Immer mehr öffentliche Verwaltungen, Unternehmen und Privatpersonen setzen auf Elektromobilität. Doch gerade in den Städten stellen Fahrzeugdichte, unterschiedliche Mobilitätskonzepte, die Belegung von Ladesäulen, Bauvorschriften und vieles mehr die Verkehrswende vor große Herausforderungen. Tina Zierul, Senior Director Public Policy des Ladeinfrastrukturspezialisten ChargePoint (Bild), stellt sich unseren Fragen zu Geschäftsmodellen, Wünschen der Nutzer*innen und attraktiven Ladepunkten in der Stadt.
Report: Wer sind die Zielgruppen von ChargePoint in Europa? Welchen Service bieten Sie an und wie ist Ihr Geschäftsmodell gestaltet?
Tina Zierul: Wir unterstützen vor allem Unternehmen aus dem Immobilien-, Verkehrs- und Logistiksektor sowie Fuhrpark-Manager bei der Elektrifizierung von Fahrzeugen – von der anfänglichen Planung mit dem Netzbetreiber, über die Optimierung des Routen- und Lademanagements, bis zur sauberen Abrechnung verschiedener Nutzergruppen am Ende.
Darüber hinaus baut und installiert ChargePoint eigene Ladesäulen und bietet Kunden einen bequemen Betrieb mit Preissetzung-Tools und Übersichten über das Backend an. Fahrern bieten wir eine kostenlose App an, mit der über die eigenen und andere Ladesäulen geladen werden kann. Letzteres funktioniert über Roaming-Vereinbarungen ähnlich wie im Mobilfunk – nur nimmt ChargePoint keine Roaming-Gebühren. Damit bauen und betreiben wir das weltweit größte offene Ladenetzwerk für E-Fahrzeuge in Europa und den USA. Mit allen diesen Services sprechen wir natürlich auch direkt Privatpersonen, unsere dritte Zielgruppe an.
Report: Welchen Bedarf sehen Sie für Lademöglichkeiten in den Städten?
Zierul: Nach internen Prognosen erwarten wir gut 70 Prozent mehr Ladevorgänge im öffentlichen und teilöffentlichen Raum bis 2030. Das Laden zu Hause ist bisher die beliebteste Methode. Besonders im innerstädtischen Bereich sind private Parkplätze allerdings Mangelware, daher sind die Weichen – oder vielmehr die Säulen – jetzt zu stellen, wenn man mit dem Hochlauf Schritt halten will. Ladepunkte sind langsamer installiert als E-Fahrzeuge gekauft, gleichzeitig befeuert ein Ausbau der Ladeinfrastruktur die Anzahl von „Stromern“. Die rein-elektrischen Neuzulassungen stiegen in Österreich um fast 109 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Neben dem Anstieg im Bedarf und der wechselseitigen Aufwärtsspirale sehen wir außerdem die Behörden in der Pflicht, entschlossener gegen Falschparker und Blockierer vorzugehen.
Report: Wo sind die besten Plätze?
Zierul: Das größte Potenzial sehen wir bei Arbeitgebern, Supermärkten und in Mehrfamilienhäusern. Denn im Schnitt bewegen sich 40 Prozent der Pkw gar nicht, der Rest im Mittel nur 45 Minuten. Das bedeutet die Fahrzeuge stehen 97 Prozent der Zeit zu Hause, beim Arbeitgeber und etwa vor Supermärkten.
Arbeitgeberparkplätze haben den Vorteil, dass die meisten E-Autos auch bei sehr geringer Ladegeschwindigkeit in acht Stunden vollgeladen sind. So brauchen die Arbeitnehmer keine eigene Ladesäule und sind deutlich unabhängiger vom öffentlichen Ladeangebot. Mit dem richtigen E-Mobilitätsdienstleister ist der Betrieb und die Abrechnung von verschiedenen Nutzergruppen – etwa Mitarbeiter, Kunden oder Lieferanten – kein Problem. Je nach Lage können die Firmenladepunkte nachts, wenn diese in der Regel nicht belegt sind, durch Anwohner genutzt werden.
Dieser Umstand macht auch die Parkplätze vom Einzelhandel zu einem großen Hebel, da dort in der Regel außerhalb der Geschäftszeiten Parkplätze frei und gut zugänglich sind. Während der Geschäftszeiten sind diese Ladesäulen natürlich ein Wettbewerbsvorteil, da die E-Kundschaft zwecks Ladezeit länger im Geschäft verweilt.
In der Stadt dominieren Mehrfamilienhäuser und Apartmentkomplexe. Auch hier ist es nicht notwendig, dass jeder Parkplatz ein eigener Ladepunkt ist. Mit dem richtigen „Lade-Knigge“, unterstützt durch eine Wartelisten-Funktion zum Beispiel, können Vermieter und Eigentümer ihre Immobilien aufwerten und den Verkehr sauberer und leiser machen.
Report: Welche Serviceleistungen werden besonders nachgefragt? Was wünschen sich die Menschen?
Zierul: Das Laden soll so einfach wie möglich sein, also am besten per Smartphone, und beim Bezahlen soll es keine Überraschungen geben. Wir zeigen daher die Preise für Spontanladen auf dem Display an und für Vertragskunden in unserer App.
ChargePoint beteiligt sich an Pilotprojekten für netzfreundliches Laden, so dass Kunden einige Cent pro kWh sparen, wenn ihre Wallbox zu bestimmten Zeiten die Ladeleistung etwas drosselt. Zudem sondieren wir die Möglichkeit, die eigene Erzeugung oder den Grünstromtarif von zu Hause an öffentliche und private Ladepunkte „mitzunehmen“, egal wo sich diese befinden. Ein weiterer Wunsch, der oft an uns herangetragen wird, ist das Reservieren von öffentlichen Ladepunkten. Statt nach der Arbeit mühsam eine freie Ladesäule zu finden, wünschen sich viele E-Fahrer eine Art „Anwohner-Lade-Modell“. Die Herausforderungen, die man aus Bahn oder Restaurant kennt, werden von uns zurzeit ausgeleuchtet. Dabei geht es um unterschiedliche rechtliche Herausforderungen im Zusammenhang mit Roaming und No-Show-Effekten. Wie lange bleiben etwa Reservierung bestehen, ab wann folgen Sanktionen und wie sehen diese aus? Bis diese Dinge geklärt sind, konzentriert sich unsere App auf eine Warteliste-Funktion, mit der man sich in die virtuelle Schlange stellt und benachrichtigt wird, sobald der Ladepunkt frei wird.
Report: Wie schneidet die zugängliche Ladeinfrastruktur in Österreich im Europavergleich ab?
Zierul: Das Interesse an Elektroautos ist auch in Österreich ähnlich wie in anderen europäischen Ländern stark angestiegen. Bei der Ladeinfrastruktur liegt Österreich in Europa auf Platz 8, also im oberen Drittel. Auf gut fünf Millionen Pkw - davon 77.100 Stromer - kommen 17.082 Ladepunkte, das macht rund 594 Pkw oder 4,5 E-Autos pro Ladepunkt. Spitzenreiter Niederlande hat mit knapp neun Millionen Pkw, davon 273.000 E-Autos, und 82.263 Ladepunkten eine Abdeckung von 109 Pkw und 3,3 E-Autos pro Ladepunkt.
Report: Wo sehen Sie Stärken und wo noch Schwächen in Österreich?
Zierul: Know-how ist eine der Stärken. So gibt es besonders zu Ferienzeiten regen Durchgangsverkehr in Österreich. Damit dieser möglichst emissionsfrei sein kann, müssen genügend Lademöglichkeiten vorhanden sein. Die Schnelllade-Infrastruktur hierfür wird besonders von Ionity immer weiter ausgebaut. Für Betrieb, Verwaltung und Abrechnung der Ladepunkte wird Software von has to be genutzt. Wir haben das Unternehmen aus Radstadt in einem der größten Start-up-Exits Österreichs für 250 Millionen Euro übernommen.
Dann sind Städte wie Wien hinsichtlich des Ausbaus von Ladeinfrastruktur mit aktuell rund 2.000 Ladepunkten in europäischen Spitzenfeld. Zum Vergleich: Berlin hat rund 1.800 Ladepunkte, obwohl hier rund 1,7 Millionen mehr Menschen wohnen. In anderen großen Städten wie Salzburg mit 250 Ladepunkten bei 560.000 Einwohnern gibt es zwar noch Aufholbedarf, doch auch in puncto multimodaler Mobilität sehen wir Innovationsdrang – darunter auch in Linz.
Report: Welches Angebot haben Sie mit den sogenannten "Urban Charging Hubs"?
Zierul: Bei diesen städtischen Schnell-Ladeparks für Taxis, Mietwagen, Carsharing-Fahrzeuge und den Transportsektor stehen Ladepunkte mit 150 kW Ladeleistung bereit, an denen Fahrzeuge innerhalb kürzester Zeit aufgeladen werden. Für Taxis und Mietwagen können Charging Hubs als über die Stadt verteile Anlaufstellen dienen, an denen die Fahrzeuge verweilen, wenn gerade keine Beförderungsaufträge anstehen. Von dort können sie ihre Kunden innerhalb kürzester Zeit, bei ausreichender Dichte der Charging Hubs, erreichen.
Ebenfalls in Urban Charging Hubs einbinden lassen sich der ÖPNV sowie Mikromobilitätslösungen wie E-Scooter oder E-Bikes. So können die Hubs zu intermodalen Knotenpunkten entwickelt werden. Ausgestattet mit Schnellladesäulen sowie mit automatischen Ladehauben, die am Dach der Busse angeschlossen werden, kann der ÖPNV in feste Strukturen ohne das Risiko von "stranded investments" eingebunden werden. Letztlich wird damit "Mobility as a Service" unterstützt. Es löst ein Problem, das viele Stadtbewohner kennen: Die perfekte Route von A nach B finden, mittels Bus-App, Bahn-App, Google Maps und Ortskenntnis. Für das nahtlose multimodale Mobilitäts- und Reiseerlebnis werden Mobility Hubs in Städten künftig eine große Rolle spielen.