Donnerstag, November 21, 2024
Systemupgrade mit lokal produziertem Ökostrom
Lorena Škiljan plant und setzt neuartige energiewirtschaftliche ­Architekturen um.

Lorena Škiljan ist Gründerin und Managing Partner bei Nobilegroup. Sie sieht sich als Brückenbauerin zwischen Welten – der traditionellen Energiewirtschaft und neuen Akteuren wie beispielsweise Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften.

Report: Welchen Bedarf wollen Sie mit den Services der Nobilegroup abdecken?

Lorena Škiljan: Wir sind überzeugt, dass auf den Energiemarkt große Veränderungen kommen. Die Energiesysteme sind im Wandel – die Menschen werden zu aktiven Teilnehmern. Dann müssen wir alle einen Beitrag leisten, um die Klimaveränderungen zumindest zu einem kleinen Teil bewusst zu steuern – ein Stoppen ist ja nicht mehr möglich. Hier sind alle Anstrengungen gefragt, von der Bevölkerung und Unternehmen.

Peter Gönitzer und ich haben die Nobilegroup gegründet, um diese Veränderungen von der Basis her zu begleiten und zu unterstützen. Die herrschenden Energiesysteme sind historisch Top-down geplant und umgesetzt worden. Zentrale Kraftwerke speisen Energie in die Netze, die wiederum hierarchisch aufgebaut sind. Man wird diese Strukturen auch weiterhin benötigen. Sie sind wichtig, um unseren Wohlstand und unsere Versorgungssicherheit zu bewahren. Zusätzlich aber kommt eine breite Bewegung von unten in den Markt. Wir haben das Knowhow und das Netzwerk in der Energiebranche, dieses neue System mitzugestalten.

Report: Sie sprechen damit neue Akteure in der Energiewirtschaft an.

Škiljan: Wir sehen uns als Brückenbauer und Kommunikatoren. Mit dem kommenden Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz werden Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften rechtlich möglich. Doch gibt es kein neues System ohne das alte System, denn doppelte Infrastrukturen zu errichten, wäre komplett sinnlos. Für uns bedeutet das, eine Verbindung und Wege zwischen den Netzbetreibern, Energieversorgern und den neuen Teilnehmern – Gemeinden, Haushalte und KMU – zu schaffen und zu finden. Alle können von der Energiezukunft profitieren und wenn wir es gemeinsam angehen, ist es auch schneller zu schaffen.
 
Report: Wie könnte dieses neue System ausschauen? Was dürfen wir uns erwarten?

Škiljan:
Beispielsweise könnte eine Gemeinde gemeinsam mit Unternehmen vor Ort eine Energiegemeinschaft gründen, um bestehende Erzeugungsanlagen lokal zu vernetzen und zu nutzen. Oft gibt es in den Gemeinden bereits Anlagen wie Photovoltaik und andere Assets. Unsere Leistung und der Mehrwert, den wir einbringen, ist die Planung und die Umsetzung der energiewirtschaftlichen Architektur dazu. In der Energiegemeinschaft sollen die Erzeugung und der Verbrauch zusammenfinden. In der Sprache der Technik werden Supply und Demand in Form eines energiewirtschaftlichen Engineering gekoppelt. Es ist die Gegenthese zum einseitigen Investieren – bleiben wir beim Beispiel PV – in Anlagen, die mit den Leistungsspitzen in einem Ortsteil ins Summe das lokale Netz an seine Grenzen bringen.

Prinzipiell können sich im Gegensatz zu dem überregionalen Modell der Bürgerenergiegemeinschaft bei der lokalen Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaft Teilnehmer der Netzebene sieben – der Haushaltsebene – der Ebene sechs – Gewerbebetriebe mit eigener Trafostation – und der Netzebene fünf zusammenschließen. Die Grenzen sind systemisch, nicht politisch. Auch mehrere Gemeinden können kooperieren, um den Aufwand zu vereinfachen. Und eine große Gemeinde mit vielleicht mehreren tausend Einwohnern kann auch zwei Energiegemeinschaften nebeneinander betreiben.

Report: Wie beginnt ein solches Projekt in der Praxis?

Škiljan:
Wir gehen in die Gemeinde und schauen uns die Lastprofile von Haushalten, von gemeindeeigenen Anlagen wie vielleicht einem Wasserwerk oder Pumpen, die viel Strom verbrauchen, und weiteren Bereichen an. Ziel ist stets, Erzeugung und Verbrauch so aufeinander abzustimmen und miteinander zu verzahnen, dass möglichst wenig Strom von außen zugeführt werden oder umgekehrt ins Netz eingespeist werden muss. Je besser das gelingt, desto wirtschaftlicher ist das System.

Report: Und wo sind die Vorteile für die Teilnehmer tatsächlich?

Škiljan:
Gesetzlich ist festgelegt, dass die Teilnehmer einer Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaft deutliche Erleichterungen hinsichtlich der Netzgebühren erhalten – vorgelagerte Netzebenen werden ja nicht mehr benötigt. Man wird das auf seiner Stromrechnung sehen können: Bis zu 60 Prozent der Netzgebühren, die in der Regel ein Drittel der Rechnung ausmachen, fallen weg. Ein zweites Drittel machen Steuern und Abgaben aus. Wenn bei einer Energiegemeinschaft nun auch die Elektrizitätsabgabe zur Gänze und die Ökostrompauschale zumindest teilweise wegfällt, wird sich das ebenfalls positiv auswirken. Und nicht zuletzt legen die Menschen Wert darauf, lokal produzierten Ökostrom zu beziehen.

Report: Wie viel Fantasie steckt derzeit in diesem Modell und wie viel davon ist bereits heute umsetzbar?

Škiljan:
Das Geschäftsmodell der Energiegemeinschaften gibt es in der Europäischen Union schon länger. Es ist in anderen europäischen Staaten vielfach in unterschiedlichen Ausprägungen bereits zum Einsatz gekommen. Die Lösungen, um die Energiegemeinschaften zum Laufen zu bringen, sind am Markt vorhanden. Auch die Energieversorger haben diese Systeme in ihren Häusern und können sie zum Beispiel als Shared-Services zu Verfügung stellen. Wir sprechen hier von vorhandenen Abrechnungssystemen, die eventuell noch mit einem Balancing und Clearing mit Abrechnungen auf Stundenbasis oder in anderen Formen in Einklang gebracht werden müssen. Die Prozesse sind ja immer noch die gleichen: Strom wird irgendwo erzeugt, über Smart Meter verteilt, und es werden Viertelstundenwerte übermittelt – an den Netzbetreiber oder eben an eine Energiegemeinschaft respektive an einen Serviceprovider, der dazwischen geschaltet die Abrechnung für die Gemeinschaft übernimmt.

In der Praxis können wir heute schon Erzeugung und Verbrauch gut miteinander verschränken. Zum Beispiel kann eine Schule einer Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaft untertags vom Überschuss aus der PV-Erzeugung der Haushalte profitieren. Gibt es am Dach des Schulgebäudes eine PV-Anlage, kommt diese am Wochenende wiederum den umliegenden Bewohnern zugute.

Nobilegroup hat dazu ein Simulationstool geschaffen, um Lastflüsse und Abhängigkeiten zu analysieren, darzustellen und zu optimieren. Wir versuchen eine Eigenverbrauchsquote von wenigstens 80 Prozent und einen bestimmten Autarkiegrad zu erreichen. Gerade mit dem kommenden Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz wird auch eine Sektorkopplung mit dem Wärmebereich möglich. Das wird den größten Effizienzhebel bringen. Wir ermutigen deshalb auch Bauträger und die Immobilienwirtschaft, eine dezentrale Wärmeerzeugung als Standortfaktor zu überlegen. Je nach Lage kann das etwa in einer Kombination mit PV, Wärmepumpen oder Geothermie umgesetzt werden.

Report: Gibt es genügend Finanzierungsmöglichkeiten für solche Projekte?

Škiljan:
Allerdings, der Klima- und Energiefonds etwa unterstützt Projekte mit dem Programm »Austrian Green Finance Agenda«. Von klimaaktiv wurde das »Austrian Green Investment Pioneers Programm« ins Leben gerufen, um den Einstieg in grüne Projekte und den Aufbau nachhaltiger Geschäftsmodelle zu erleichtern. Im Moment werden auch von institutionellen Anlegern echte grüne Projekte gesucht. Gerade die großen Fonds haben zunehmend Beschränkungen bei der Steuerung ihrer Investments. Es geht international klar zu sauberen Anlageformen, weg von schmutzigen, fossilen Wirtschaftsbereichen.

Ein Riesenhebel aber wird die neue EU-Taxonomie mit einem Klassifizierungssystem für nachhaltige Immobilien werden. Geplant sind Abschläge für Immobilien, die den erforderlichen Kriterien nicht entsprechen. Ein Immobilienportfolio kann so über Nacht an Wert verlieren – Besitzer müssen so bald wie möglich Maßnahmen setzen. Wir erwarten deshalb ein verstärktes Einbinden von Immobilien auch in Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften.


Über das Unternehmen
Nobilegroup, ein Beratungsunternehmen und Projektentwickler für erneuerbare Energielösungen, wurde 2019 von Lorena Škiljan und Peter Gönitzer gegründet. Die beiden vereint eine langjährige Expertise im Energie- und Infrastruktursektor. Nobilegroup entwickelt gemeinsam mit kommunalen Kunden und Unternehmen Energiegemeinschaften und individuelle Energielösungen.

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