Über 100 Transformatoren fertigt Siemens Energy pro Jahr in Linz. Praktisch alle sind Einzelstücke und oftmals einige Millionen Euro wert. Mehr als 80 Prozent davon gehen in den Export. So etwa auch nach New York. Dort sind die Anforderungen an die Trafos besonders hoch: Um höchste Versorgungsicherheit zu gewährleisten, müssen diese eine extreme Kurzschlussfestigkeit haben. Da die Trafos oft in dicht verbautem Gebiet stehen, muss der Geräuschpegel auf ein Minimum reduziert sein. Der Schlüssel zum Erfolg ist in beiden Fällen die Qualität der Wicklungen. Deshalb haben die Linz Center of Mechatronics GmbH (LCM) und Siemens Energy ein Simulationsmodell entwickelt, das dutzende Parameter so abstimmt, dass die Zielvorgaben des Kunden punktgenau erfüllt werden können.
„Immer wieder lassen Kunden die Kurzschlussfestigkeit unserer Transformatoren auf Herz und Nieren prüfen, bevor diese in Betrieb genommen werden“, erklärt Peter Hamberger, Leiter Forschung und Entwicklung bei Siemens Energy Linz. Durchgeführt werden diese Tests üblicherweise in einem Prüflabor in den Niederlanden. Dabei werden die Transformatoren einem kontrollierten Kurzschluss ausgesetzt, um zu prüfen, ob die geforderte Widerstandsfähigkeit gegeben ist und sich bestimmte Parameter auch danach noch im geforderten Bereich bewegen. Weil die Einzelstücke einige Millionen Euro wert sein können, ist bei den Prüfungen auch bei Peter Hamberger die Spannung hoch.
Bild oben: Simulation von Siemens Energy und LCM erhöht Sicherheit und senkt Lärm: Manfred Reiter und Erwin Karer (beide LCM) sowie Peter Hamberger (Siemens Energy).
Wichtige Erkenntnisse durch PEV-Tool
„Obwohl unsere Transformatoren die Prüfungen immer bestehen, kann ich seit der Zusammenarbeit mit LCM deutlich besser schlafen“, sagt Hamberger. Für diese Beruhigung ist das sogenannte PEV Tool (Pressure-Element-Verification Tool) verantwortlich. Mit diesem automatischen Simulations-Modell können die mechanischen Eigenschaften der Wicklungen nach dem Pressvorgang in bisher unerreichter Präzision vorausgesagt werden. Zum einen gibt das PEV-Tool verlässlich Auskunft über die Geometrie der Wicklung nach der Pressung, die für eine exakte Auslegung erfolgskritisch ist. Zum anderen lassen sich daraus auch wichtige Erkenntnisse über die Steifigkeit ableiten. Denn die Steifigkeit der Wicklung ist das entscheidende Kriterium für das Schwingverhalten – und damit die Geräuschentwicklung – der Wicklung. In einem Vakuumofen im Linzer Transformatorenwerk von Siemens Energy erfolgt die Trocknung der Wicklung, um die dielektrischen Eigenschaften sowie die Lebensdauer des Trafos zu erhöhen. Auch eine Schrumpfung – und damit Versteifung – der Materialen findet im Vakuumofen statt.
Voraussagen für Sicherheit und Geräuschpegel
Darin wird die Wicklung noch in feuchtem Zustand bei einem Unterdruck von 10 Millibar und unter Einbringung von Kerosindampf getrocknet. Vor und während des Trocknungsprozesses erfolgt die Pressung, die immer wieder nachgeregelt wird, um die gewünschten Eigenschaften zu erzielen. Da alle drei Wicklungen für Dreiphasenwechselstrom (Drehstrom) jeweils aus mehreren Unterwicklungen aufgebaut sind, die wiederum aus einzelnen, parallelen oder mehreren verdrillten Leitern bestehen, mit Lack sowie Papier oder Netzband isoliert (und bei Bedarf durch Epoxidharz verklebt) und für thermische Zwecke mit Abstandsplättchen aus verschiedensten Materialien bestückt sind, ist eine Berechnung nur mit leistungsfähigen Simulationsmodellen möglich. „Die Aufgabe unseres HOTINT- Simulationstools ist es, die Beschaffenheit der Wicklung nach der Trocknung und Pressung möglichst exakt vorauszusagen“, erklärt LCM-Projektleiter Erwin Karer. Daraus lassen sich wiederum Aussagen über die akustischen Eigenschaften der Wicklung und somit über den im Betrieb erzeugten Geräuschpegel ableiten. „Die Simulationen helfen uns, die hochkomplexe Physik eines Transformators mit den Kundenwünschen noch besser in Einklang bringen zu können“, sagt Peter Hamberger.
Hochsensible Kolosse
Der Forschungs- und Entwicklungsleiter der Siemens Energy erklärt auch, wie sensitiv die hunderte Tonnen schweren Transformatoren sein können. „Beim Schiffstransport können sogar übermäßige Schaukelbewegungen Deformationen verursachen.“ Entsprechende Sensibilität ist deshalb schon beim Design der Transformatoren gefragt. Ein Transformator besteht aus hunderten verschiedenen Einzelteilen. Die Abstandsplättchen und das Wickelkupfer werden auf Hundertstelmillimeter exakt gefertigt. Der Aufbau der Druckringe muss exakt auf jene enormen Belastungen abgestimmt sein, die bei einem Kurzschluss auf die bis zu acht Presspunkte wirken. „Bei so vielen Variablen lässt sich kein Standard finden, der auf alle Transformatoren anwendbar ist“, sagt Hamberger.
60 Prozent Materialkosten
Deshalb sind die hochpräzisen Simulationen von LCM ein unentbehrliches Instrument für die kontinuierliche Verbesserung der Designs. „Da die Ergebnisse meist binnen zehn Minuten vorliegen, können wir uns auf sehr viele Simulationsergebnisse stützen“, erklärt LCM-Projektleiter Erwin Karer. Diese werden schließlich mit den Messergebnissen aus dem Realbetrieb und den Testergebnissen im Prüflabor abgeglichen. „Damit erarbeiten wir uns eine Materialdatenbank, die mit jeder Einzel-Materialmessung und somit jedem neuen Datensatz exakter und umfangreicher wird.“ Mit diesem Wissen lassen sich nicht nur die physikalischen Eigenschaften der Transformatoren bereits im Designprozess verbessern. Auch der Einsatz der richtigen Materialien lässt sich optimieren. „Wenn man bedenkt, dass die reinen Materialkosten rund 60 Prozent des Preises ausmachen, ist es für unsere Kunden natürlich ein ganz entscheidender Faktor, dass wir materialsparend designen“, erklärt Siemens Energy-Entwicklungschef Peter Hamberger.
Bilder: Wakolbinger/LCM und Slawomir Rojek/Siemens Energy