Anbieterwechsel im österreichischen Energiemarkt: steigende Wechselzahlen, aber Sorge um stetig schneller drehendes Wechselkarussell.
Es waren insgesamt 218.272 Wechsel des Stromversorgers, die von der Regulierungsbehörde E-Control im Vorjahr gezählt wurden. Der Großteil davon, 174.139, entfiel auf die Haushalte: 3,5 % verabschiedeten sich von ihrem alten Lieferanten. Rechnet man das Gewerbe und die Industrie hinzu, stieg die Wechselbereitschaft 2016 am heimischen Strommarkt auf 3,6 % - weit mehr als im Jahr zuvor mit damals 2,5 %. Ein Trend, der weiter zunehmen wird? Und tut diese Bewegung allen gut?
Endkunden zum Wechsel ihres Stromversorgers zu bewegen, war in den letzten Jahren ein zentrales Anliegen der Regulierungsbehörde und des Wirtschaftsministeriums, galt doch Österreich auch laut dem Verein für Konsumenteninformation (VKI) in punkto Wechselfreudigkeit lange zu den Schlusslichtern in der EU. Mit einer konzertierten Aktion zum Lieferantenwechsel konnte der VKI im Jahr 2014 einmalig 98.000 Wechsel der Strom- und Gasanbieter abschließen. Die Aktion sorgte für ein Allzeithoch zum damaligen Zeitpunkt von 3,4 % Wechselrate im Jahr 2014. »Der von E-Control und Wirtschaftsministerium schon lange geforderte Wettbewerb ist nun eröffnet«, hieß es triumphierend beim VKI.
Potenzial ist da
Die Schlacht um die richtigen Lieferanten könnte sogar noch größer sein. Eine Studie der E-Control im Frühjahr zeigte, dass ein hoher Prozentsatz der Kundinnen und Kunden »grundsätzlich bereit« ist, den Lieferanten zu wechseln. »Allerdings realisiert sich das nicht in diesem Ausmaß«, weiß Regulator Wolfgang Urbantschitsch. Er sieht im Wettbewerbsbereich nicht nur die Preisdebatte, sondern zunehmend auch eine Entscheidung der Kunden für die Art des Energieträgers. Es treffen Anbieter von Grünstrom auf Unternehmen mit einer »rein preispolitischen Schiene«.
Kritik aus Oberösterreich
Dass die Behörden auf der einen Seite den Wettbewerb offenkundig fördern und andererseits damit den Preisdruck in einer Branche, die von massiven Auswirkungen auf Geschäftsmodelle und ihre bestehende Infrastruktur betroffen ist, weiter verschärfen – das stößt manchem Marktplayer recht sauer auf. »Wenn heute sogar die Spitzenpolitik aktiv Werbung für Lieferantenwechsel macht, so ist das mehr als bedenklich. Gleichzeitig möchte man, dass dieselben Unternehmen möglichst hohe Dividenden abliefern und überdies ihrem Versorgungsauftrag nachkommen. Wenn nun Kunden der Energie AG motiviert werden, zu anderen Stromversorgern zu wechseln, gehen uns dringend benötigte Einnahmequellen für den Ausbau und für die Versorgung verloren«, erklärt Werner Steinecker, Generaldirektor Energie AG Oberösterreich.
»Mit den immer geringer werdenden Einnahmen auf Netzseite – das ist wiederum der Ehrgeiz des Regulators – wird der Anreiz, in die Erneuerung des Netzes zu investieren, immer kleiner«, klagt Steinecker. Ein Stromnetz hätte ungefähr eine Lebensdauer von 40 Jahren. In Europa wurden in den Siebziger Jahren allerorts die Netze ausgebaut. »Wir sind jetzt jenseits dieser 40 Jahre und das nicht enden wollende Erneuerungs-Investitions-Gebirge wird immer größer. Ich spreche hier noch gar nicht von neuen Projekten«, so Steinecker. In dieser Situation befände sich die gesamte E-Wirtschaft – vom Übertragungsnetzbetreiber angefangen, über Energieversorgungsunternehmen im Besitz der Länder bis zu den kleinen Stadtnetzbetreibern. »Die öffentliche Hand sollte vielmehr Anreize für EVU für Investitionen in die immer intelligenter werdenden Netze schaffen«, fordert der Energie AG-Chef.
Beides funktioniert
»Wettbewerb und Versorgungssicherheit sind kein Widerspruch«, entgegnet Regulator Urbantschitsch. »Wettbewerbliche Rahmenbedingungen sorgen dafür, dass am Ende des gesamten Marktsystems effizienter funktioniert. Das betrifft die schwellenlose Möglichkeit des Lieferantenwechsels«. Mit der Wechselverordnung, die es seit einigen Jahren gibt, würden diese Prozesse nun »wirklich gut funktionieren«. Mit dem Datenaustausch, den die Branche umgesetzt hat, ist man auch für die Zukunft gerüstet – wenn auch Smart Meter mehrheitlich im Einsatz sein werden.
»Die Versorgungssicherheit im Netzbereich ist ein anderes Thema«, relativiert Urbantschitsch. »Dieser Bereich unterliegt der Regulierung, wir prüfen den Nachweis und die Angemessenheit der Kosten der Netzbetreiber. Es gibt natürlich Ziele, etwa beim Thema Effizienz, welche die Netzbetreiber zu erreichen haben. Die sind aber selbstverständlich so eingestellt, dass der Netzbetreiber immer seinem Versorgungsauftrag nachkommen kann.«
Auch wenn sich die Netzentgelte seit dem Zeitpunkt der Liberalisierung auf ein heute niedrigeres Niveau eingependelt haben, sieht der Regulator keinen Widerspruch zu den Investitionsaufgaben in der Branche – eben mit dem Argument der Entbündelung von Vertrieb und Infrastruktur. »Der Netzkunde wird immer der Netzkunde bleiben, selbst wenn er den Lieferanten wechselt. Wir müssen beim Netz die Sorge tragen, dass die Rahmenbedingungen für Modernisierungen und Ausbau für die Betreiber bestehen.« Dies beträfe auch Aufwände für die »gesamte Systemumstellung«. Mit dem Regulierungsmodell und den Netztarifen würde »jeder seinen fairen Anteil an den Netzkosten« tragen. In dem aktuellen Projekt Netztarife 2.0 werde diese Fairness weiter verstärkt, indem jene, die das Netz besonders in Anspruch nehmen, einen Beitrag leisten.
Fragwürdige Strategien
Ob ein Wettbewerb aber rein mit der Preiskomponente langfristig sinnvoll ist, bezweifeln Experten aus der Energiewirtschaft. In einer Marktanalyse eines großen Energieversorgers wird darauf hingewiesen, dass der Wettbewerb am österreichischen Energiemarkt ohnehin funktioniere. Aber: »Es zeichnet sich ab, dass wirtschaftlich fragwürdige Markteinstrittsstrategien neuer, unter anderem auch internationaler Anbieter und Lockangebote wie Neukundenrabatte auf Kosten der Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit gehen und die Angebotstransparenz und hochwertige Arbeitsplätze in Gefahr bringen.« Dies passiere vor dem Hintergrund, dass »jene Einsparungen, die den Kunden im ersten Jahr angeboten werden, auf Dauer nicht gehalten werden.«
In der Analyse werden einige Fälle durchgerechnet, mit dem Ergebnis: Sobald der Neukundenrabatt im zweiten Jahr wegfällt, kommt es oft zu deutlichen Preissteigerungen. In einer Dreijahresbetrachtung zeigt sich dann, dass die meisten Billigstbieter letztlich teurer sind als die ursprünglichen Lieferanten. Um den Preissteigerungen zu entkommen respektive dauerhaft von günstigen Strom- und Gaspreisen zu profitieren, seien Kunden von Billiganbietern gezwungen, jedes Jahr den Anbieter zu wechseln. So sei gerade die Wechselrate bei den Billigstanbietern ungewöhnlich hoch, dies würde auch VKI-Kundenpooling-Gewinner betreffen. Diese haben in der Regel in den Jahren darauf die stets höchste Anzahl an neuerlich wechselwilligen Kunden.
Dieses »Wechselkarussell«, wie es heißt, könne niemand auf Dauer wollen. Vor allem für die Haushaltskunden bedeute dies, eine hohe Achtsamkeit sowie Fachkenntnis haben zu müssen, um im immer umfangreicheren Tarifdschungel nicht in eine Kostenfalle zu tappen.