Samstag, Dezember 21, 2024

Martin Katzer, Geschäftsführer T-Systems, über das Investitionsverhalten der heimischen Wirtschaft, die Begriffsverwirrung rund um Dienste aus der Wolke sowie IT als Kulturtechnik in Wiener Gemeindebauten.

 

(+) plus: Flexible, leicht verfügbare Dienste und Ressourcen sollen nun das IT-Service-Geschäft auf die kommenden Jahre gesehen neu formen. Was wird sich für den Einzelnen am Arbeitsplatz respektive in seinem Fachbereich ändern?
Katzer: Aus Anwendersicht wird es dann interessant, wenn ein Business-App-Store in Unternehmen eingesetzt wird. Der große Vorteil dieser Technologien – ohne sie beim Namen zu nennen – ist der relativ einfache und rasche Zugang zu Ressourcen, also Anwendungen oder Rechenleistung. Gezahlt wird dabei nur, was unmittelbar verbraucht wird. Bislang haben ja viele Firmen die komplette Office-Umgebung auf den Arbeitsplatzrechnern und viel andere Software ausgerollt, die aber nur zu einem Bruchteil genutzt und dennoch voll bezahlt wird. Bei einem flexibleren Ansatz werden jene Ressourcen, die gerade gebraucht werden, auf Knopfdruck geholt, genutzt und abgerechnet. Auf die gleiche Weise kann die Anwendung wieder abgestellt werden. Die Fachbereiche in Unternehmen werden damit auch viel mehr in IT-Entscheidungen eingebunden. Man denke nur an Analysetools und Personalabrechnung – Anwendungen, die am Ende jedes Monats intensiv genutzt werden, dann aber wieder wochenlang brachliegen.

(+) plus: 2012 wurde bei T-Systems zum Jahr, das im Zeichen der Cloud steht, erklärt. Welchen Anteil haben Cloud-Dienste an den Umsätzen heute? Wie wird sich das weiterentwickeln?
Katzer: Mit dem, was man heute landläufig Cloud Computing nennt, beschäftigen wir uns seit bereits acht Jahren. Der aktuell steigenden Nachfrage und unterschiedlichen Aussagen von Analysten zufolge werden im Jahr 2020 voraussichtlich 75 % aller IT-Services in Unternehmen aus der Cloud bezogen werden. Der Trend ist klar da. Unseren Erwartungen zufolge wird T-Systems weltweit bis 2015 rund eine Milliarde Euro allein mit Cloudgeschäften erzielen – ein Siebentel des Gesamtumsatzes. Im Vergleich zu Cloudumsätzen von 400 Millionen Euro im abgelaufenen Jahr entspricht dies einem Anstieg um das Zweieinhalbfache.

(+) plus: Der Begriff Cloud sorgt dennoch mitunter auch für Verwirrung – auch unter IT-Leuten selbst. Wo beginnt nun ein Dienst aus der Wolke und wo hört er auf, einer zu sein?
Katzer: Typisch für einen echten Dienst ist beispielsweise nach dem Prinzip Infrastructure-as-a-Service Speicherplatz, den ich auf Knopfdruck hinzuschalte und auch meinem Cloud-Provider wieder zurückgeben kann. Dagegen macht ein Server alleine, der Businesssoftware über den Internetbrowser zum Anwender liefert, noch keinen Cloud-Service aus. Cloud-Services haben einen speziellen Charakter: Sie müssen flexibel sein, müssen je nach Bedarf verrechnet werden können und sind, automatisch bereitgestellt, von den Unternehmenskunden selbst provisionierbar. Bei vielen Angeboten der Branche ist dies nicht der Fall. Das ergibt oft eine wilde Vermischung von Begriffen. Für den Anwender und ungeübten Vertriebsmitarbeiter ist es dann schwer, zwischen echten und vorgeblichen Cloud-Services zu unterscheiden.

(+) plus: Mit welchen Erwartungen an die Wirtschaftsentwicklung gehen Sie ins neue Jahr? Welche Investitionslust herrscht überhaupt in Ihren anvisierten Kundenbranchen?
Katzer: Die Wirtschaftslage ist weiterhin etwas angespannt, wir haben aber gut gefüllte Auftragsbücher. Die Auslagerung von IT-Services hilft Kosten einzusparen und ermöglicht Unternehmen, besser auf Markt­entwicklungen vorbereitet zu sein. Das ist besonders in wirtschaftlich schwierigeren Phasen gefragt. Wir erwarten uns deshalb ein leichtes Plus. Weitere Investitionen in die IT hängen natürlich vom Wirtschaftswachstum ab. Hier merkt man eine gewisse Zurückhaltung bei den Unternehmen. Doch ist dies, wie ich meine, kontraproduktiv:  Unternehmen sollten gerade jetzt in Innovation inves­tieren, um für die kommenden Jahre gerüs­tet zu sein. Die Investments dazu scheinen im Automotive-Bereich komplett gestoppt worden zu sein. Gerade hier gäbe es viele Entwicklungsmöglichkeiten, etwa zum Konzept des »Connected Car« – ein Thema, das wir selbst bereits mit einem Projekt aufgegriffen haben. Für den öffentlichen Bereich erwarten wir lediglich für die Gesundheitssparte heuer Wachstum. Starke Treiber für IT-Lösungen sind hier der elektronische Gesundheitsakt ELGA, Telemedizin oder Altersvorsorge und -betreuung. In anderen Bereichen der öffentlichen Hand wird auch aufgrund der vielen anstehenden Wahlen wenig passieren.

(+) plus: Welche Bereiche besetzen Sie als Lösungslieferant für die Gesundheitsbranche?
Katzer: Angefangen von den klassischen Krankenhausinformationssystemen über Telemedizin – Anwendungen und Prozesse werden hier mit dem Aspekt Mobility verknüpft – bis hin zu Verwaltungssystemen im Back Office. Heuer wollen wir auch rund um »Assisted Ambient Living« den einen oder anderen Piloten gemeinsam mit Kommunen ins Feld bringen. Es werden künftig unterschiedliche Modelle möglich sein, wie Menschen abseits von Pensionisten- und Altersheimen länger zu Hause bleiben können. Technik kann da helfen, die Lebensqualität und Sicherheit zu steigern – mit oder ohne Videoüberwachung, durch mit Sensorik ausgestattete Kleidung, Alarmierungssysteme für den Herd, für Wasserhähne, offene Türen und Fenster und vielem mehr.

(+) plus:  Sie positionieren T-Systems in dem Projekt Gemeindebau 3.0 im Wiener Körnerhof als heimischen Infrastrukturbetreiber. Was sind die ersten Erfahren aus diesem Projekt? Wie haben die Anwohner auf die Mediabox und die angebotenen Internet­services reagiert?
Katzer: Erste Erfahrungen zeigen, dass der Service sehr wohl angenommen wird. Vor allem Jugendliche, aber auch viele Frauen nutzen den kostenlosen Internetzugang und die Surfstations. Migranten haben oft nicht den Zugang zum Internet, wie wir anhand des großen Zuspruchs sehen können. Für Frauen bietet unser betreuter Internetservice mitunter die nötige Hilfe bei Behördenanträgen, bei einer Ärztesuche oder um Jobs und Kinderbetreuung zu finden. Von der Gesellschaft wird oft vorausgesetzt, dass jeder mit den neuen Medien vertraut ist – sei es im Gesundheitssektor, dem Energiesektor oder bei der Arbeitssuche. Zwischen diesen Perspektiven klafft aber noch eine Riesenlücke. Auch gibt es sehr unterschiedliche Gruppierungen unter den Gemeindebaubewohnern, die mehr neben- als miteinander leben. Wir bieten dort auch eine verbindende Onlineplattform an, sind aber von einer erfolgreichen Nutzung durch die Community noch Meilen entfernt. Ein offener, kostenloser WLAN-Zugang für alle Gemeindebauten – das wäre ein erster, wichtiger Schritt in den Städten für ein stärkeres Miteinander der Bevölkerungsgruppen. Das Aufstellen eines Containers wie der Mediabox kostet ja vergleichsweise wenig – rund 30.000 Euro jährlich. Dabei sind Personal für die Betreuung und auch Abgaben bereits inkludiert. Darüber hinaus gibt es engagierte Jugend- und Sozialbetreuer etwa in Wien, die so ein Angebot sofort für ihre Arbeit nutzen würden. Prinzipiell sollte bei der Vermittlung von IT-Kompetenz aber so früh wie möglich angesetzt werden. Ein einziger PC pro Volksschulklasse, wie heute üblich, ist sicherlich nicht ausreichend.

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