Bulgariens Elektrizitätswirtschaft befindet sich am Scheideweg. Eine Expertenrunde soll nun das Schlamassel richten – mitten drin ist auch die EVN.
Als Bulgarien im Jahr 2004 seine regionalen Stromverteilnetze privatisierte, geschah dies unter der Prämisse, ausländische Energiekonzerne seien besser in der Lage, die maroden Stromnetze des Balkanlandes zu modernisieren als der bulgarische Staat. Seitdem betreibt die niederösterreichische EVN das südostbulgarische Stromverteilnetz und die tschechischen Energieversorger CEZ und Energo-Pro (seit 2012 in Nachfolge der deutschen E.ON) die beiden übrigen Netze. Zehn Jahre später aber ist die Netzmodernisierung ins Stocken geraten und in Bulgariens Energiewirtschaft herrscht Chaos, für das sich alle Marktteilnehmer gegenseitig die Schuld zuweisen. Ein aus Branchenvertretern zusammengesetztes Energieboard soll nun das Schlamassel richten.
Politische Turbulenzen
Wie konnte es dazu kommen? Bereits im April 2010 machte der rechtsgerichtete Ministerpräsident Boiko Borissov die Betreiber von Kraftwerken erneuerbarer Energieträger und der Stromverteilnetze für steigende Strompreise verantwortlich. Die ausländischen Energiekonzerne machten Modernisierungsinvestitionen für die Festsetzung des Strompreises geltend, ohne sie auszuführen, argwöhnte Borissov und ätzte: »Ich bin bereit, überall hinzugehen, damit man mir ihre angeblichen Investitionen zeigen kann, selbst wenn man sie ausgraben muss.« Er schickte gar Ermittlungsbeamte der Staatlichen Agentur für Nationale Sicherheit (DANS) »zur Sicherstellung von Beweismitteln« in Kundenfilialen der EVN. Als im Februar 2013 Bulgaren in Sofia und anderen Großstädten massenhaft auf die Straße gingen, um gegen hohe Stromrechungen zu protestieren und es dabei zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, trat das Kabinett Borissov von seinem Amt zurück. Die nach vorgezogenen Parlamentswahlen Ende Mai 2013 ins Amt gekommene sozialistisch geführte Regierung von Ministerpräsident Plamen Orescharski sah sich durch Borissovs politisches Schicksal gewarnt. Sie erklärte es zu ihrer Priorität, den Strompreis unter allen Umständen niedrig zu halten. Dreimal senkte die formell regierungsunabhängige Staatliche Kommission zur Regulierung von Strom und Wasser (DKEWR) den Strompreis um insgesamt 15 %. Damit entzog sie nicht nur den privaten Unternehmen am Markt Liquidität, sondern auch der staatlichen Nationalen Elektrizitätsgesellschaft (NEK). Sie betrieb bis zum auf Verlangen der Europäischen Kommission vollzogenen Unbundling das Übertragungsnetz. Mit einem Schuldenberg von 2,9 Mrd. BGN (rund 1,48 Mrd. Euro) gilt NEK inzwischen als faktisch bankrott.
Schleppende Investitionen
»Die Erfahrungen der letzten 25 Jahre haben gezeigt, dass es, wenn Modernisierungsinvestitionen unterlassen werden, anschließend umso teurer wird«, sagt Jörg Sollfelner, geschäftsführender Direktor von EVN Bulgaria. Er hat dem für die Preisfestsetzung zuständigen Regulierer DKEWR für die kommende Preisrunde ab 1. Oktober 2014 eine Strompreiserhöhung von 17,9 % vorgeschlagen, die DKEWR stellt aber nur 7 % in Aussicht. Sollfelner hält einen stärkeren Preisanstieg für notwendig, um wieder ein normales Investitionstempo zu erreichen, das in den vergangenen Jahren durch die DKEWR behindert worden sei. »Vom Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1989 bis zur Privatisierung der Stromverteilnetze hat es nur geringfügige Modernisierungsinvestitionen gegeben. Seitdem aber haben wir jährlich 106 Mio. BGN (rund 54 Mio. Euro) in das Mittel- und Niedrigspannungsnetz in Bulgariens Südosten investiert und ein knappes Drittel der insgesamt 60.000 km Stromleitungen erneuert«, sagt EVN Bulgaria-Chef Sollfelner.
Die Wahlschlappe der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) bei den Europawahlen im Mai 2014 hat zum Bruch von Plamen Orescharskis Regierungskoalition geführt. Nun muss die von dem Verfassungsrechtler Georgi Blischnaschki geführte Übergangsregierung vorgezogene Parlamentswahlen für den 5. Oktober 2014 vorbereiten. Während seiner nur 14 Monate währenden Amtszeit stand das Kabinett Orescharski in seiner aggressiven Rhetorik gegen Ökostrom-Kraftwerksbetreiber und die ausländischen Energieversorger CEZ, EVN und Energo-Pro der Vorgängerregierung in nichts nach. »Wenn sich die Stromverteilnetzbetreiber in Bulgarien nicht an die Gesetze halten, wird ihnen die Regulierungskommission DKEWR ihre Lizenzen entziehen«, drohte Regierungschef Orescharski in der heißen Phase der Konfrontation zwischen dem bulgarischen Staat und den ausländischen Stromkonzernen Anfang Mai 2014.
Einladung als Chance
Mitte März 2014 forderte die staatliche NEK von den Stromverteilnetzbetreibern plötzlich die Zahlung von 318. Mio BGN (rund 163 Mio Euro) für gelieferten Strom ultimativ binnen weniger Werktage. Ihrerseits machten EVN, CEZ und Energo-Pro gegenüber der NEK Zahlungseinbehalte geltend, da diese ihnen eine noch höhere Summe für von ihnen verauslagte Zahlungen an Kraftwerksbetreiber regenerativer Energiequellen schulde. In diesem Streit ist ein Arbitrage-Verfahren zwischen der EVN und dem bulgarischen Staat in Washington anhängig.
Nicht anders als CEZ, EVN und Energo-Pro haben auch die Betreiber von Windkraft- und Photovoltaikanlagen ihre Dauerkonflkte mit den einschlägigen Institutionen des bulgarischen Staats. Mehrfach hat die DKEWR ihre Geschäftsgrundlage durch Entscheidungen zur Preisfestsetzung oder die Einführung von Gebühren und Steuern auch rückwirkend verändert. Dies hat die Entwicklung des Erneuerbare-Energien-Sektors in Bulgarien fast zum Erliegen gebracht. Vor einigen Monaten initiierte die Bulgarische Photovoltaik Assoziation (BPhA) deshalb die Gründung eines Energieboards, das die Einhaltung nationalen Rechts und europäischer Direktiven in der bulgarischen Energiewirtschaft überwachen soll.
Jörg Sollfelner begrüßt die Einrichtung eines solchen Energieboards als Plattform zur Diskussion der Situation in Bulgariens Energiewirtschaft anhand der Fakten. »Zuvor wurden wir als EVN nie von staatlichen Stellen eingeladen, um Probleme zu diskutieren. Deshalb sehe ich das Energieboard als Chance«, sagt er. Ganz anders dagegen Elenko Boschkov, Anfang September 2014 aus seinem Amt entlassener stellvertretender DKEWR-Vorsitzender. Boschkov behauptet, aus seinem Amt gedrängt worden zu sein, weil er Datenmaterial zusammengestellt habe, das die Position des bulgarischen Staats beim Washingtoner Arbitrage-Prozess stütze und »die korporativen Interessen der EVN« durchkreuze. Er hält das Energieboard nicht nur für sinnlos, sondern für schädlich: »Das ist so, als versammle man Wölfe und Schafe in einem Beratungsgremium, damit sie sich auf ein vegetarisches Menü verständigen.«
Fairness gefordert
Steigende Energiekosten sind in Bulgarien, dem ärmsten Land der EU, eine starke Belastung für viele Bulgaren. Rund zehn Prozent der EVN-Kunden haben nach Informationen von EVN-Chef Sollfelner Schwierigkeiten, ihre Stromrechnungen zu begleichen. »Wir glauben, die Unterstützung sozial Bedürftiger sollte nicht durch künstlich niedrig gehaltene Strompreise geschehen, denn dies wird ja auch nicht bei den Preisen für Brot oder Milch getan. Stattdessen halten wir es für die soziale Aufgabe des Staates, diejenigen, die ihre Stromrechnungen nicht bezahlen können, durch Energiebeihilfen zu unterstützen«, sagt Sollfelner. Der Chef von EVN-Bulgaria bedauert, keine der Regierungen in den vergangenen Jahren habe die Sozialausgaben im Energiebereich erhöht.
Anmerkung d. Red.: Inzwischen wurden die Strompreise in Bulgarien erhöht, siehe http://orf.at/stories/2247929/