Sonntag, Dezember 22, 2024

Die Zukunft gehört der »Echtzeit-Energiewirtschaft« sowie Geschäftsmodellen auf der Basis digitaler Technologien, hieß es bei den Energy Talks in Stift Ossiach.

Jens Strüker, Studiendekan für Energiewirtschaft an der deutschen Hochschule Fresenius, gibt sich sicher, wohin die Reise geht. »Wir sind auf dem Weg zur Echtzeit-Energiewirtschaft«, betonte Strüker bei den Energy Talks in Stift Ossiach, die heuer bereits zum 20. Mal stattfanden. Ihm zufolge hängen schon jetzt mehrere Milliarden Geräte am Internet, Tendenz weiter steigend. Sie alle verbrauchen Strom und sind über ihre Internet-Adresse eindeutig identifizierbar. Laut Strüker werden damit zunehmend die Maschinen selbst zu »Kunden«, zumal dann, wenn sie, mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, im Dienst ihrer Besitzer mehr oder minder eigenständig agieren.

Eine wesentliche Rolle in der Echtzeit-Energiewirtschaft kommt laut Strüker Blockchain-Technologien zu: »Das ist eine Buchhaltung, nicht mehr und nicht weniger. Allerdings wird das zentrale Transaktionsbuch durch dezentrale Abspeicherung und Abgleich der gespeicherten Daten ersetzt.« Prozesse wie der Versorgerwechsel und das Management von Herkunftsnachweisen würden damit ohne zentrale Instanz möglich. Auch das Netzmanagement könnte sich laut Strüker erheblich ändern: »Wenn man sich an Parametern wie Frequenz oder Spannung orientiert, kann man den Handel mit Strom so lange zulassen, solange beides nicht gefährdet wird.«

Dem stehen allerdings einige Hindernisse entgegen. Laut Strüker sind öffentliche Blockchains derzeit noch »brutal langsam. Im Durchschnitt wickeln sie nur etwa sieben bis zehn Transaktionen pro Sekunde ab. Das ist so gut wie nichts.« Kreditkartenfirmen bewältigten ohne Blockchains um die 30.000 Transaktionen pro Sekunde. Und der Energieverbrauch von Blockchains ist auch nicht zu unterschätzen. Der jährliche Strombedarf für die »Kryptowährung« Bitcoin liegt Strüker zufolge »in Ländergröße«. Doch der technische Fortschritt sei unaufhaltsam. Spätestens in fünf bis zehn Jahren werde »jeder Kühlschrank am Internet of Things hängen«.

Zu dieser Zeit werden auch die derzeitigen Herausforderungen für den Blockchain-Einsatz in der Energiewirtschaft überwunden sein, zeigte sich Strüker überzeugt.
Den Einwand, mit den Blockchains drohe die Auflösung bisheriger Rechte und Pflichten, wies Strüker zurück: Auch weiterhin seien vertragliche Verpflichtungen einzuhalten. Und gerade die Transparenz der Transaktionen für alle an einer Blockchain Beteiligten stelle das sicher. Eine Argumentation, die Juristen zufolge ihre Tücken hat: In der Energiewirtschaft gehe es nicht nur um privatrechtliche Verträge, sondern auch um verfassungs- sowie verwaltungsrechtliche Themen, etwa um das Gewährleisten der Versorgungssicherheit. Und derlei via Blockchain zu implementieren, sei doch etwas gewagt.

Innovative Exzellenz

Dass die IT für den wirtschaftlichen Erfolg der Energieunternehmen eine noch wichtigere Rolle spielen wird als bereits derzeit, konstatierte auch Andreas Höfler, Partner und Vorstand der deutschen Fichtner IT Consulting AG. Ihm zufolge müssen die Firmen »den globalen Daten­ozean mit dem lokalen Datensee intelligent verknüpfen. Facebook beispielsweise verknüpft Persönlichkeitsprofile mit kommerziellen Angeboten. Davon kann man eine Menge lernen.« Gefragt sind laut Höfler künstliche Intelligenz und Deep Learning. Mit solchen Technologien ausgestattete Maschinen lernen, eine Art »Gefühl« für das von ihnen bearbeitete Thema zu entwickeln und neue Strategien zu kreieren. Strebte ein Energieunternehmen bisher danach, im Sinne »operativer Exzellenz« ein möglichst effizienter Versorger zu werden, gehe es heute darum, im Sinne »kundenorientierter Exzellenz« ein »Effizienzpartner« seiner Kunden zu sein, also deren Energiebedarf und damit ihre Energiekosten zu optimieren.

Künftig benötigten die Energieunternehmen »innovative Exzellenz«, um neue Angebote zu erfinden und »Smart Service Provider« zu werden. Zu diesem Zweck haben sie laut Höfler mehrere Themen zu beachten. So müssen sie eine »stabile technische Plattform« aufbauen, um ihre Dienste anzubieten. Dabei handelt es sich um ein sicheres und möglichst einfaches »System, mit dem man die Kunden überall erreicht, das auch in Geschäftsanwendungen funktioniert und intuitiv bedienbar ist«. Ferner empfiehlt es sich, einen Chief Data Officer zu berufen, der für das Management der enormen Datenmengen im Unternehmen zuständig ist. Als »Königsweg der Digitalisierung« bezeichnete Höfler die Einrichtung einer neuen Geschäftseinheit, die die Digitalisierungsstrategie des Unternehmens ausarbeitet und umsetzt: »Die wird nicht sofort Geld verdienen. Aber sie ist nötig, und sie ist verantwortlich für den Kulturwandel im Unternehmen im Sinne der Digitalisierung.«

Höfler zufolge steht die IT »zwischen dem Unternehmen und dem Markt. Sie hilft, die derzeitigen Veränderungen zu meistern und muss daher viel stärker als bisher in die Geschäftsprozesse integiert werden«. Die Energieunternehmen verfügten über eine ganze Reihe von Assets, auf denen sie aufbauen können, »wenn sie die Digitalisierung nicht verschlafen«.

Digitale Unternehmenskultur

Wie österreichische Energieunternehmen mit den anstehenden Herausforderungen umgehen, schilderten der Leiter der Strategieabteilung der Energie Steiermark, Philipp Irschik, sowie Thomas Sabbas, der bei der Wien Energie für Produktentwicklung verantwortlich ist. Irschik zufolge hat die Digitalisierung im Wesentlichen drei Ziele: Erstens geht es darum, bestehende Prozesse effizienter zu machen und zu automatisieren. Zweitens gilt es, die eigenen Kunden besser kennenzulernen. Oft sei »nicht einmal bekannt, welche Daten man im Haus hat«. Das dritte Ziel besteht darin, neue Produkte, Services und Geschäftsmodelle zu ertwickeln: »Das geht natürlich in Richtung Data Driven Business Models. Und es geht darum, die neuen Leistungen so rasch wie möglich auf den Markt zu bringen.«

Die Energie Steiermark sehe sich als Bereitsteller von Infrastruktur ebenso wie als Erzeuger »grüner Energie« und als Anbieter von Produkten und Services. Wichtig ist laut Irschik der Aufbau einer »digitalen Unternehmenskultur«, wofür geeignetes Personal benötigt wird. Bereitgestellt wird dieses nicht zuletzt mittels unternehmensinterner Aus- und Weiterbildung. Ferner wird die Kooperations- und Partnerschaftsfähigkeit erhöht. So arbeitet das Energieunternehmen unter anderem mit Joanneum Research, der Universität Graz sowie mit Start-ups aus der Region. Im Rahmen eines »Inkubatorprozesses« bewarben sich 2016 rund 100 neue Unternehmen »bis hinunter nach Südafrika«.

Energie aus der Cloud

Laut Sabbas ist es für die Wien Energie nötig, »neue Wege zu gehen und Produkte aus einer Hand anzubieten, um unsere Kunden zu halten«. Die Bündelung von Produkten müsse dem Kunden stets einen finanziellen Vorteil bieten. Letzten Endes handle es sich darum, »zwei Millionen maßgeschneiderte Angebote für unsere zwei Millionen Kunden zu entwickeln«. Eine wichtige Rolle spielt dabei die »Energy Cloud«. Sie besteht aus einer Vielzahl dezentraler Anlagen, die durch multidirektionale Energie- und Datenflüsse verbunden sind und beispielsweise als »virtuelles Kraftwerk« eingesetzt werden können. In ihrem »Flexpool« bündelt die Wien Energie eigene Anlagen sowie die Anlagen von Gewerbe- und Industriekunden und vermarktet deren Leistung auf dem Regelenergiemarkt. Ferner werden für Kunden auch Anlagen geplant und errichtet – inklusive Schulungen.

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