Samstag, Juli 27, 2024
Strategien für den Gaseinkauf
Bilder: iStock, CEGH, Inercomp

Wie Unternehmen Gas einkaufen, welche Faktoren den Preis bestimmen und welche Beschaffungsmodelle derzeit am gefragtesten sind.

Der Schrecken der Preisrallye auf den Energiemärkten in den vergangenen Jahren steckt vielen noch in den Knochen. Ereignisse wie der Angriff auf die Ukraine und die Konjunkturentwicklung haben zu einer hohen Volatilität in Europa geführt, mit dem »All time high« von 350 Euro pro Megawattstunde Erdgas im Herbst 2022. Diese Ausschläge in absurde Höhen sind zum Glück vorbei, aber woran orientiert sich der Markt generell bei Erdgaspreisen? Als Betreiber eines virtuellen Handelspunktes öffnet der Central European Gas Hub (CEGH) mit Sitz in Wien internationalen Gashändlern ein Tor zum Handel in der österreichischen Marktzone Ost. Gottfried Steiner ist CEO der Drehscheibe für den Gashandel in Mittel- und Osteuropa: »Ähnlich wie im Haushaltskundenbereich unterscheiden sich die Produkte fürs Gewerbe in Fixpreis- und Floating-Tarifmodellen«, erklärt er.

Für das realistische Abbild eines Preises, abgestimmt auf das Angebot und die Nachfrage im Markt, werden Indexierungen von privaten Anbietern wie Platts, Argus und ICIS Heren genutzt – oder Börsenindizes. Branchen-Benchmarks sind hier der niederländische Handelsplatz TTF, Trading Hub Europe (THE) mit Sitz in Deutschland und der CEGH in der Region Zentral- und Osteuropa. »Wir stellen auf der Website der CEGH Informationen unterschiedlicher Terminmarkt-Indizes zur Verfügung, mit denen sich Anbieter ihr Geschäft in einer gewissen Weise absichern«, so Steiner. Der CEGH hat speziell dafür Indizes entwickelt.

Der »Spot Index« fasst den Durchschnittspreis aller Spot-Kontrakte am Börsentag vor Beginn einer Lieferperiode zusammen. Der »End of Day Index« zeigt eine Preisbildung in einem Fenster von 15 Minuten jeweils am Ende des Handelstages von Spot-Kontrakten – ein beliebter, einfacher Referenzwert bei Händlern, berichtet der Experte. Weitere Indizes, um den Marktpreis im Terminmarkt abzubilden, sind der »Front Month Index«, der »Front Month Reference Index«, für eine langfristigere Absicherung der »Front Quarter Index«, der FM 22, der FG 22, ein »Weighted Season Index« sowie der »Weighted Season Reference Index«. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei. 342 Unternehmen sind als Mitglieder des CEGH registriert. Gut 105 kaufen und verkaufen täglich Kontingente am Handelsplatz. Viele Händler decken sich mit Erdgas für den Weiterverkauf in der Region ein, manche davon auch mit Endkundengeschäft in Österreich.

Ein weiterer Wert im Großhandel ist der »Österreichische Gaspreisindex« (ÖGPI) der Energieagentur, der ebenfalls auf Handelsdaten des CEGH fußt. Der ÖGPI wird zum Beispiel von den Energieversorgern bei der Preisbildung von Produkten für Haushalte und KMU genutzt – er zeigt jenen Durchschnittspreis, den ein Großhändler beim Weiterverkauf etwa an ein Energieversorgungsunternehmen erzielt.

Gottfried Steiner, CEGH: »Unternehmen mit längerfristigen Kontrakten sind besser durch die Krise gekommen.«

Frage des Zeitpunkts
Für den Energieversorger ebenso wie für die Beschaffung bei größeren Unternehmen ist der Zeitpunkt wichtig, wann eingekauft und damit die benötigten Mengen abgesichert werden. In deren Einkaufsverhalten sind meist verschiedenste Varianten kurz- und langfristiger Kontrakte vertreten, bei ihrem Beschaffungsportfolio setzen Unternehmen meistens auf einen Mix. »Auf Vorrat zu kaufen, kostet aufgrund der Aufschläge am Markt in erster Linie einmal Geld. Das kann oder will sich nicht jeder leisten«, weiß Steiner. Der Spot-Markt des CEGH dagegen sei mittlerweile so liquide, dass in einem Kalenderjahr das Dreifache des österreichischen Jahresbedarfs umgesetzt wird. Man könnte damit theoretisch seinen gesamten Gasbedarf absichern – man wäre aber so erbarmungslos Preisschwankungen ausgeliefert.

Unter den Forward-Produkten derzeit am meisten genutzt ist bei weitem der erste Front-Monat, vor dem ersten Front-Quartal, -Season und -Kalenderjahr. Dennoch hätte gerade der Krieg in Europa gezeigt, dass Absicherung auch über die Beschaffung bei der Erdgasbörse wichtig ist: Energieintensive Unternehmen mit längerfristigen Kontrakten am Terminmarkt sind besser durch die Krise gekommen. »Die Krise hat auch die Unterschiede in der Qualität der Versorger vor Augen geführt«, so der Experte. Finanzkraft und Größe der Lieferanten waren plötzlich ein wesentlicher Faktor. Die Großen waren meist nicht die billigsten Anbieter, hatten aber auch nicht den Markt verlassen und verlässlich ihre Kunden weiter versorgt.

Welche Entwicklungen des Gaspreises sind nun zu erwarten? »Prognosen sind immer eine Frage des Zeitpunkts und wie eine zukünftige Marktsituation eingeschätzt wird«, so der Experte. Mit einem Durchschnittsspotpreis CEGHIX am 9. Juli von 34,3 Euro – mit Schwankungen im Intraday-Handel zwischen 32,7 und 34,8 Euro – wurde zwar immer noch nicht das historisch niedrige Preisniveau vor Pandemiezeiten erreicht. »Berücksichtigt man aber die relativ hohe Inflationsrate in den letzten Jahren und die besonderen geopolitischen Rahmenbedingungen, sind wir eigentlich auf einem normalen Niveau angekommen«, so Steiner. Vereinzelte Preise von unter 25 Euro heuer würden bereits zeigen, dass der Preis noch weiter sinken kann.

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Grafik: Preise für Erdgas sind stets auch eine Frage des Zeitpunkts, an dem ein Kontrakt gehandelt wird. Am 8. Juli 2024 (rote Linie) konnte man die Lieferung für das Jahr 2027 um 30,6 Euro kaufen. Am 2. Mai und 3. Juni 2024 war der Preis etwas geringer. Der Durchschnittspreis auf der Forward-Kurve für 2027 betrug am 3. April 2023 (gelbe Linie) dagegen noch 36 Euro. Quelle: CEGH

Wer bietet Erdgas in Österreich an? Die meisten Händler mit aktivem Geschäft in Österreich sind auf der Website www.cegh.at unter VHP-Markt/Mitglieder und dort unter »BGRP« und »AT Spot/Futures« zu finden.

 

Rechnung für Beschaffungsmix
Nicht nur zu einem Zeitpunkt oder mit einem Vertragspartner einzukaufen, sondern sich eine Strukturierung zu überlegen, ist laut Inercomp-CEO Felix Diwok grundsätzlich ab einem Jahresbedarf von 30 Gigawattstunden Energiearbeit sinnvoll. Der Dienstleister für die Energiewirtschaft hilft sehr großen Verbrauchern, ihre Beschaffung auch im Gasbereich optimal zu strukturieren. Wesentlich sei bei jeder Beschaffungsgröße die Frage, ob ein Fixpreis benötigt wird, um die Produkte oder das Budget des Unternehmens kalkulieren zu können. Oder ist alternativ eine variable Preisgestaltung, also ein Einkauf am Spot-Markt mit der dadurch entstehenden Preisunsicherheit denkbar?

Auch stelle sich die Frage der Fristigkeit eines Vertrages für den Gasbezug. Vor allem bei größeren Mengen ist das ein Thema. Manche Unternehmen haken den Energieeinkauf mit Vertragsabschluss mit Fixpreisen für zwei bis drei Jahre ab. Bei einem spotpreisbasierten Vertrag kommt es auf die Aufschläge auf die Marktpreise an – da ist die Vertragsdauer weniger relevant. Gerade die Größeren arbeiten mit einer Mischung von Teilen, die zu Fixpreisen abgeschlossen werden, mit Teilen, deren Bezugskosten am Spot-Markt hängen. Grundsätzlich bestehe immer die Möglichkeit, längerfristige Verträge abzuschließen. »Derzeit kommt aber kaum vor, dass Unternehmen auf Laufzeiten von mehr als ein bis zwei Jahren setzen«, beobachtet Diwok. Der Grund: Der Markt ist immer noch in einer »Backwardation«. Das heißt, je weiter eine Liefervereinbarung in die Zukunft reicht, desto geringer wird der Preis erwartet. »Das ist für die Energierohstoffe prinzipiell ungewöhnlich, zeigt aber, dass irgendwann auch mit einem Ende des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gerechnet wird und sich die Angebotssituation in Europa und Asien wieder verbessert«, erklärt er. Mit dem Kriegsende sollte auch das innereuropäische Angebot wieder steigen – auch wenn dazu aktuell keine konkreten Anzeichen zu sehen sind.

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Felix Diwok, CEO Intercomp: »Ob ein Spot- oder Terminmarktpreis besser ist, ist eine Frage der Beschaffungsstrategie.«

Energiehändler bieten zudem auch Tranchen-Verträge, in denen ein- bis viermal im Jahr ein Teil der Mengen preisfixiert werden kann. »Mit komplexeren, kleineren Verträgen kauft man sich auch Nachteile ein«, warnt aber der Experte. »Man muss diese mit allen ihren Regelungen verstehen – zum Beispiel, wenn ein Unternehmen doch nicht so viel verbraucht, wie zu Vertragsabschluss geplant war.« Gerade die Jahre 2021 bis 2023 hatten große Verwerfungen gebracht. Industrie- und Gewerbeunternehmen hatten Überschüsse an den Markt mit großen Verlusten zurückgegeben, sie wurden in manchen Verträgen, von ihren Versorgern nicht korrekt abgerechnet. Weiters ist bei Tranchen-Verträgen ein Preisa­ufschlag zu beachten, der zum Zuge kommt, weil Mengen und erzielte Preise über den Gesamtzeitraum für den Lieferanten nicht exakt bekannt sind. Das macht es auch für den Lieferanten schwierig, er muss somit seine Risiken mit Aufschlägen einpreisen.

Saisonaler Unterschied
Gewerbe- und Industriebetriebe, die einen hohen Gasverbrauch vor allem in den Sommermonaten haben, sind etwas im Vorteil. Auch wenn der Gaspreis außerhalb der Heizsaison durch die Speicherbefüllung im Sommer noch beeinflusst wird, hat der Verbrauch im Sommer einen Vorteil, weil er geringer ist. Die Beschaffung von Gas kann daher in manchen Fällen auf die unterschiedliche Nachfrage abgestimmt werden. Etwa, indem im Sommer beim Einkauf der Spotpreis »riskiert« wird und für die Winterperiode ein Fixpreis abgeschlossen wird. Leider gab es in den letzten drei Jahren geopolitisch bedingten Faktoren für die Preisbestimmung. In dieser Zeit dominierte weniger die Heizlast den Preis an den Energiebörsen, sondern vielmehr eine durch den Angriffskrieg der Russen herbeigeführte Angebotsknappheit.

Unternehmen sollten sich bei ihrer Beschaffung sehr gut mit dem eigenen Lastprofil auskennen, um Risiken aus den Mengenschwankungen und langfristigen Verträgen abwägen zu können, rät Felix Diwok. Die Fristigkeit im Einkauf sei auch stark von den Mengen abhängig. Ein Betrieb mit 5 GWh Jahresverbrauch werde kaum mit Monats- oder Quartalskontrakten arbeiten können. Dafür ist er entweder zu klein oder die Marktaufschläge sind zu hoch. Bei der Frage nach dem Ausstieg aus bestehenden Verträgen ist meist klar: Eine einseitige Kündigung ist meistens nicht möglich, kein Konsumentenschutzgesetz mit vorgeschriebenen Kündigungsfristen schützt Betriebe. Daher ist die Frage der Vertragsdauer wesentlich. »Bei Spot kann ich eine längere Laufzeit wählen, um zum Beispiel alle drei Jahre die Preisaufschläge der anderen Anbieter zu vergleichen. Im Terminmarkt mit einem Fixpreis fürs vielleicht nächste Jahr sollte die Marktpreisentwicklung beobachtet werden und eine Anfrage an mögliche Lieferanten öfter gemacht werden.

Diwok rechnet mit der Möglichkeit wesentlich niedrigerer Gaspreise in der Zukunft. »Angebot an Gas gibt es global eigentlich genug und die hohen Preise der letzten drei Jahre haben Investitionen in die Exploration von Lagerstätten rentabel gemacht. Wir haben derzeit ja eher nur ein Problem der Verteilung von Gas über die Welt. Insbesondere ist die Pipelineversorgung in Europa ist stark beeinträchtigt.« Die Einkäufer der Unternehmen tendieren Diwok zufolge deshalb auch zu eher kürzeren Vertragslaufzeiten beim Energieeinkauf, als es in der Vergangenheit – vor dem Jahr 2021 – üblich war. Der Experte hält sogar einen Preis auf Vorkrisenniveau für möglich, vorausgesetzt, der Krieg in Europa geht endlich zu Ende und damit auch die Abhängigkeit von LNG-Lieferungen am Weltmarkt.

 


Tipp des Experten: Produkt Spot oder Termin?

Felix Diwok, CEO Intercomp: »Ein auf den Spot-Markt referenzierender Vertrag bringt keinerlei Mengenpreis-Risiken für den Lieferanten. Wenn von den Verbrauchern an einem Tag wenig nachgefragt wird, kauft der Händler entsprechend kleine Mengen ein. Tagesmengen und Preise ergeben dann einen gewichteten Monatsdurchschnittspreis, der verrechnet wird. Der große Vorteil bei einer Bepreisung am Spotmarkt sind die meist geringsten Aufschläge auf die Börsenpreise. Der Nachteil ist die Unsicherheit, was im nächsten Monat für den Bezug zu zahlen ist. Der Spotpreis ist der jeweils an einem Tag tatsächlich realisierte Preis und er ist zwar wichtig für die Erwartung der Preise in der Zukunft, ist jedoch kein ausreichendes Signal für die Preiseinschätzung der nächsten Jahre.

Ob Spot- oder Terminmarktpreis für die Beschaffung gewählt werden sollen, ist eine Frage der Beschaffungsstrategie. Macht der Posten Gas ein Promille meiner Jahreskosten aus, kann ich mich gut für einen Spotpreisvertrag entscheiden – die Kosten sind ja nicht so relevant. Auch basiert der Spotpreis langfristig auf den Grenzkosten einer Energielieferung. Derzeit ist das nicht der Fall, er hat noch wesentliche Knappheitssignale im Rucksack. Er ist jedoch im langjährigen Durchschnitt im Vergleich zum Terminmarkt der günstigere Preis.

Ob ein Terminkontrakt nun einen Monat in die Zukunft geht oder drei Jahre  – der Lieferant muss sich bei einer Mengentoleranzklausel von vielleicht zehn Prozent entsprechend absichern. Mögliche Aufwände für den Ausgleich von Fehlmengen seiner Beschaffung zu teureren Preisen müssen berücksichtigt werden. Gerade bei der Preisvolatilität der letzten Jahre hatten zehn Prozent Mengentoleranz bei stark gestiegenen Preisen enorm viel ausgemacht. Aber auch die Aufschläge am Terminmarkt sind vom Zeitraum abhängig. So hat ein Kontrakt für den nächsten Monat eine wesentlich geringere Volatilität als ein Vertrag fürs nächste Quartal und eine noch geringere als für ein Jahr.«

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