Sonntag, Dezember 22, 2024

Sogenannter „grüner“ oder auch „pinker“ Wasserstoff, der mit geringem CO2-Ausstoß erzeugt wird​, entwickelt sich zu einem der vielversprechendsten Instrumente zur Dekarbonisierung. Insbesondere die energieintensive Industrie hat das Potenzial des klimafreundlichen Energieträgers für sich entdeckt. 

Als klimafreundlich erzeugt gilt Wasserstoff in der EU, wenn er einen bestimmten CO2-Grenzwert unterschreitet. Hergestellt wird er entweder durch die Pyrolyse von Biomasse oder durch Elektrolyse auf Basis von erneuerbaren Energien oder Atomkraft. Gleichzeitig entstehen bei der Verbrennung von Wasserstoff vergleichsweise wenig Emissionen - für Branchen mit bislang sehr hohem Emissionsausstoß könnte der Umstieg darum ein Gamechanger sein. Und die Nachfrage steigt, wie das Capgemini Research Institute in einer neuen Studie verkündet: Rund 62 Prozent der Unternehmen aus energieintensiven Branchen wie der Luftfahrt, der Stahl oder Chemieinsdustrie prüfen bereits den Umstieg.  

Energieträger der Zukunft?

Die Hoffnungen in Wasserstoff sind groß: Mit dem grünen Energieträger soll die Klimakrise bewältigt, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert und Energieautonomie langfristig gefördert werden. Laut der Studie „Low-Carbon Hydrogen - A Path to a Greener Future“ geht die Mehrheit der Unternehmen davon aus, dass klimafreundlicher Wasserstoff zum Erreichen ihrer Nachhaltigkeitsziele beitragen wird. Energie- und Versorgungsunternehmen erwarten im Schnitt, dass dass klimafreundlicher Wasserstoff bis 2050 einen Anteil von 18 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs decken wird.

64 Prozent der Energieunternehmen planen, bis 2030 in klimafreundlichen Wasserstoff zu investieren; bis 2050 sind fast alle der Unternehmen mit am Ball. Das Groß der Investitionen fließt in den Transport und die Verteilung von Wasserstoff als Energieträger, danach folgen Produktion sowie Forschung und Entwicklung. „Unternehmen, die in Wasserstoff-Technologien investieren, können nicht nur ihre CO2-Bilanz verbessern, sondern auch von neuen Geschäftsmöglichkeiten in einer kohlenstoffarmen Wirtschaft profitieren“, erklärt Martina Sennebogen, Managing Director von Capgemini in Österreich. Daher sei es entscheidend, die Entwicklung von klimafreundlichem Wasserstoff voranzutreiben und innovative Strategien zur Nutzung dieser Technologie zu entwickeln.

Nachfrage und Investitionen steigen

Die Nachfrage nach Wasserstoff ist in den letzten drei Jahren branchen- und länderübergreifend um mehr als 10 Prozent gestiegen. Gerade in seinen klassischen Einsatzbereichen rechnen Unternehmen mit weiteren Zuwächsen: 94 Prozent der Erdölraffinerien gehen von einer erheblich steigenden Nachfrage bis 2030 aus, 83 Prozent der Chemie- und Düngemittelunternehmen ebenfalls. 
 
Aber auch in neuen Anwendungsbereichen wie dem Schwerlastverkehr oder der Luft- und Schifffahrt wird Wasserstoff künftig voraussichtlich vermehrt nachgefragt. Obgleich es noch dauert, bis die dazu nötigen Technologien ausgereift sind, entwickeln Unternehmen dieser Sektoren laut Studie bereits Geschäftsmodelle und Strategien zur Kostensenkung, um die Nutzung von Wasserstoff auszuweiten. Das entscheidende Potenzial von grünem Wasserstoff liegt jedoch dort, wo Elektrifizierung keine Option ist  - und bei lokal verfügbaren Mengen kurzfristig eingesetzt werden kann, beispielsweise bei der Energiespeicherung intermittierender Energiequellen wie Sonne und Wind. 

Martina Sennebogen, Managing Director bei Capgemini in Österreich: „Klimafreundlich erzeugter Wasserstoff bietet Unternehmen eine einzigartige Chance, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.“ (Bild: Capgemini)

Herausforderungen bei Produktion, Technik und Infrastruktur

Obwohl die Nachfrage nach CO2-arm erzeugtem Wasserstoff also steigt, gibt es bei seiner Produktion bekanntermaßen Probleme. Die derzeitigen Methoden sind weder kosteneffizient noch besonders umweltfreundlich. Um das zu ändern, muss nicht nur umfangreich investiert werden, auch Angebot und Nachfrage müssten steigen. Möglich werde das laut Studienautor*innen nur durch Partnerschaften und Ökosysteme zwischen den etablierten Akteuren der Wasserstoffbranche und neuen Marktteilnehmern sowie durch die Entwicklung transparenter und offener Märkte. 
 
Trotz der aktuellen Herausforderungen geben sich die Energie- und Versorgungsunternehmen jedoch zuversichtlich: Fast die Hälfte der Organisationen weltweit erwartet, dass die Kosten zur klimafreundlichen Wasserstofferzeugung bis 2040 stetig sinken werden. Die meisten Unternehmen aber sind noch mit Machbarkeitsstudien oder Pilotprojekten beschäftigt. Erst 11 Prozent der Energieunternehmen weltweit – in Deutschland mit 22 Prozent fast doppelt so viele – und 7 Prozent der weltweiten Endverbraucher haben Projekte mit klimafreundlichem Wasserstoff vollständig in ihrem Markt eingeführt. Für eine flächendeckende Kommerzialisierung sind neben Kosten- und Energiefragen nämlich auch kritische technische und infrastrukturelle Probleme zu lösen.
 
So sind Unternehmen aus unterschiedlichen Industriezweigen mit jeweils sektorspezifischen Schwierigkeiten konfrontiert: 65 Prozent der Unternehmen im Schwerlastverkehr betrachten die Ausweitung der Produktion von Wasserstoff-Brennstoffzellen als die für sie größte technische Herausforderung. Ein ähnliches Problem gibt es in der Luftfahrt: Um Wasserstoff als Flugzeugkraftstoff nutzen zu können, muss  die Bauweise von Flugzeugen dem erst einmal angepasst werden. Und in der Stahlindustrie halten 72 Prozent die Modernisierung der Infrastruktur für eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion in großem Maßstab für erforderlich. 
 
Neben den finanziellen, infrastrukturellen und technologischen Fragen zählt auch der Mangel an Erfahrung und Expertise zu den größten Herausforderungen bei der Ausbreitung von Wasserstofftechnologie. Besonders ausgeprägt ist der Fachkräftemangel in spanischen Industrie (70 Prozent) sowie bei Energie- und Versorgungsunternehmen in Japan (65 Prozent), in Frankreich und Australien (jeweils 63 Prozent). In Deutschland sehen 48 Prozent der Versorger sowie 52 Prozent der Endnutzerunternehmen den Fachkräftemangel als eine der größten Herausforderungen für Wasserstoff-Projekte. 

Info: Die vollständige Studie können Sie unter folgendem Link einsehen: www.capgemini.com


Methodik

Mit dem Ziel, zu erkennen, wie Energie- und Versorgungsunternehmen (EVU) weltweit das Potenzial von klimafreundlich erzeugtem Wasserstoff für sich nutzen können, hat das Capgemini Research Institute eine Umfrage in 13 Ländern durchgeführt. Befragt wurden 500 Führungskräfte aus EVU mit einem Jahresumsatz von mehr als 500 Millionen US-Dollar sowie 360 Führungskräfte aus Endverbrauchersektoren​ wie Schwerlastverkehr, Luftfahrt, Seefracht, Stahl, Chemie und Raffinerie mit einem Jahresumsatz von über 
einer Milliarde US-Dollar.

Die Befragten sind in die Planung und Entwicklung von Initiativen für emissionsarm produzierten Wasserstoff involviert und arbeiten in unterschiedlichen Fachgebieten wie Strategie, Entwicklung von Produkten und Services, Innovation und Engineering, Betrieb sowie in Geschäftsbereichen, die spezialisiert sind auf Wasserstoff, Erneuerbare und neue Energieformen, Dekarbonisierung, Umwelt, Nachhaltigkeit, Energiewende oder Endanwendungen (Wasserstoff für Brennstoffzellen / Motoren). In Ergänzung zu den quantitativen Erhebungen hat das Institut mehr als 21 Tiefeninterviews mit Organisationen der Angebots- und Nachfrageseite sowie mit Start-ups, Risikokapitalgebern, Forschenden und Verantwortlichen von Regulierungsstellen geführt.

(Titelbild: iStock)

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