & Immobilien Report hat sich angesehen, wie öffentliche Bauprojekte nachhaltiger werden können. Enormes Potenzial bieten BIM und Early Contractor Involvement. Es gibt aber auch Hürden.

 

Das Thema »Nachhaltigkeit« ist gekommen, um zu bleiben. Immer mehr öffentliche Auftraggeber gehen mit gutem Beispiel voran und wollen ihre ökologische und soziale Verantwortung wahrnehmen. Der Lenkungshebel durch die öffentlichen Auftraggeber ist enorm. Der öffentliche Einkauf ist für acht Prozent der österreichischen CO2-Gesamtemissionen verantwortlich, davon wiederum entfällt ein Drittel auf den Bausektor. Mit der Implementierung von Nachhaltigkeitskriterien in Vergabeverfahren kann die öffentliche Hand dazu beitragen Umweltbelastungen zu reduzieren, Ressourceneffizienzen zu steigern und soziale Standards zu fördern. »Das Bundesvergabegesetz schreibt in diesem Zusammenhang sogar ausdrücklich vor, dass bei Vergabeverfahren auf die Umweltgerechtheit der Leistung zwingend Bedacht zu nehmen ist«, erklärt Daniel Deutschmann, Heid und Partner Rechtsanwälte.

Nachhaltige Vergabeelemente können quer über den gesamten Beschaffungsprozess verankert werden. Dies kann durch die Leistungsbeschreibung (z. B. Mindestanteil an recycelbaren Materialien), die Festlegung der technischen Spezifikationen (z. B. Sozial-Gütesiegel), die Vergabekriterien (z. B. Total-Cost-of-Ownership-Modelle als Zuschlagssystem) oder einen Leistungsvertrag (z. B. »Grüne Allianzmodelle«; »Nachhaltige Bonus-Malus-Systeme«) erfolgen.

Unternehmen wie die Asfinag machen von diesen Möglichkeiten schon heute Gebrauch. »Über die Vergabe steuern wir sehr bewusst die Bauleistungen und die Qualität«, erklärt Andreas Fromm, Geschäftsführer Asfinag Bau Management. Mit 37 Hauptzuschlagskriterien und 34 Subkriterien für die Beschaffung von Bauleistungen hat die Asfinag einen sehr umfangreichen Katalog, bei dem neben der Qualität auch die Nachhaltig eine zentrale Rolle spielt. Aktuell liegt die Qualitätsgewichtung bei rund elf Prozent. »Unser Ziel sind 15 Prozent, von denen wiederum die Hälfte aus ökosozialen Kriterien besteht«, erklärt Fromm. Besonderes Augenmerk legt die Asfinag auf die Reduktion der CO2-Emissionen. Dafür wurde gemeinsam mit Stakeholdern wie Baufirmen, Baustoffherstellern und Forschungseinrichtungen das LC-CO2-Toll entwickelt. »Mit diesem Lifecycle-Berechnungstool können wir den CO2-Fußabdruck verschiedener Varianten von Baumethoden und Bauwerken berechnen«, erklärt Fromm.

Auch bei den Wiener Linien spielt Nachhaltigkeit in der Vergabe eine zentrale Rolle. »Das schlägt sich etwa bei den Eignungs-, Auswahl- und Zuschlagskriterien nieder«, erklärt Gudrun Senk, technische Geschäftsführerin der Wiener Linien. Aber auch bei der Beschreibung der zu erbringenden Leistungen werden bei den Wiener Linien Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt. Einige Beispiele hierfür sind laut Senk die Zertifizierung Umweltmanagementsystem ISO 14001 / EMAS, die Bewertung des Grads der Nachhaltigkeit oder aber auch, dass Unternehmen eine lange Verfügbarkeit von Ersatzteilen zusichern sowie die Verwertung von Aushub und Ausbruchsmaterialien.

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Bild: »Als öffentliche Auftraggeberin mit einer gewissen Nachfragemacht können wir mit Beschaffungen ein Signal an den Markt senden. Wir können unseren Bedarf neu und nachhaltig formulieren, auch wenn dies bedeutet, dass die Ausschreibung einer besonders umweltschonenden Leistungserbringung den Markt etwas einengt«, sagt Gudrun Senk, technische Geschäftsführerin der Wiener Linien.

ECI und BIM
Das Grundkonzept einer nachhaltigen Beschaffung beruht auf klaren und überprüfbaren Umweltkriterien für Produkte und Dienstleistungen, die einen lebenszyklischen Ansatz verfolgen und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. »Bei klassischen Vergabemodellen ist es für den Auftraggeber nicht ganz einfach, die bestmögliche Optimierung in diesen Bereichen zu erwirken, da die Planung bei diesen Modellen entkoppelt von der Ausführung erfolgt«, erklärt Deutschmann. Dazu kommt, dass konkrete Produkte zum Zeitpunkt der Entwurfsplanung nicht bekannt sind und die Ausschreibung produktneutral erfolgt. Und es ist alles andere als trivial, verschiedene Planungsvarianten zur Ermittlung der CO2-optimiertesten Lösung zu erstellen. »Dafür braucht es Early Contractor Involvement und den Einsatz von BIM«, ist Deutschmann überzeugt.

Um die CO2-Emissionen zu reduzieren, werden EPDs (Environmental Product Declarations) für Baustoffe, Bauprodukte und Baukomponenten im BIM-Modell hinterlegt und die Planungsvariante mit der besten Ökobilanz berechnet. Damit die Ökobilanz für jede Variante richtig ermittelt werden kann, muss der Planer bereits wissen, welche konkreten Produkte bei welcher Variante verwendet werden sollen. Dazu muss auch das ausführende Unternehmen bereits frühzeitig in das Projekt eingebunden werden, um die konkreten Produkte festzulegen. »Es ist somit ein ECI-Modell erforderlich, bei dem die Ausführenden bereits im Entwurf in das Projekt eingebunden werden und bei der frühzeitigen Festlegung der Produkte mitwirken. So können die CO2-Emissionen für die Herstellungsphase bestmöglich reduziert werden«, sagt Deutschmann.

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Bild: »Bei klassischen Vergabemodellen ist es für den Auftraggeber nicht ganz einfach, die bestmögliche Optimierung zu erwirken, da die Planung bei diesen Modellen entkoppelt von der Ausführung erfolgt«, erklärt Daniel Deutschmann, Heid und Partner Rechtsanwälte.

Um in der Praxis tatsächlich ökologisch nachhaltige Bauvorhaben abzuwickeln, ist laut Deutschmann zudem eine Vertragsgestaltung erforderlich, die »Nachhaltigkeit« transparent und messbar macht. »Bei alternativen Vertragsmodellen wie dem Allianzvertrag stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um eine hohe Nachhaltigkeit auch als lohnenswertes Incentive im Vertrag zu verankern«, so Deutschmann. Durch ein entsprechendes Bonus-Malus-System sollten für die Projektbeteiligten vertragliche Anreize zur Reduktion von CO2 geschaffen werden.

Reaktionen der Auftraggeber
Mit der Idee, mit BIM und ECI die Nachhaltigkeit von Bauprojekten zu erhöhen, stößt Deutschmann bei Auftraggebern wie Asfinag oder Wiener Linien auf offene Ohren, aber auch Hürden. »Wir haben uns mit dem Thema ECI sehr intensiv befasst. Im Hochbau ist es auch sehr gut anwendbar, weil die Behördenverfahren kürzer sind«, sagt Asfinag-Geschäftsführer Fromm. Schwieriger sei es im Tiefbau. »Da fehlt uns noch der Stein der Weisen«, gibt Fromm zu. Aktuell wird versucht, mit mehrstufigen Verhandlungsverfahren das Know-how der ausführenden Unternehmen für ein Projekt zu gewinnen. »Da haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.« Auch an einer ECI-light Variante wird gearbeitet. »Dabei gibt es eine sehr lange, monetär abgegoltene Vorlaufzeit, wo auch nach der Auftragsvergabe noch umfangreiche Optimierungen vorgenommen werden können, bevor es mit dem Bau los geht«, so Fromm.

Bei den Wiener Linien kam ECI bislang ausschließlich durch das Fordern von zu bewertenden Konzepten im Zuge von Ausschreibungen zum Einsatz. »Hier zeigte sich bereits das Potenzial und der Innovationsgeist der Planer*innen, es konnten wertvolle Inputs generiert werden«, sagt Geschäftsführerin Senk. Künftig planen die Wiener Linien, Bauvorhaben nach dem Allianzpartnermodell bzw. Verträge mit ECI-Elementen auszuschreiben. »Spätestens dann wird sich für uns zeigen, ob der erwartete Mehrwert realisiert werden kann«, so Senk.

Uneingeschränkte Zustimmung gibt es beim Einsatz von BIM. Durch den Variantenvergleich in einer frühen Projektphase sieht Senk das Thema BIM auch als Teil von ECI. Im nächsten Jahr wollen die Wiener Linien eine dynamische Gebäudesimulation sowie die Ermittlung der materialspezifischen CO2-Emissionen im Rahmen eines BIM-Pilotprojekts für den Neubau einer Werkstätte im 21. Bezirk erproben. Die Asfinag lässt aktuell zahlreiche Brücken digital nachmodellieren, um Berechnungen durchführen zu können, welche Auswirkungen eine Sanierung gegenüber einem Abbruch und Neubau hätte. »BIM ist das Um und Auf. Nur mit diesen digitalen Tools ist es möglich, die CO2-Einsaprungen auch seriös zu berechnen«, so Fromm.

Grüne Vergabe am Beispiel eines fiktiven Bauvorhabens

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Drohende Angebotsverknappung
Die immer wieder ins Spiel gebrachte Sorge der Angebotsverknappung sieht Fromm vor allem beim Thema ECI. »Das klassische ECI-Modell, bei dem man ein Unternehmen mit einer Idee beauftragt, ist bei uns nicht möglich, weil wir zum einen an das Bundesvergabegesetz gebunden sind und ja auch einen Preiswettbewerb haben wollen.« Kein Problem sieht er hingegen bei BIM, weil die Asfinag keine Revolutionen plane, sondern auf Evolution setzt. »Wir starten mit Pilotprojekten, bei denen wir technische Neuerungen als Qualitätskriterium anbieten lassen. So lernen die Baufirmen, wo wir hinwollen und können sich entsprechend weiterentwickeln. Das funktioniert sehr gut«, so Fromm.

Einen Schritt weiter geht Gudrun Senk. » Als öffentliche Auftraggeberin mit einer gewissen Nachfragemacht können wir mit Beschaffungen ein Signal an den Markt senden. Wir können unseren Bedarf neu und nachhaltig formulieren, auch wenn dies bedeutet, dass die Ausschreibung einer besonders umweltschonenden Leistungserbringung den Markt etwas einengt.«


Hintergrund: Probleme des AG bei klassischen Vergabe- und Vertragsmodellen

- Planung erfolgt entkoppelt von der Ausführung
- Konkrete Produkte sind zum Zeitpunkt der Entwurfsplanung nicht bekannt
- Ausschreibung muss produktneutral erfolgen
- Erstellen von Planungsvarianten zur Ermittlung der CO2-optimiertesten Lösung ohne BIM sehr aufwendig
- Kein (monetärer) Anreiz zur Umsetzung des nachhaltigsten Projekts für Planer und Ausführende
- Budgetierung durch den AG, nachhaltiges Bauen ist teurer

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