Eine Verlagerung des überschüssigen Kohlenstoffs aus der Atmosphäre in den Boden und in Baustoffe ergänzt die Bemühungen um Emissionsreduktionen und verbessert den Carbon-Footprint der Produktion.
Fossile Brennstoffe haben seit der industriellen Revolution die Entwicklung unserer Wirtschaft ermöglicht. Westliche Gesellschaften verdanken seit über 200 Jahren einen Gutteil ihrer Lebensqualität dem breiten Einsatz von Kohle, Erdöl und Erdgas.
Diese Energieträger stellen ihre Energie dann zur Verfügung, wenn sie oxidiert werden – sie funktionieren also nur durch das Prinzip Verbrennung. Das resultierende Produkt Kohlenstoffdioxid enthält jedoch weiterhin Kohlenstoff, nur diesmal als Gas. Durch seine »Entsorgung« über Kamine und Abgassysteme in die freie Atmosphäre entledigen wir uns scheinbar elegant des Problems, was zu tun sei, wenn der Kohlenstoff seine Schuldigkeit getan hat.
Zwischenlager Atmosphäre
Die Verwendung des scheinbar unerschöpflich großen Zwischenlagers Atmosphäre für die CO2-Emissionen der Menschheit hat sich als grober Missbrauch erwiesen. Ein Anstieg der CO2-Konzentrationen von 280 auf derzeit über 410 ppm hat gemeinsam mit Konzentrationserhöhungen anderer Treibhausgase zu für diesen kurzen Zeitraum beispielloser globaler Erwärmung und erhöhter Eintrittswahrscheinlichkeit von Extremwetterlagen geführt, was allein der bisherige Verlauf des Jahres 2021 eindrucksvoll bestätigt hat.
Eine Trendwende hat glücklicherweise eingesetzt. In mittlerweile 26 UN-Klimakonferenzen inklusive Glasgow 2021 wurde die Dringlichkeit des Problems wohl erkannt und diskutiert. Maßnahmen werden aber nur zögerlich und mit wechselndem Erfolg umgesetzt.
Kohlenstoff-Fänger pflanzliche Biomasse
Jede Technologie, die durch Nutzung erneuerbarer Energie den Verbrauch fossiler Brennstoffe ersetzt, hilft weiteres Überfüllen des missbrauchten Kohlenstoff-Zwischenlagers Atmosphäre zu reduzieren. Wird für diesen Zweck pflanzliche Biomasse eingesetzt, kann Photosynthese als höchst effizienter Kohlenstoff-Konzentrierungsmechanismus seine Stärke ausspielen.
Pflanzen schaffen auf diese Weise eine Anreicherung von einer atmosphärischen Kohlenstoff-Konzentration von 0,011 % C (0,041 % CO2) auf 45 bis 50 % C in der pflanzlichen Biomasse. Dieser Anreicherungsfaktor von über 4000 ist eine gewaltige Hilfe dabei, einen sehr verdünnt vorliegenden gasförmigen Stoff in eine gut handhabbare feste Form zu bringen.
Pflanzen in jeder Form, von der Alge bis zum Baum, sind daher ein erster Schritt und ein Entgegenkommen der Natur, den CO2-Überschuss in der Atmosphäre abzubauen. Wird pflanzliche Biomasse als Ersatz für fossile Brennstoffe genutzt, können die Nutzen einer kohlenstoff-zentrierten Wirtschaft weiterhin lukriert werden, ohne den Zwischenspeicher Atmosphäre weiter zu belasten – die Pflanzen haben ja schon vorher den Kohlenstoff der Atmosphäre entzogen.
Pflanzenkohle als Kohlenstoff-Senke
Damit ist jedoch noch nicht dabei geholfen, CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre zu entfernen. Dies wird erst möglich, wenn der in der pflanzlichen Biomasse bereits vorkonzentrierte Kohlenstoff so verwendet wird, dass er nicht umgehend wieder als CO2 in die Atmosphäre entschwindet. Mittel und Wege dazu sind seit Jahrhunderten bekannt – die Kunst der Köhlerei hat es schon früher verstanden, durch den Verkohlungsschritt von Holz eine weitere »Aufkonzentration« des Kohlenstoffs auf 70 bis 80 % C zu bewirken und damit einen wichtigen Energieträger in der Ära vor dem Einsatz fossiler Brennstoffe zu erzeugen.
Durch den Einsatz als Brennstoff konnte die Holzkohle natürlich nicht zur dauerhaften Entfernung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre beitragen. Aus der verbrannten Holzkohle entstand ebenso wieder CO2 wie bei Biomasse-Heizungen der heutigen Generation. Erst wenn Holzkohle – oder andere verkohlte pflanzliche Biomasse, die allgemein als Pflanzenkohle bezeichnet wird – in einer Form verwendet wird, wo der Kohlenstoff stabil bleibt und nicht oxidiert wird, bleibt dieser dauerhaft der Atmosphäre entzogen.
Bild: Sichere und effektive Technologie für die langfristige Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre: Hier Pflanzenkohle im Vorratslager einer kommerziellen Pyrolyse-Anlage.
Für solche Verwendungen von Pflanzenkohle steht ein breites Einsatzspektrum zur Verfügung. Tausende Studien haben in den letzten 20 Jahren das hohe Potential von Pflanzenkohle unter anderem als Bodenverbesserungsmittel, als Nährstoffträger, als Filtermaterial, als Baustoffzusatz, als Futtermittelzusatz untersucht. Es besteht nicht nur eine breite wissenschaftliche Basis über den Nutzen von Pflanzenkohle als Umwelttechnologie, sondern auch über die Limitierungen – denn wie jede Technologie kann auch Pflanzenkohle falsch eingesetzt werden. Die Dauerhaftigkeit des Kohlenstoffs, wenn die Pflanzenkohle in den Boden eingebracht wird, ist eine der erfreulichsten Eigenschaften dieses Materials.
Abgeleitet aus vielen Studien, wird derzeit eine jährliche Abbaurate von 0,3 % des Kohlenstoffs als konservativer Schätzwert angenommen, wenn Pflanzenkohle in den Boden eingearbeitet wird. Somit sind nach 100 Jahren noch etwa 74 % der Ausgangsmenge erhalten. Beim Einsatz von Pflanzenkohle als Beton- oder Asphalt-Zuschlagsstoff ist der jährliche Verlust noch wesentlich geringer. Daher kann es als gut gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis angesehen werden, dass der in Pflanzenkohle gespeicherte Kohlenstoff auf Jahrhunderte bis Jahrtausende der Atmosphäre entzogen bleibt.
Dieses Faktum ist eine wichtige Basis für den Einsatz von Pflanzenkohle als effektive CO2-Entfernungstechnologie. Das überlastete Zwischenlager Atmosphäre kann endlich zu entleeren begonnen werden und das weitaus fassungsfähigere Endlager Boden nimmt den atmosphärischen Überschuss auf.
Kein Fass ohne Boden
Vorbedingung für den breiten Einsatz der Pflanzenkohle-Technologie zur Verschiebung des C-Überschusses aus der Atmosphäre in die C-Senke Boden ist die Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf den Boden. In der Tat kann ein unüberlegter und ungeregelter Masseneinsatz von Pflanzenkohle mehr Schaden als Nutzen anrichten. Um dies zu vermeiden, wurden auf internationaler und nationaler Ebene Richtlinien und Normen erstellt, bei deren Einhaltung Bodenschädigungen vermieden werden.
- Die Produktion von Pflanzenkohle muss nach den Richtlinien des »European Biochar Certificate« (EBC) erfolgen. Darin ist geregelt, dass die Beachtung der Nachhaltigkeit schon bei der Produktion der Biomasse beginnt, sich über die Kontrolle des Pyrolyse-Prozesses fortsetzt und bei einer qualitäts- und schadstoffkontrollierten Pflanzenkohle endet. Solcherart zertifizierte Pflanzenkohle kann bedenkenlos als C-Senke verwendet werden, vorzugsweise nachdem sie in Mehrfach-Nutzung ihre positiven Eigenschaften in anderen umwelttechnologischen oder landwirtschaftlichen Einsatzbereichen ausspielen konnte.
- Für die Anrechnung des gespeicherten Kohlenstoffs in Form von handelbaren Zertifikaten bestehen ebenfalls detaillierte Richtlinien im Rahmen des EBC. Diese beginnen ebenfalls bereits bei einer nachhaltigen Produktion des Einsatzstoffs inklusive Einberechnung der Treibhausgas-Emissionen während der Produktion, setzt sich über die Prozesskontrolle fort und endet erst nach der Kontrolle der tatsächlichen Verwendung der Pflanzenkohle in einer permanenten Senke wie Boden oder Baustoffe. Denn sollte eine noch so nachhaltig produzierte Pflanzenkohle als Grillkohle enden, endet damit auch ihre Funktion als Kohlenstoff-Senke.
Die Einhaltung aller gesetzlichen Rahmenbedingungen und – oft noch freiwilligen – Richtlinien stellt sicher, dass dem exponentiellen Anstieg der Verbreitung des Pflanzenkohle-Einsatzes nichts im Wege steht. Angesichts der aktuellen Klimakrise werden wir diesen Beitrag dringend brauchen.
Zum Autor
Gerhard Soja ist Obmann des »Österreichischen Vereins für Biomasse-Karbonisierung (ÖBIKA)«, Senior Scientist des AIT Austrian Institute of Technology und der Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Verfahrens- und Energietechnik. ÖBIKA hat zum Ziel, verschiedene Formen von Karbonisaten (Pflanzenkohle, sonstige Biokohlen, Hydrokohle, Vergaserkohle) zu erforschen und ihre Anwendungsmöglichkeiten in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.