Montag, Dezember 23, 2024
"Mobilitätsbedürfnisse lassen sich auch mit halbvoller Batterie erledigen"

E-Mobilität braucht eine intelligente Ladeinfrastruktur und ein neues Tarifsystem. Das fordern Netzbetreiber bei einem Hintergrundgespräch und verweisen auf das Forschungsprojekt Urcharge in Linz.

Aktuell sind rund 5 Millionen Pkw in Österreich gemeldet – mit einem E-Car-Anteil von 0,9 % respektive 2,6 % bei der Hinzurechnung von Hybridfahrzeugen. Um die EU-Klimaziele bis 2030 zu erreichen, sollten gut 30 % der Pkw elektrisch betrieben werden. Das bedeutet mindestens 1,5 Mio. Fahrzeuge am Stromnetz und einen massiven Ausbau von Ladeinfrastruktur sowohl im öffentlichen Bereich als auch auf privatem Grund. Die direkten Auswirkungen auf die Stromnetze und in welcher Weise weitere Netzausbaukosten vermieden werden können, waren die Themen eines Hintergrundgesprächs des Forums Versorgungssicherheit.

„Wir haben uns in Linz intensiv mit der Elektromobilität beschäftigt“, berichtet Johannes Zimmerberger, Geschäftsführer der Linz Netz GmbH. In dem Forschungsprojekt "Urcharge" entwickelt und testet der Netzbetreiber gemeinsam mit der TU Wien, dem Ladeinfrastrukturhersteller Keba, dem Berater ETA und der Wohnungsgenossenschaft Neue Heimat OÖ eine neuartige Ladesoftware. Mit dem System sollen 100 Ladepunkte und mehr dynamisch angesteuert werden können. Aktuell umfasst die Testphase 50 E-Fahrzeuge in einem realen Nutzungsumfeld im großen Wohnbau.

 „Typischerweise wird im privaten Bereich über Wallboxen mit 11 kW Leistung geladen. Das würde ungesteuert bei dem Ziel von 1,5 Mio. Autos zusätzliche 3,3 GW Leistung für die Stromnetze bedeuten“, erklärt Zimmerberger. Bei einer aktuell maximalen Netzlast in Summe von rund 10,8 GW in Österreich würden daraus Ausbaukosten von mehreren Milliarden Euro entstehen. „Wir wollen das vermeiden, indem Ladungen intelligent gesteuert werden“, betont er.

Im Projekt Urcharge wird ein dynamisches Leistungsmanagement anhand von drei Fahrzeugmodellen getestet. Es gilt, das Zeitfenster der Ladungen, das üblicherweise zwischen 18 und 24 Uhr für Spitzen im Netz sorgt, über die Nacht auszudehnen. Selbst bei einer völlig entleerten Batterie und „nur“ 3,6 kW Ladeleistung wäre ein VW e-Golf in sieben Stunden, ein Hyundai Ioniq Elektro in neun und das Tesla Model 3 in 14 Stunden geladen. Aber: Die durchschnittliche Fahrleistung eines Pkw in Österreich beträgt Studien zufolge lediglich 38 km pro Tag. „Bei 50 kW/100 km wäre mit einer Ladeleistung von 3,6 kW ein Fahrzeug in gut eineinhalb Stunden aufgeladen“, rechnet der Linz-Netz-Geschäftsführer vor.

Damit ist die Mehrzahl der Fahrzeuge bei sogar noch geringeren Leistungen von 1 kW problemlos über Nacht aufgeladen, ist ein Fazit aus dem Projekt. Für 30 % der Nutzer ist Schnellladen „wichtig“ oder „sehr wichtig“. „Aber wir gehen davon aus, dass Schnellladen nur in Notfällen oder auf der Autobahn nötig ist“, so Zimmerberger. „Die meisten Mobilitätsbedürfnisse lassen sich auch mit halbvoller Batterie erledigen.“

Während zu Projektbeginn die Nutzer ihre Fahrzeuge stets am gleichen Tag wieder am angestammten Ladeplatz angesteckt hatten, wurde das mit der Zeit lockerer gehandhabt. Das Aufladen erfolgt nun meist ab einem Akkustand von gut 30 % oder vor geplanten längeren Fahrten.

Und welche Auswirkungen auf die Netze hätte eine vollständige Durchdringung mit Elektromobilität auf den Straßen? „Beim unkontrollierten Laden würde sich die Summenleistung aus Ladeninfrastruktur und dem Bedarf der Haushalte nahezu verdoppeln“, warnt der Experte. Mit einem Lastmanagement dagegen können Spitzen geglättet und Leistungen verteilt werden. Ein zusätzlicher Netzausbau wäre damit nicht bis kaum notwendig.

Der Vorschlag der Netzbetreiber: Netzdienliches Verhalten soll belohnt werden dürfen, die Nutzer leistungsabhängige Tarife bezahlen. Und die Betreiber sollen in den Ladevorgang eingreifen dürfen, um zu gewissen Zeiten Ladeleistungen zu beschränken – etwa, indem an Wallboxen die Wahlmöglichkeit zwischen Langsam- und Schnellladen angeboten wird.

Was würden 30 % E-Fahrzeuge im Jahr 2030 für die Stromerzeugung und -Importe in Österreich bedeuten? Zimmerberger sieht eine Steigerung des Stromverbrauchs von rund 4 %. Diese zusätzliche Prozentzahl würde auch an Leistung in den Netzen gefordert sein – „eine aus unserer Sicht überschaubare Menge“.

„Wenn die Coronakrise irgendetwas Positives gebracht hat, dann war das die Reduktion der Treibhausgase im Vorjahr – ein großer Teil davon im Bereich Verkehr“, schließt Brigitte Ederer, Sprecherin des Forum Versorgungssicherheit. Um diesen Effekt weiterzutragen, seien nun der Ausbau von Ladeinfrastruktur und optimale Marktmodelle notwendig.

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