Mittwoch, November 20, 2024

Robert Grüneis, Geschäftsführer der Aspern Smart City Research GmbH & Co KG (ASCR) im Gespräch über die bisherigen Erfolge bei der Entwicklung von Technologien für die »Smart City« der Zukunft und die weiteren Perspektiven. 

Kommendes Jahr endet die zweite Programmperiode der ASCR. Was sind aus Ihrer Sicht deren bisher wichtigste Ergebnisse?

Robert Grüneis: Wir sind insgesamt gut unterwegs. Besonders hervorzuheben ist unser Smart Grid Lab. Dieses beinhaltet unter anderem Devices und Algorithmen, die den Zustand des Verteilnetzes besser erkennen können. Einer unserer Eigentümer ist bekanntlich die Wiener Netze GmbH, die rund 10.000 Trafostationen betreibt. Im Rahmen des Smart Grid Lab untersuchen wir, wie ein intelligentes Stromnetz geplant, aufgebaut und betrieben werden kann. Außerdem lassen sich in dem Lab neue Netzkomponenten und Softwareprogramme ausprobieren, bevor sie in den realen Netzbetrieb übernommen werden. Das ist wichtig, denn die Versorgungsqualität und die Versorgungssicherheit müssen jederzeit möglichst energieeffizient gewährleistet werden können.

Auf Ihrer Website ist die Rede von einem »Smart-Grid-Baukasten«. Worum handelt es sich dabei?

Grüneis: Vereinfacht gesagt, ist der Baukasten ein Gerät zum Erkennen und Visualisieren der Situation im Verteilnetz, das wir in Trafostationen verbauen. Die Analyse der gewonnenen Daten und die Arbeit mit diesen erfolgen im Smart-Grid-Lab. Beispielsweise sehen wir mithilfe des Baukastens besser, an welchem Punkt es im Netz ein Problem gibt. Über die Örtlichkeitsdaten zu diesem Punkt lässt sich die Ursache dieses Problems leichter erkennen. Das macht die Wartung effizienter und spart Kosten. Letztlich geht das in Richtung Predictive Maintenance. Derzeit sind wir noch bei der weiteren Verbesserung der Betriebsprozesse, um Kosten zu sparen. Dazu müssen wir mehr Daten aus dem Netz erheben. 

In einer aktuellen Unternehmenspräsentation heißt es, die in die Forschungsprojekte des ASCR eingebundenen Gebäude seien »smart-grid-ready«. Was bedeutet das konkret?

Grüneis: Unsere Gebäude sind mit einer speziellen Software ausgestattet, der Building Optimization Suite (BOPS). Sie hat, grob gesprochen, zwei Funktionen. Auf der einen Seite optimiert sie den Einsatz der Wärmepumpen sowie Photovoltaik- und Solarthermieanlagen, aber auch den Stromspeicher und E-Ladestationen im Gebäude. Auf der anderen Seite ist sie die Schnittstelle zum Smart Grid. Das intelligenteste Netz ist ja nutzlos, wenn es in den daran angeschlossenen Einrichtungen keine Andockstellen gibt.

Nehmen wir das Beispiel E-Laden: Das mit künstlicher Intelligenz ausgestattete BOPS kann feststellen, wie viel Ökostrom gerade im Gebäude selbst erzeugt wird, und veranlassen, dass dieser Strom bei Bedarf zum Laden der E-Fahrzeuge verwendet wird. Ist er dafür nicht notwendig, sorgt das BOPS dafür, dass der Strom in einen Speicher eingespeichert oder ins Netz eingespeist wird, wobei es stets auf die Netzdienlichkeit achtet. So sind unsere Testbeds flexible Prosumer, sie verbrauchen nicht nur Energie, sondern produzieren und speichern diese auch. Mit dem BOPS hören wir auch in die Gebäude hinein, beobachten Anomalien und dokumentieren diese. So unterstützt das System auch Facilitymanager. In Zukunft wird es in der Lage sein, diesem nicht mehr nur zu melden, dass es ein Problem gibt, sondern auch proaktiv eine Lösung dafür vorzuschlagen oder selbst einen Installateur zu beauftragen, wenn beispielsweise ein Abfluss verstopft ist.

Außerdem arbeitet die ASCR gemeinsam mit der Wirtschaftsagentur Wien daran, Gebäude virtuell in Betrieb zu nehmen. Dazu nutzen wir digitale Zwillinge. Ein neues Bürogebäude in Betrieb zu nehmen, ist extrem schwierig und langwierig. Mit unserem Partner Siemens Building Technologies wollen wir zeigen, dass die Inbetriebnahme schneller möglich ist, wenn sie vorab virtuell erfolgt. Beispielsweise kann man dabei auf Änderungen der Nutzungspläne reagieren, wenn statt Einzelbüros doch Großraumbüros eingerichtet werden sollen. Unter anderem ist es möglich, Schlüsse über Änderungen der benötigten Anlagenleistung zu ziehen.

Ein weiteres Thema ist: Bei einem unserer Gebäude handelt es sich um ein Studentenheim. Die dort installierten Photovoltaikanlagen erzeugen mehr Strom, als im Wohnheim benötigt wird. Daher überlegen wir, mit einer 230-kW-Anlage am Tertiärregelmarkt teilzunehmen. Dafür müssten wir sie beim Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid (APG) präqualifizieren lassen. Angedacht ist, in weiterer Folge für die Teilnahme am Regelenergiemarkt einen Hybridregler zu nutzen. 

Wie würde das funktionieren?

Grüneis: Im Idealfall so: Die APG würde bei dem Regler anfragen, ihr morgen um zehn Uhr früh eine bestimmte Regelleistung zur Verfügung zu stellen, ob nun positiv oder negativ. Der Regler würde entscheiden, ob das möglich ist, und die Fahrweise der Anlagen, die er regelt, entsprechend gestalten. Er könnte beispielsweise ein Windrad weiterbetreiben, aber den Ökostrom nicht ins Netz einspeisen, sondern in einen Speicher, oder ihn nutzen, um Elektroautos aufzuladen.  Der Regler könnte also gewährleisten, dass insgesamt möglichst viel Strom auf Basis erneuerbarer Energien genutzt werden kann, und zwar zu jedem Zeitpunkt auf optimale Weise. 

Auf der Website der ASCR ist die Rede von der »Begleitung der realen Umsetzung einer lokalen erneuerbaren Energiegemeinschaft«. Was ist diesbezüglich der aktuelle Stand?

Grüneis: Das ist leider schwierig. Wir haben versucht, eine größere Energiegemeinschaft mit einem kommunalen Wohnbauträger zustande zu bringen. Das wäre sehr interessant gewesen. Aber die rechtlichen Bestimmungen sind so eng gefasst, dass solche Wohnbauträger nicht an erneuerbaren Energiegemeinschaften teilnehmen dürfen. Daher haben wir die Prozesse zum Einrichten einer Energiegemeinschaft »virtuell« ausprobiert und uns angesehen, wie das alles auf der EDA-Plattform von Oesterreichs Energie funktioniert. In einem nächsten Schritt beschäftigen wir uns mit den Abrechnungsprozessen. Unsere Erfahrungen fließen in die zuständigen Arbeitsgruppen von Oesterreichs Energie ein. 

Wie geht es nach der zweiten Programmperiode weiter?

Grüneis: Die laufende Periode wird Ende kommenden Jahres abgeschlossen. Wir haben daher Mitte des heurigen Jahres begonnen, uns Gedanken zu machen, welche Forschungsfragen für unsere Gesellschafter interessant sein könnten. Im Laufen ist eine Workshop­reihe mit den Wiener Netzen. Deren Interessen gehen in Richtung günstigere Instandhaltung und mehr Nähe zu den Kunden. Außerdem sollen Daten aus der Gebäudetechnik für das Optimieren von Netzbetriebsprozessen genutzt werden, wenn das möglich ist.

Bei der Gebäudetechnik selbst wird es unter anderem voraussichtlich darum gehen, die gemeinsamen Planungsprozesse zu verbessern, damit die intelligente Technik leichter in die Gebäudehülle integriert werden kann. Außerdem möchten wir uns mit der virtuellen Inbetriebnahme von Gebäuden beschäftigen, über die wir bereits gesprochen haben. Weitere Themen sind, ähnlich wie bei den Netzen, Predictive Maintenance und die Straffung von Prozessen für das Facility Management. Beispielsweise wäre es möglich, virtuelle Zwillinge mehrerer Gebäude zu erstellen und miteinander zu vergleichen. Das würde das Facility Management erleichtern und verbessern. Die diesbezüglichen Gespräche mit der Wien Energie und ihrer Tochter Facility Comfort sind allerdings erst am Beginn.

Den Hybridregler für die Teilnahme am Regelenergiemarkt habe ich bereits angesprochen. Auch das wird ein Thema der nächsten Programmperiode sein. 


Hintergrund

Die Aspern Smart City Research GmbH & Co KG (ASCR) wurde 2013 von Siemens, der Wien Energie, der Wiener Netze GmbH sowie der Wien 3420 Aspern Development AG und der Wirtschaftsagentur Wien gegründet. Sie erforscht und entwickelt anhand von Echtdaten aus dem Stadtentwicklungsgebiet aspern Seestadt Lösungen für die künftige Energieversorgung von urbanen Ballungsgebieten. Im Zentrum ihrer Tätigkeit stehen vier thematische Bereiche, nämlich das Netz (Smart Grid), die Gebäude (Smart Building), die Informations- und Kommunikationstechnologie (Smart ICT) sowie die Nutzer*innen (Smart User). Damit befassen sich etwa 100 Forscher*innen aus unterschiedlichsten Fachbereichen. Die Geschäftsführer der ASCR sind Robert Grüneis und Georg Pammer.

Info: ascr.at

(Titelbild: Vogel AV)

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