Mit seinem »Campus Microgrid« in Wien-Floridsdorf zeigt Siemens, wie dezentrale Energiesysteme alltagstauglich werden können. Das »Herzstück« für ihr Funktionieren kommt aus Österreich.
Vor wenigen Wochen nahm Siemens Österreich an seinem Hauptsitz in Wien-Floridsdorf das sogenannte »Campus Microgrid« in Betrieb. Nach Angaben des Unternehmens handelt es sich dabei um »ein intelligentes System zur Optimierung des Strom- und Wärmebedarfs am Unternehmensareal«. Das Microgrid beziehungsweise Bereichsnetz besteht aus Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtfläche von 1.600 m³ und einer Spitzenleistung von 312 Kilowatt (kWp), einem Batteriespeicher mit 500 kW Leistung und 500 kWh Kapazität sowie je nach Zählweise etwa 60 Ladestationen für Elektrofahrzeuge.
Das »Herzstück« des Systems ist der Microgrid-Controller, ein Steuerungsprogramm, das die Versorgung des Microgrids mit elektrischer Energie laufend optimiert. Dabei berücksichtigt es insbesondere die aktuelle Stromerzeugung der PV-Anlagen, Verbrauchsspitzen sowie weitere Parameter, darunter die Wetterprognose und das voraussichtliche Ladeverhalten der Elektrofahrzeuge. Die in das Microgrid einbezogenen Geräte und Anlagen übermitteln dem Controller kontinuierlich rund 1.000 Messwerte.
Österreich spielt im Zusammenhang mit dem Microgrid-Controller übrigens eine besondere Rolle: Dieses wird hierzulande entwickelt und in alle Welt verkauft. Bei maximaler Stromerzeugung kann die PV-Anlage des Microgrids rund acht Prozent des Strombedarfs am Standort decken. Bevorzugt werden damit die Ladesäulen der Elektrofahrzeuge versorgt. Verbunden damit ist eine Reduktion der CO2-Emissionen um immerhin rund 100 Tonnen pro Jahr.
Anstoß von der E-Mobilität
»In der Anlage in Floridsdorf haben wir das realisiert, was wir unter einem dezentralen Energiesystem verstehen. Hier können wir zeigen, dass und wie so etwas funktioniert«, erläutert der zuständige Siemens-Manager Robert Tesch. Den Anstoß für die Etablierung des Microgrids gab die Tatsache, dass Siemens Österreich auch in seiner firmeneigenen Fahrzeugflotte verstärkt auf Elektromobilität setzt. Simulationen zeigten, dass das gleichzeitige Laden aller E-Fahrzeuge zu erheblichen Problemen mit dem Netzanschluss führen würde. »Also haben wir Lösungen gesucht«, berichtet Tesch. Die PV-Anlage zur Stromversorgung einfach mit einem Batteriespeicher zu kombinieren, hätte nicht genügt, weil dieser »zur Unzeit« leer sein kann, nämlich dann, wenn er zur Ladung benötigt wird. Ist mangels Sonneneinstrahlung gerade dann auch kein Strom aus der PV-Anlage verfügbar, muss die elektrische Energie über das Netz bezogen werden. Hinzu kommt, dass in Industriebetrieben und anderen Unternehmungen die meisten Fahrzeuge morgens in einem vergleichsweise knappen Zeitraum gleichzeitig eintreffen und das Areal abends in einem ebenso engen Zeitfenster wieder verlassen: »Diesem Problem der Gleichzeitigkeit kann man nur mit Intelligenz entgegenwirken.« Zuständig dafür ist der Microgrid Controller, der sich unter anderem um das Lademanagement kümmert.
Bitte kein Kühlhaus
Eine bedeutsame Rolle bei der Optimierung des Energiebedarfs spielt ferner das Gebäudemanagementsystem Desigo, das die wichtigsten Verbraucher kontrolliert und deren Flexibilität dem Microgrid Controller zur Verfügung stellt. Laut Tesch »denkt« der Controller vereinfacht gesprochen in Kilowattstunden, das Desigo dagegen in Grad Celsius, wenn es um die Raumwärme, oder in Lumen, wenn es um die Helligkeit geht. Desigo meldet dem Controller laufend, welche Flexibilitäten zur Verfügung stehen. »Für einen Menschen ist es egal, ob die Lüftungsanlage gerade mit 21 oder 20 m³ bläst, weil er den Unterschied nicht wahrnehmen kann. Aber der geringfügig niedrigere Strombedarf kann genutzt werden, um das Gesamtsystem zu optimieren«, konstatiert Tesch. Ihm zufolge achtet Desigo allerdings streng darauf, dass die Energiebedarfsoptimierung nicht zu einem allzu großen Komfortverlust führt: Der Microgrid Controller habe beispielsweise keine Möglichkeit, im Sinne der Verbrauchsreduktion »ein Bürogebäude in ein Kühlhaus zu verwandeln«.
Weltweit etabliert
Weltweit hat Siemens bereits so manche intelligenten Microgrids installiert, etwa auf Mittelmeerinseln, die zuvor ausschließlich über Dieselgeneratoren mit elektrischer Energie versorgt wurden. Dies ging nicht nur ordentlich ins Geld, weil der Antransport des Brennstoffs mit Tankschiffen alles andere als billig ist. Auch die CO2-Bilanz der Insulaner gestaltete sich alles andere als erfreulich im Sinne der internationalen Klimapolitik. Mit den intelligenten Mikronetzen, die sich auf erneuerbare Energien stützen, lassen sich beide Probleme elegant lösen. Auf Microgrids setzen ferner Bergbauunternehmen, die Minen weitab öffentlicher Stromnetze betreiben. Dort kann mit derartigen Systemen die Elektrizitätsversorgung zuverlässig gewährleistet werden. Zu den Kunden gehören indessen auch martialischere Zeitgenossen, etwa Verbände der US-amerikanischen Streitkräfte. Diese legen Wert darauf, ihre Stützpunkte im Notfall auch ohne Anbindung an ein öffentliches Stromnetz versorgen zu können.
Perspektiven durch das EAG
In Österreich errichtete Siemens abgesehen von der Anlage in Floridsdorf noch weitere Microgrid-Lösungen mit unterschiedlichem Umfang im Rahmen von Forschungsprojekten. Kommerziell offeriert werden sollen solche Lösungen laut Tesch nicht zuletzt Infrastrukturbetreibern, etwa für Shoppingmalls sowie Industrie- und Gewerbeparks, aber auch Anbietern von Ladeinfrastrukturen für Elektrofahrzeuge. »In einer großen Parkgarage einige hundert Stellplätze mit Lademöglichkeiten auszustatten, ist mit dem derzeitigen Netzanschluss üblicherweise nicht möglich. Also braucht man eine Lösung, um das Netz zu entlasten und gleichzeitig einen gewissen Ladekomfort zu bieten. Und das kann unser Microgrid«, erläutert Tesch.
Perspektiven bietet aber auch das kommende Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG). Dieses sieht unter anderem die Einrichtung von Energiegemeinschaften vor, die laut dem Entwurf in gewissem Umfang auch Stromnetze betreiben dürften. Zwar steht noch nicht fest, ob dies tatsächlich so kommt. Außerdem ist unklar, wie Energiegemeinschaften in den Besitz von Netzinfrastrukturen kommen können. »Wenn allerdings eine solche Gemeinschaft ein Netz besitzt, ist unsere Microgrid-Lösung genau die Technologie, die sie braucht, um es effizient zu betreiben«, betont Tesch. Grundsätzlich sei es überall dort, wo neue Infrastrukturen mit Bedarf an Energie errichtet werden, naheliegend, sich mit dem Thema Microgrids auseinanderzusetzen. Tesch verweist in diesem Zusammenhang auf bereits bestehende rechtliche Vorgaben mancher Kommunen: »Diese fordern, dass neue Gebäude mit PV-Anlagen und Ladestationen ausgestattet werden. Wenn man seine Netzanschlussleistung auf einen gewissen Wert begrenzen möchte, können Microgrids da hilfreich sein.«
Überzeugt von der Sinnhaftigkeit derartiger Lösungen gibt sich Klima- und Energieministerin Leonore Gewessler. Anlässlich der Präsentation des Campus konstatierte sie: »Der Wettbewerb der Zukunft wird ein Wettbewerb um die klimafreundlichsten Technologien sein. Diese Technologien und Anwendungen schaffen die einzigartige Möglichkeit, ressourcenschonender und energieeffizienter für Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien zu sorgen und jede Menge CO2 einzusparen.«