Mittwoch, November 20, 2024



Seit 75 Jahren dreht sich beim Verbund alles um Wasserkraft in Österreich. Jetzt aber startet der Stromkonzern in eine neue Ära: Die kommenden Investitionsmilliarden fließen in Solar- und Windparks außerhalb Österreichs. Was steckt hinter diesem Strategiewechsel?

Von Irmgard Kischko

In Andalusien stöhnten die Menschen in diesem Sommer unter extremer Hitze. Monatelang kein Tropfen Regen und Temperaturen bis zu 45 °C. Noch ist das karge Land nördlich von Malaga mit Olivenbaumplantagen übersät. Doch auch diese anspruchslosen Gewächse tun sich schwer in der Trockenheit. Landwirte suchen daher nach Alternativen. Für Energiekonzerne ist das heiße, trockene Land mit den vielen Sonnenstunden gerade richtig. Nirgendwo in Europa ist denn auch der Wettbewerb um Flächen für Solaranlagen so groß wie dort.

Im Herbst 2021 schaffte der Verbund den Einstieg in den umkämpften spanischen Markt. Er gewann eine Auktion für den 161 Hektar großen Solarpark „Pinos Puente“ nahe Granada. Vor wenigen Wochen wurde die Anlage, die über eine Leistung von 148 Megawatt (fast so viel wie das Donaukraftwerk Freudenau) verfügt, offiziell eröffnet. Interessant dabei ist der Deal im Hintergrund: 60 Prozent des erzeugten Stroms werden über einen sogenannten VPPA-Vertrag (siehe Kasten) an den Brauereikonzern AB InBev verkauft. Damit werden 14 Brauereien in Westeuropa vollständig mit erneuerbarem Strom versorgt. Rein virtuell natürlich. Denn die in Südspanien erzeugte elektrische Energie fließt natürlich nicht bis Mitteleuropa.

Für den Verbund war das der erste große Streich in der Neuausrichtung. Nur wenige Monate nach dem Erwerb von Pinos Puente folgte der zweite Streich. Der Verbund kaufte 70 Prozent an einem Windpark sowie einer Photovoltaikanlage mit 171 Megawatt Leistung und im Sommer eine 82 Megawatt Solaranlagen – allesamt in Spanien. Ein Team von 24 Mitarbeitern beschäftigt der Verbund inzwischen in dem Land. Sie sondieren permanent neue Projekte. Immerhin sollen in den nächsten Jahren bis zu 4000 Megawatt an Sonnen- und Windkraftwerken in Spanien errichtet und betrieben werden.

Risiken verringern

„Technologische und geografische Risikodiversifizierung“, nennt Verbund-Chef Michael Strugl die neue Stoßrichtung des Stromkonzerns. In anderen Worten heißt das: Nur auf Wasserkraft zu setzen, wäre in Zeiten wie diesen zu riskant. Denn der Klimawandel beeinflusst auch die Wasserführung der Flüsse und damit die Stromerzeugung des Verbund. Und was die zu einseitige Ausrichtung auf eine Energiequelle bedeutet, muss Mitteleuropa derzeit bitter erfahren. Auch bei den Technologien will Strugl eine breitere Streuung. Die Lieferkettenprobleme seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben hier ein Umdenken ausgelöst.



Bild: Eröffnung des Solarparks in Pinos Puente: Cybelle-Royce Buyck (AB InBev), Rafael Esteban (BayQa), Jorge Paradela Gutiérrez (Council of Industrial and Energy Policy, Government of Andalusia), Michael Strugl (Verbund), Enno Drofenik (österreichischer Botschafter in Spanien), Francisco José García Ibañez, (Bürgermeister von Pinos Puente), Eric Novaes (AB InBev).

Ein weiterer Grund für die geänderte Strategie sind die Limitierungen in Österreich. Der Schritt ins Ausland ist eine logische Konsequenz aus den vielen Widerständen, auf die jedes neue Ökostromprojekt hierzulande trifft. „In Spanien dauert es höchstens drei bis vier Jahre bis zur Genehmigung und dem Baustart einer Solaranlage. In Österreich können zehn Jahre vergehen“, bringt es Dietmar Reiner, Managing Director Verbund Green Power auf den Punkt. Bei dem Ausbauvolumen, das der Konzern plane, seien solche Zeiträume nicht akzeptabel. Immerhin soll bis 2030 ein Viertel des Verbund-Stroms aus Wind und Sonne produziert werden. Derzeit sind es nur 2,7 Prozent. Für Spanien sprechen zudem die vielen Sonnenstunden. Eine Solaranlage in dem Land erzeugt in etwa doppelt so viel wie eine gleichartige Anlage in Österreich.

Den dritten großen Streich plant der Verbund im Osten Deutschlands. Auch dort macht die außerordentliche Trockenheit den Landwirten große Sorgen. Wer kann, verkauft Agrarflächen oder sucht zumindest nach neuen Nutzungen. Eines dieser in der Landwirtschaft erfahrenen Unternehmen ist die deutsche Lindhorst-Gruppe, die ihrer Tochtergesellschaft Visiolar mit Sitz in Potsdam riesige Agrarflächen für erneuerbare Energieprojekte übertragen hat. Gemeinsam mit Visiolar will der Verbund nun auf bis zu 2000 Hektar in Niedersachsen Photovoltaikanlagen errichten. Aber bis das umgesetzt wird, werden Jahre vergehen. Denn auch in Deutschland seien die Genehmigungen langwierig, stellt Reiner fest. Einsprüche von Umwelt- und Tierschützern sowie Bürgerinitiativen seien zu erwarten. Der Verbund und Visiolar gehen daher in kleinen Schritten vor. Zunächst wurden 13 Projekte auf einer Fläche von 1400 Hektar „identifiziert“, wie Reiner sagt. Dass alles umgesetzt wird, erwartet der Verbund Green Power-Chef nicht. Was allen neuen Projekten gemeinsam ist: Sie kommen ohne Förderungen aus, zumal die Energiepreise aktuell sehr hoch sind.



Bilder: VERBUND Solar Park Pinos Puente

Kleine Schritte in Österreich

Während der Verbund im Ausland Großes vorhat, gibt er sich in Österreich mit kleineren Projekten zufrieden. So hat der Verbund gemeinsam mit dem Faserhersteller Lenzing Mitte Oktober die größte Photovoltaik-Freiflächenanlage Oberösterreichs in Betrieb genommen. Auf der ehemaligen Deponie Ofenloch von Lenzing wurden dazu 10.284 Solarmodule aufgestellt, die jährlich rund 6000 Megawattstunden Strom für das Unternehmen produzieren sollen. Große Freiflächenanlagen wie in Spanien sind in Österreich gesetzlich nicht möglich. Die Politik will beim Ausbau der Sonnenenergie Prioritäten setzen. „PV-anlagen sollen vorrangig auf Dächern und auf bereits verbauten Flächen wie zum Beispiel Parkplätzen oder auf belasteten Gebieten wie Halden, Deponien, Verkehrsrandflächen errichtet werden“, sagt dazu Oberösterreichs Energielandesrat Markus Achleitner.

Aber immerhin: Einiges ist dem Verbund auch in Österreich schon gelungen. 44 Windräder zum Beispiel konnte der Stromkonzern hierzulande bereits errichten. Wo immer möglich, sollen weitere Windparks entstehen.

Im Bereich der Wasserkraft setzt der Verbund vor allem auf Effizienzsteigerungen bei bestehenden Projekten. Ein besonders großer Sprung bei der Erhöhung der Erzeugung ist dem Verbund beim Donaukraftwerk Ybbs-Persenbeug gelungen. Sechs neue Turbinen bringen eine zusätzliche Jahresstromproduktion von 77.000 Megawattstunden. Dass im Bereich der Wasserkraft keine großen Ausbauschritte mehr gesetzt werden könne, ist wenig verwunderlich. Immerhin betreibt der Verbund in Österreich 110 Wasserkraftwerke. An den 360 Kilometern, die die Donau durch Österreich fließt, stehen neun große Wasserkraftwerke – also alle 40 Kilometer ein Kraftwerk. Mehr lässt sich da nicht mehr machen.


Hintergrund
VPPA – der virtuelle Stromeinkauf
Der Verbund verkauft den Strom, den er im Spanischen Solarkraftwerk Pinos Puente erzeugt, an den belgischen Brauereikonzern AB InBev, der damit seine Brauereien in Mitteleuropa versorgt. Der Strom fließt natürlich nicht aus Spanien bis Belgien. Hinter dem Deal steckt ein VPPA, ein Virtual Power Purchase Agreement. AB InBev bezahlt den Strom beim Verbund, bezieht die Solarenergie aber nur virtuell. Die elektrische Energie aus Pinos Puente verbrauchen die spanischen Haushalte und Betriebe in der Umgebung der Anlage. AB InBev wiederum bezieht den Strom aus dem jeweiligen Netz der Region, in der die Brauereien angesiedelt sind. Weil der Konzern aber die Solarenergie bezahlt, darf er sagen, dass ein Teil seiner Brauereien mit 100 Prozent umweltfreundlichem Strom betrieben werden.

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