Sie setzt auf die Bündelung von Disziplinen und eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit, um die Erzeugung und Wertschöpfungsketten rund um eine neue Wasserstoffwirtschaft voranzutreiben. Im Gespräch mit Linda Kirchberger, Wien Energie.
Text: Martin Szelgrad
Linda Kirchberger ist seit dem Vorjahr Leiterin des Geschäftsbereichs Asset Dekarbonisierung und neue Technologien bei Wien Energie. Die ausgebildete Geophysikerin war viele Jahre international tätig, darunter 14 Jahre bei der OMV, wo sie zuletzt an der Tiefenspeicherung von Wasserstoff forschte. In Wien nimmt nun einen großen Teil ihrer Aufgaben die Dekarbonisierung der Fernwärme ein. Kirchberger hat zudem die Geschäftsführung der Wiener Wasserstoff GmbH inne, ein Joint-Venture von Wien Energie und Wiener Netze. Das Ziel ist, Synergien und Kernkompetenzen im Stadtwerke-Konzern zum Thema Wasserstoff interdisziplinär zu bündeln.
Die Wiener Stadtwerke wollen Wien bis 2030 zur zentralen Wasserstoff-Drehscheibe im Osten Österreichs gestalten. Welche Bereiche deckt Ihre Abteilung ab?
Linda Kirchberger: Wir haben in der Abteilung erneuerbarer Wasserstoff ein breites Themenfeld vor uns. Das beginnt bei der Beschaffung von grünem Wasserstoff national und international. Wien Energie wird dazu auch eine erste eigene Elektrolyseanlage im ersten Quartal 2024 in Simmering in Betrieb nehmen. Mit einer Leistung von 3 MW werden täglich 1.300 Kilogramm grüner Wasserstoff produziert. Diesen Wasserstoff »made in Vienna« werden wir an unseren Tankstellen anbieten. Ebenfalls in Simmering wird eine zweite Wasserstoff-Tankstelle Anfang nächsten Jahres für Busse und Lkw in Betrieb gehen. Nicht nur Mobilitäts-, sondern auch Industriepartner*innen können diesen Wasserstoff dann beziehen.
Sie zielen auf Abnehmer für Wasserstoff in beiden Bereichen – Industrie und Mobilität?
Kirchberger: Im Raum Wien sehen wir den Einsatz zur Mobilitätsversorgung zentral. Wir betreiben bereits eine erste Tankstelle im Bezirk Floridsdorf, die grünen Wasserstoff anbietet. Dieser wird in einer Elektrolyseanlage von Mpreis in Tirol erzeugt und geliefert – aktuell ist es der einzige grüne Wasserstoff aus Österreich. Auch Ikea setzt erfreulicherweise in einer Kooperation mit uns auf emissionsfreie Lieferungen mit wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen. Im Bereich Industrie gilt es nun, diesen Sektor in Wien und Umgebung zu unterstützen und erneuerbare Energiequellen aufzubauen. Grüner Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg weg von fossilen Energieträgern.
Dann geht es gemeinsam mit der Betriebsabteilung der Wien Energie auch um die Dekarbonisierung von Bestandsanlagen, der technischen Umstellung unserer eigenen Kraftwerke. In einem Feldversuch wurde diesen Sommer an zehn Testtagen eine Beimischung von bis zu 15 Prozent grünem Wasserstoff im Kraftwerk Donaustadt getestet. Gemeinsam mit Siemens Energy, Verbund und RheinEnergie wurde erstmalig die Beimischung von Wasserstoff in einer Gasturbine erprobt. Wir sind nun dabei, die Daten auszuwerten und werden Anfang nächsten Jahres gute Rückschlüsse haben, wie sich diese Beimischung auf den Betrieb eines Kraftwerks auswirkt.
Auf Basis dessen ist dann ein nächster Feldtest mit einer Beimischung von bis zu 30 Prozent Wasserstoff geplant. Wir sind schon dran, die dafür benötigten Wasserstoffmengen zu beschaffen. Die Erzeugungskapazitäten müssen teilweise erst aufgebaut werden.
Welche Unternehmen in Wien-Umgebung werden die Abnehmer für grünen Wasserstoff sein?
Kirchberger: Mit grünen Energiekonzepten zum Beispiel in Kombination mit PV-Anlagen und generell erneuerbarem Strom bieten wir die Bausteine auch für eine zukünftige Wasserstoffproduktion. Das Interesse ist bereits da und an den offenen Fragen zur Umsetzung wird schon intensiv gearbeitet. Prinzipiell kann das fast jedes Unternehmen mit Hochtemperatur-Prozessen sein – eine Asphaltmischanlage zum Beispiel und generell alle, die heute fossiles Gas verbrennen. Wir sehen hier vertrieblich konkrete Chancen und Kunden – diese sind aber noch nicht spruchreif. Man wird aber nicht mit den größten Projekten beginnen, denn dafür brauchen wir in Österreich eine gut ausgebaute Wasserstoff-Infrastruktur. Denn die Großindustrie wird Wasserstoffmengen benötigen, die man nicht dezentral in Österreich herstellen kann.
Wie sieht die Sicherung des Imports aus wind- und sonnenstarken Ländern aus?
Kirchberger: Wir sind aktuell dabei, Partnerschaften zu knüpfen. Es geht darum, dass sich nicht jeder einzeln diese Lieferketten aufbaut, sondern in einer Zusammenarbeit an internationalen Kooperationen mit Erzeugern und an den Routen nach Österreich gearbeitet wird. Bei Wien Energie wird es im Farbspektrum ausschließlich grünen Wasserstoff geben. Aber man wird die Bezugsquellen diversifizieren müssen, um sich nicht wieder in neue Abhängigkeiten zu begeben. Gleichzeitig müssen wir eine Versorgungssicherheit auch 2040 sicherstellen.
Die Technologie steht an einem Anfang – die Durchrechnung einer ersten Elektrolyseanlage wird heute wohl kaum einer Return-
on-Investment-Rechnung standhalten.
Kirchberger: In dieser sehr frühen Marktphase ist es ohne Förderungen schwierig. Auch ein Logistik- oder Verkehrsunternehmen wird sich ohne Förderungen kaum Wasserstoff-Fahrzeuge anschaffen. Wir sehen hier ein typisches Henne-Ei-Problem, da selbst beim Wunsch der Anschaffung eines Busses mitunter die Errichtung einer Wasserstofftankstelle und der dahinterliegenden Infrastruktur mitgedacht werden müssen. In den Wiener Stadtwerken gehen wir mit den Tankstellen in Vorleistung, um aktiv die Entwicklung des Marktes mitzugestalten. Aus meiner Sicht hat sich das bereits ausgezahlt, wenn man Kooperationen wie mit Ikea sieht.
Wenn die Infrastruktur da ist, entscheiden sich Unternehmen, auf Wasserstoff umzustellen – für die Bereiche, wo sie nicht elektrifizieren können. Grünes Gas wird immer dort eingesetzt werden, wo Elektromobilität an ihre Grenzen kommt.
Sehen Sie Grenzen der Elektromobilität in der Langstrecke und im Schwerlastverkehr?
Kirchberger: Beides ist eine Herausforderung, ebenso wie große Höhenunterschiede auf Fahrzeugrouten. Die Wiener Linien haben einen Wasserstoffbus auf der Strecke 39A im Bezirk Döbling im Einsatz. Nach den ersten zufriedenstellenden Ergebnissen werden nun weitere Busse bestellt. Und wir werden Wasserstoffbusse auf zusätzlichen Strecken in Wien sehen.
Wieviel Gas benötigt die Fernwärme?
Kirchberger: Der Anteil von Gas-Heizkraftwerken (Anm. Kraft-Wärme-Kopplung) bei der Fernwärme liegt heute bei zirka 51 Prozent und wird bis 2040 auf 13 Prozent sinken – das sind dann aber wirklich dekarbonisiert nur mehr grüne Gase. Das entspricht einer Reduktion von heute 3,35 TWh auf rund 1 TWh grüne Gase.
Welche Perspektive sehen Sie für die Dekarbonisierung der Fernwärme?
Kirchberger: Wasserstoff ist hier ebenfalls ein Thema, es steht aber nicht an vorderster Stelle. Bis zum Jahr 2040 soll die Fernwärme ungefähr zu 55 % aus einer Kombination von Tiefengeothermie und Großwärmepumpen nachhaltig gespeist werden. Hier sind wir bereits auf einem guten Weg.
Wien verfügt mit einer Leitungsinfrastruktur von 1.300 Kilometern über Europas drittgrößtes Fernwärmenetz. Mit dem bereits erforschten geologischen Vorkommen von Lagerstätten-Wasser in 3.000 Meter Tiefe unter der Stadt können wir dieses warme Wasser in einem Kreislaufsystem an die Oberfläche befördern und die Energie über Wärmetauscher in das Netz speisen.
Hier sind wir bereits in der Umsetzung, eine erste 20-MW-Anlage wird schon 2027 grüne Wärme fördern. Mit dem weiteren Ausbauplan wollen wir im Jahr 2030 mit Tiefengeothermie 120 MW Fernwärme produzieren. Hier hat sich auch die Technologie in den letzten Jahren verbessert, um mit Großwärmepumpen Wasser aus der Tiefe mit einer Produktionstemperatur von 108 Grad auf das nötige Temperaturniveau für die Fernwärme zu bringen. Vor wenigen Jahren hätte sich dieses Reservoir in 3.000 Meter Tiefe für eine Förderung noch nicht ausgezahlt.
Ein weiteres Vorzeigeprojekt ist eine leistungsstarke Großwärmepumpe am Gelände der ebswien Kläranlage in Simmering. Sie wird ab dem kommenden Jahr mit 55 MW Leistung umweltfreundliche Wärme für bis zu 56.000 Haushalte liefern. In einem ersten Schritt haben wir derzeit drei Wärmepumpen am Standort, die bis 2027 verdoppelt werden und 112.000 Haushalte versorgen können. Zum Vergleich: Mit Fernwärme werden aktuell 440.000 Haushalte in Wien und 7.800 Großkund*innen versorgt. Das entspricht rund 40 Prozent des Wärmebedarfs in der Stadt. Bis 2040 soll dieser Anteil auf 56 Prozent ausgebaut werden.
Wir werden auch mehr lokale Synergien nutzen, wie heute bereits die Nutzung der Wärme aus einem Rechenzentrum, um eine Klinik in Floridsdorf zu beheizen. Der Fernwärmemix wird aus Müllverbrennungsanlagen, industrieller Abwärme und zu einem kleinen Teil auch aus Biomasse bestehen.