Der Übertragungsnetzbetreiber Austria Power Grid (APG) warnt vor extremen Lücken und mobilisiert alle Kräfte für das Funktionieren der Energiewende.
Die Mission-2030-Ziele, bis zum Jahr 2030 bilanziell 100 % erneuerbaren Strom in Österreich zu haben, sind »durchaus schaffbar«, unterstreicht APG-Vorstand Gerhard Christiner, mit dem Zusatz: »wenn man es wirklich will«. Die Dekarbonisierung brauche aber einen vollständigen Umbau des Systems. »Wenn wir nicht über den Netzausbau sprechen wollen, dann müssen wir über die Alternativen reden«, geht es Christiner beim Umbau nicht rein einen Ersatz der thermischen Kraftwerke durch Erneuerbare – sondern »um viel mehr«.
Während aktuell rund 3 GW Windkraft-Leistung und 1,7 GW Photovoltaik im Land installiert sind, braucht es für das Klimaziel eine Verdreifachung des Windanteils und 12 GW installierte Leistung bei der PV. Die wetterbedingten Lastspitzen und saisonalen Schwankungen bei den Erneuerbaren seien aber wenig kundenfreundlich. »Das Ersetzen der thermischen Kraftwerke und der Ausbau der Erneuerbaren sehen wir als die Pflicht.
Die Kür sind die Überschussmengen, die speziell im Sommer auftreten, in die Wintermonate zu bekommen.« Die APG liefert die Zahlen dazu: Bei Sonnenschein, entsprechend Wind und guter Wasserlage würde eine einzige Tagesspitze in der angestrebten Stromzukunft in zehn Jahren den Bedarf im Bereich 6.000 bis 8.000 MW um bis zu 11.000 MW überdecken (Gesamtlast rund 18 GW). Dieser Überschuss würde 150 GWh entsprechen – der Jahresstromverbrauch von 50.000 Haushalten oder Ladebedarf von drei Millionen Tesla-E-Fahrzeugen.
»Das Problem ist freilich, dass diese Spitze gleich wieder auftreten kann. Die Speicher müssten am nächsten Tag komplett leer sein, um das neuerlich aufzunehmen.« Eine wesentlich größere Aufgabe, so Christiner weiter, ist künftig die saisonale Verschiebung in die Wintermonate. Er sieht die Haltung weiterhin weniger Gaskraftwerke für das Backup durchaus als sinnvoll, dennoch brauche es intelligente Lösungen. Maßnahmen hier sind ein optimiertes, digitalisiertes und vernetztes Energiesystem – auch über den Strom hinaus. APG-Vorstandskollege Thomas Karall ergänzt: »Forschung und Entwicklung sind der Schlüssel, um die Versorgungssicherheit auch in der neuen Energiewelt für Österreich zu garantieren.«
Um die Grenzen der Physik neu zu definieren, arbeitet und forscht APG gemeinsam mit dem AIT und dem Klima- und Energiefonds an Lösungen für eine nachhaltige Strominfrastruktur. Allein mit »Thermal Rating« zur besseren Nutzung und Auslastung der Seile im Hochspannungsnetz sind Kapazitätssteigerungen von bis zu 50 % möglich. In den vergangenen drei Jahren haben derartige Maßnahmen – bei niedrigeren Umgebungstemperaturen und höheren Windstärken kann mehr Strom transportiert werden – Redispatch-Kosten von über 100 Millionen Euro erspart.
Mit einer neuen Plattform will die APG ab dem kommenden Jahr Flexibilitätsoptionen auch auf Verteilernetzebene erschließen. Kleinere Händler und Marktteilnehmer sollen sich auf der Datenplattform »Flex-Hub« mit den Großen treffen, um den Zugriff für Bedarfsträger im Regelenergiemarkt oder für Engpassmanagement zu vereinfachen.
Aktuelle Innovationsprojekte
- Thermal Rating: Optimierte Nutzung der Stromnetze unter Berücksichtigung von Umweltparametern wie Wind, Temperatur und Globalstrahlung.
- Phasenschiebertransformatoren: Spezialtransformatoren, die eine gezielte Steuerung der Stromflüsse im Stromnetz ermöglichen.
- H2-Future: Einbindung neuer Player in den Regelenergiemarkt. Das Ziel ist, den Umgang mit Volatilitäten einfacher zu machen.
- Flex-Hub: Erschließen zusätzlicher Flexibilitätsoptionen im Verteilernetz mit der zentralen Bündelung und Bereitstellung von Flexibilitätsoptionen auf einer Plattform.
- Work-Force-Management: Dynamisierung und Prozessoptimierung durch Vereinheitlichung von Arbeitsprozessen in allen Umspannwerken.
- Drohnen für autonome Trasseninspektions-Flüge: Verbesserung und Effizienzgewinn bei der Instandhaltung, automatisierten Aufnahmen und der Optimierung der Trasseninstandhaltung. Die APG hat dazu in Abstimmung mit der Austro Control ein erstes Projekt für Flugrouten, die außerhalb bislang vorgeschriebener Sichtweiten sind.
- ABS4TSO (»Advanced Balancing Services for Transmission System Operators«): Untersuchung von Möglichkeiten, wie Batteriespeicher zukünftig im Netzbetrieb unterstützen können – für sehr kurzfristige Reaktion auf Frequenzabweichungen.