Wohin sich die Energiewirtschaft entwickeln wird, ist keine Frage, die Österreich alleine beantworten kann. Nachhaltige Konzepte und Strategien sind eine europäische und globale Aufgabe geworden. Ein Nachbericht zur Handelsblatt-Tagung im November in Wien.
Von Otto Musilek
Bei der Handelsblatt-Tagung »Energiewirtschaft – Österreich 2015« am 12. und 13. November 2015 wurden der Wandel und insbesondere neue Geschäftsmodelle vorgestellt und diskutiert. Auffallend war, dass diese Energiekonferenz vor allem vom Strommarkt geprägt war. Nur 20 % des Energieendverbrauches entfällt auf Strom, also elektrische Energie. Dieser bekommt aber 95 % der Aufmerksamkeit und Förderung, kritisierte Walter Boltz, Chef der Regulierungsbehörde E-Control. Boltz führte aus, dass nur 11,5 % der Stromerzeugung in Österreich auf »neuer erneuerbarer Energie« (Wind, Photovoltaik, Biomasse) beruht, womit lediglich 2,4 % des Gesamtenergieverbrauches gedeckt sind. Resümee: Österreich hat eine »Mini-Energiewende« mit steigenden Kosten, da die Ökostromförderung zunimmt. Zum Beispiel zahlen die Konsumenten in Wien um rund 140 Euro jährlich mehr als noch 2006 – trotz Liberalisierung und zahlreichen Gesetzesänderungen. Obwohl sich die Stromhandelspreise derzeit auf einem historischen Tief bewegen, hat dies kaum Auswirkung auf die Endkunden, im Besonderen auf die sogenannten Kleinkunden. Ist das der europäische Binnenmarkt, den sich die Bevölkerung gewünscht hat und der jahrelang so positiv kommuniziert wurde?
Jeder EU-Mitgliedstaat ist autonom in der Entscheidung der Energieversorgung, wie Florian Ermacora von der Direktion Energiebinnenmarkt in Brüssel betont. Hier liegt auch eines der Probleme, erläuterte Ermacora am Beispiel Polens, das weiterhin auf Kohle setzt, weil bis zu 800.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Im Gegensatz dazu will Brüssel laut Ermacora »mehr Markt« und »mehr Europa« durchsetzen. Wie seine Ausführungen zeigten, soll dies jedoch mit weiteren Regulierungen erfolgen. Wie es bei der Handeslsblatt-Tagung hieß, befürchtet die Energiewirtschaft, dass dadurch noch mehr Bürokratie mit wenig bis keiner Wirkung entsteht. Auch in einer Podiumsdiskussion unter Teilnahme Ermacoras blieb die Frage offen, was die EU-Kommission überhaupt im Detail erreichen will.
Effizienz im Gesetz
Ein weiteres aktuelles Thema ist das Energieeffizienzgesetz (EEffG), das die Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie der EU aus dem Jahr 2012 in nationales Recht darstellt und in der Energiewirtschaft als »bürokratisches Monster« gilt. 711 registrierte Energieauditoren für Gebäude, Prozesse und Transport werden die bisher rund 600 registrierten Energielieferanten und derzeit rund 2.000 verpflichteten Unternehmen auf die Einhaltung des EEffG monitoren. Erst mit Jahresbeginn 2016 tritt die Richtlinienverordnung in Kraft, die Details zur Umsetzung des Gesetzes enthält.
Zurück zur Energiewende: Durch den wachsenden Anteil an erneuerbaren Rohstoffen erfährt der Strommarkt erhebliche Veränderungen und weist derzeit Überkapazitäten aus. Die Energiewende kann daher nur im Einklang mit den (Energie-)Nachbarn nachhaltig funktionieren und muss national und europäisch optimiert und flexibel gestaltet werden. Rund 80 % des Stroms aus erneuerbaren Energieträgern werden ins Verteilnetz eingespeist. Dies erfordert zusätzlich erhebliche Investitionen in die Infrastruktur. Wind und Photovoltaik verursachen ungeplante Schwankungen, deren Ausgleich sich auf wenige Anbieter beschränkt und erhebliche Zusatzkosten verursacht.
Die Lösung wäre die Vernetzung von Ökostromanlagen zu sogenannten »virtuellen Kraftwerken« mit gemeinsamer Steuerung. Bis das alles in die Realität umgesetzt ist, sind effiziente, konventionelle Kraftwerke auch in Zukunft, trotz mangelnder Kostendeckung infolge kurzer Einsätze, für die Versorgungssicherheit notwendig.
Es wurde wieder einmal deutlich, dass durch das »Unbundling« – die strikte Trennung von Handel und Infrastruktur – die Koordinierungsfunktion und infolge der fünfjährigen Regulierungsperiode im Energiebereich die Langfristigkeit verloren gegangen ist. Die Generalsekretärin von Österreichs Energie, Barbara Schmidt, meinte sogar, dass aufgrund der fehlenden Koordinierungsfunktion Ansätze zur Rückkehr zum »alten System« erkennbar sind.
Gas kaum Thema
Dem Erdgas wurde bei der Handelsblatt-Jahrestagung nur relativ wenig Raum gewidmet. Selbst Alexander Egit, Geschäftsführer von Greenpeace in Wien, gesteht ein, dass eine nachhaltige Energiewende und die damit verbundenen Klimaziele nur mit der »Brückentechnologie« Erdgas, der umweltfreundlichsten fossilen Primärenergie, zu bewältigen sind. Obwohl es ohne Erdgas keine sozialverträgliche Energiewende geben wird, kommt es in den europäischen Diskussionen praktisch nicht vor. Dabei wären mit verstärktem Einsatz von Erdgas statt Kohle kurzfristig signifikante CO2-Einsparungen zu erreichen.
Für die Bevölkerung ist es trotz der Pflicht der Versorger zur Stromkennzeichnung auf den Rechnungen letztendlich nicht erkennbar, wie der Strom erzeugt wird. Hauptsache, er ist zu jeder Zeit in ausreichendem Ausmaß kostengünstig an der Steckdose vorhanden. Dies gilt ebenfalls bei der so positiv beworbene Elektromobilität.
Doch ein Konzept für eine flächendeckende Installation von Stromtankstellen (Ladestationen) ist noch sehr vage und wird schon zu lange diskutiert. Aber ohne verlässlicher Infrastruktur werden nur wenige zum Umstieg auf Elektrofahrzeuge motiviert sein.
IT auf dem Vormarsch
Aber noch zu einem anderen Thema, das mit der Energiewende in engem Zusammenhang steht – der Digitalisierung. Die digitale Transformation ist eine der zentralen Gestaltungsaufgaben in der Energiewirtschaft der nächsten Jahre und steht ganz oben auf der politischen Agenda. Wolfgang Anzengruber, Vorsitzender des Vorstandes Verbund AG, findet, dass die Digitalisierung der Energiewirtschaft mit oder ohne uns stattfinden wird. »Das einzige Risiko dieser Transformation ist es, die Chancen nicht schnell genug zu nützen.« Immer mehr Netzbetreiber, Energieerzeuger, Direktvermarkter, Vertriebe, Speicher, Kunden, Gewerbe- und Industriebetriebe sind digital miteinander verbunden. Der »neue« Energiemarkt verändert die Kundenbedürfnisse. Im Jahre 2020 wird die Energiewelt eine andere sein. Über 80 % der Industrieunternehmen werden ihre Wertschöpfungskette digitalisiert haben. »Die Energiewende war gestern, die Digitalisierung ist heute.«
Die Energiewirtschaft steht vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte. Die bisherigen Geschäftsmodelle sind durchwegs zu hinterfragen und entsprechend neu zu gestalten. Aus der Energiewende kann eine Energieevolution oder sogar eine Energierevolution entstehen. Die Energiewirtschaft ist gut beraten, an diesen Entwicklungen im Interesse der Kunden zu arbeiten und die Politik muss endlich Voraussetzungen schaffen, damit wieder ein Mindestmaß an Planungssicherheit gegeben ist.
Zum Autor
Otto Musilek, geboren 1948 in Wien, ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens MEC Management Energy Consultant. Er war zuvor Geschäftsführer der OMV Gas GmbH, Vorsitzender des Nabucco Steering Committees und Vorsitzender des Adria LNG Shareholder Committees. Musilek verfügt über umfangreiche Kenntnisse der österreichischen und internationalen Gaswirtschaft in den Bereichen Speicher, Transport, E&P und Handel.