Filterblasen sind nicht gut für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, hört man. Patentrezepte für den Umgang mit diesem Problem fehlen.
»Die Fronten sind verhärtet. Der Diskurs ist vergiftet. Wir brauchen einen Diskurswandel.« Mit diesen dramatischen Worten warb das deutsche Medien-Startup Buzzard um Unterstützung und sammelte bis Mitte Dezember tatsächlich knapp 200.000 Crowdfunding-Euro von jenen Zeitgenossen ein, die dem Befund von der schädlichen Einseitigkeit unseres Medienkonsums zustimmten. Zunehmend bestimmen algorithmisch bedingte Filterbubbles und Echokammern unsere gesellschaftlichen Diskurse, so die Buzzard-Macher; das nötige Gegenmittel sei eben die Buzzard-App, die es ermögliche, »die Motive von Andersdenkenden zu verstehen, um die eigene Position zu schärfen«. Gezielt und von einem journalistischen Beirat aus namhaften Medienprofis begleitet wolle man Filterblasen aufbrechen und »neue Denkanstöße« liefern.
Medienbeiträge des »ganzen politischen Meinungsspektrums«, von links bis rechts wolle man per App bündeln und zur Verfügung stellen, »aus großen etablierten Medien sowie kleineren Meinungs- und Blogportalen, die unsere Medienlandschaft ergänzen«. Das klingt gut - und hilft, dem nagenden Zweifel zu begegnen, selbst regelmäßig Opfer des Tunnelblicks zu sein.
Toleranz für Intolerante?
Schnell zeigte sich jedoch ein Konstruktionsfehler des vorab vielfach mit Auszeichnungen bedachten Projekts. In seiner unbedingten Mission, die als Ursache gesellschaftlicher Zersplitterung ausgemachten Meinungsblasen zu zertrümmern, bietet Buzzard unterschiedslos Medien und Standpunkten Raum und Plattform, deren kaum verhülltes Ziel es ist, diese gesellschaftliche Zersplitterung entlang altbekannter Kampflinien voranzutreiben.
Rechtspopulistische und latent rechtsextreme Positionen, russische Desinformationsschleudern, unverhohlen hetzende Blogs »besorgter Bürger«, von Breitbart über Sputnik News, von Tichys Einblicke über PI News: Bei Buzzard findet man am rechten Rand der gesellschaftlichen Diskurse stehende Publikationen als gleichberechtigte »Debattenbeiträge« neben renommierten Publikationen klassischer journalistischer Medien.
Das Problem dabei: Durch die Gleichsetzung dieser teils radikalen Positionen mit klassischem Journalismus wird diesen eine Legitimität verliehen, die ihnen sonst zu Recht verwehrt bleibt – denn ihre Aufgabe ist nicht die Information, sondern die emotionale Polarisierung. Das macht in Zeiten schnellen Teilens in sozialen Medien auch ihren Erfolg aus. Die gut gemeinte Grundmotivation von Buzzard, die Sichtweise »Andersdenkender« sichtbar zu machen, erhebt im schlimmsten Fall also Propaganda zur Nachricht und Hetze zur Meinung.
Und alles nur, um einem verbreiteten Vorwurf der über ihre gesellschaftliche Ächtung klagenden Extremisten zu begegnen, der weitaus älter ist als der Begriff der Filterbubble: Wer tolerant sein wolle, müsse eben alle Meinung tolerieren – auch und vor allem jene, die einem eigentlich zuwider sind.
Der Philosoph Karl Popper hat dieses Manöver schon zu seinen Lebzeiten analysiert - und heftig widersprochen. Das sei eben das Paradoxon der Toleranz: Wer eine tolerante Gesellschaft erhalten will, muss sich intolerant gegenüber ihren Feinden zeigen; ansonsten geht sie unter. Umgelegt auf Buzzard: Es gibt Schlimmeres als Filterblasen – zum Beispiel die Normalisierung und damit Beförderung extremer Randpositionen, die auf dem Feld der Emotion statt der Information ihr Publikum finden.