Eine sichere Stromversorgung hat essentielle Bedeutung. Doch steht Strom auch immer „à la carte“ zur Bestellung bereit? Welchen Herausforderungen haben sich die Energiewirtschaft, aber auch die Elektroindustrie zu stellen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Energietechnik-Fachtagung des Österreichischen Verband für Elektrotechnik (OVE) am 12. und 13. Oktober in Salzburg.
„Die oft zitierte Energiewende zielt auf einen Umbau unseres Energiesystems, bei dem erneuerbare Energieträger eine zentrale Rolle spielen werden. Zahlen dazu nannte kürzlich Österreichs E-Wirtschaft. Sie sieht einen Ausbau der erneuerbaren Energien im Stromsystem auf 85 % bis 2030 und eine Erhöhung des Stromanteils im gesamten Energiesystem von aktuell 20 % auf ein Drittel. Damit dieser angepeilte Paradigmenwechsel auch gelingt, gilt es, Herausforderungen auf dem Gebiet der dezentralen Stromerzeugung und -speicherung, der E-Mobiltät bis zu Netz- und Datenmanagement für Smart Grids zu meistern. Insgesamt werden die dafür erforderlichen Investitionen insbesondere in die Netzinfrastruktur mit bis zu 50 Mrd. Euro bis 2030 abgeschätzt“, betont OVE-Präsident Franz Hofbauer.
„Das bedeutet eine große Chance für die heimische Wirtschaft genauso wie für alle Institutionen in der Energieforschung. Diese auch zu nutzen, bedarf es allerdings einer starken Industrie, die auch über die entsprechende Wertschöpfung in Österreich verfügt, und einer noch intensiveren Zusammenarbeit zwischen Forschung, Entwicklung und Industrie“, so Hofbauer weiter. „Der Österreichische Verband für Elektrotechnik und hier insbesondere die Österreichische Gesellschaft für Energietechnik (OGE) bietet sich als Plattform an, das partnerschaftliche Zusammenwirken in den angesprochenen Bereichen zu unterstützen.“
Zentraler Faktor für Wettbewerbsfähigkeit
Die Halbleiterindustrie ist ein Paradebeispiel für Unternehmen, die besonders stark von einer zuverlässigen Stromversorgung abhängig sind. Thomas Reisinger, Vorstand für Operations bei Infineon Technologies Austria AG, nennt daher „eine stabile und verlässliche Stromversorgung sowie Netzstabilität für die Halbleiterindustrie als Großverbraucher als den zentralen Faktor, um wettbewerbsfähig zu sein“, und er ergänzt: „Die investitionsintensiven, hochsensiblen Anlagen laufen bei Infineon Austria 365 Tage im Jahr im Vollschichtbetrieb. Längere Ausfälle, aber auch bereits geringe Spannungsschwankungen haben – trotz interner zusätzlicher Sicherungssysteme – unmittelbare Auswirkungen auf die Produktion und bringen eine Reihe von nachgelagerten Effekten – Schäden an der Infrastruktur, Lieferverzögerungen, höhere Kosten – mit sich.“
Die österreichische Elektroindustrie ist bereit
„Die Elektroindustrie trägt durch die Entwicklung neuer und innovativer Produkte sowie durch ständige Weiterentwicklung bestehender Produkte wesentlich dazu bei, die Energiewende zu ermöglichen“, stellt Alexander Schwab, Senior Vice President von Andritz Hydro, fest: „Die Digitalisierung wird zu einer weiteren Vernetzung der bereits automatisierten Anlagen führen, durch Forschung und Entwicklung werden die notwendigen Schritte für eine schnelle Umsetzung gesetzt. Die österreichische Elektroindustrie ist jedenfalls bereit für Strom à la carte – genau dort, wo er gebraucht wird, genau in der Menge verfügbar, wie benötigt.“
Abgestimmtes System
Eine wesentliche Rolle in der zuverlässigen Stromversorgung kommt den Netzen zu, wie Gerhard Christiner, Technischer Vorstandsdirektor Austrian Power Grid (APG), erläutert: „Ein leistungsfähiges und flexibles Stromnetz ist erfolgsentscheidend, wenn es darum geht, die erneuerbaren Potenziale in Österreich und in Europa nutzbar zu machen und gleichzeitig unser hohes Niveau in der Versorgungssicherheit auch in Zukunft aufrecht zu erhalten.“ Und er führt weiter aus: „Die Energiewende – also die Umsetzung eines CO2-freien Energieversorgungssystems – ist eine Mammutaufgabe. Der europäische Kraftwerkspark wird in Richtung eines CO2-freien erneuerbaren Erzeugungssystems umgebaut. Zur sicheren Stromversorgung gehört aber ein abgestimmtes System aus Kraftwerken und ausreichend dimensionierten Stromnetzen. Die synchronisierte Weiterentwicklung beider Bereiche ist in ganz Europa nach wie vor unzureichend. Während der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik schnell voranschreitet, wird die Umsetzung wichtiger Netzausbauprojekte durch langwierige Genehmigungsverfahren verzögert. Bestes Beispiel dafür ist die Salzburgleitung, für die es auch nach mittlerweile über 50 Verfahrensmonaten noch immer kein grünes Licht gibt.“
Klimawandel, Energiewende und Digitalisierung als Herausforderungen
Das Motto der diesjährigen OGE-Fachtagung „Strom à la carte – die Vielfalt der Anwendungen und Lösungen“ treffe sehr gut auf sein Unternehmen zu, so Walter Tenschert, Geschäftsführer Salzburg Netz GmbH. „Die Salzburg AG als Energieversorgungsunternehmen und deren Netztochter Salzburg Netz GmbH versorgen große Industriekunden, städtische Stromnetze, ländliche Netzgebiete vom Flachland bis zum Hochgebirge, Tourismusgebiete mit leistungsstarken Lift- und Beschneiungsanlagen oder große Hotelanlagen. Diese Bandbreite stellt besondere Anforderungen und erfordere vielfältige Lösungen, welche sich jedoch in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben“, stellt Tenschert fest: „War es bei der Elektrifizierung vor ca. 50 Jahren in erster Linie wichtig, überhaupt Strom in die entlegensten Winkel des Landes zu bringen, so stellen heute in erster Linie Klimawandel, Energiewende und Digitalisierung die Herausforderung dar.
Stromkunden profitieren von höchster Verfügbarkeit
„Die sichere Versorgung mit Strom und Gas ist ein Thema, das seit Jahren auf der Agenda der Regulierungsbehörde ganz oben steht und weiterhin Topthema bleiben wird“, betont Andreas Eigenbauer, Vorstand E-Control. Einerseits können sich die österreichischen Stromkunden auf eine sehr zuverlässige Stromversorgung verlassen. Die durchschnittliche Stromausfallsdauer 2016 ist hier erneut gesunken. Andererseits steht die heimische Stromversorgung, nicht zuletzt durch die immer höhere volatile Stromerzeugung, unter einem enormen Druck.“ Und er verweist: Um die Stromlücke aus der volatilen Erzeugung zu füllen, mussten heuer im Winter in Österreich Gaskraftwerke eingesetzt werden. Das hat uns real vor Augen geführt, wie stark Österreich in kritischen Situtationen energetisch nach wie vor von den thermischen Kraftwerken abhängig ist. Auch die Neueinordnung der Speicherkraftwerke ist erforderlich, weil damit nur Tages- bzw. Wochenspeicher realisierbar sind.“
Eigenbauers Schlussfolgerung: „Notwendige Maßnahmen bestehen nicht nur im weiteren Netzausbau, sondern auch in der Einbeziehung der Nachfrage in die Lösung des Lastausgleichs, in der Sicherung der Verfügbarkeit thermischer Kraftwerke sowie in der Weiterentwicklung von Brennstoffen als Langzeitspeicher.“
Dialog und Erfahrungsaustausch
„Wie den Anforderungen heute und in Zukunft entsprochen werden kann, wird bei der diesjährigen OGE-Fachtagung durch hochrangige Experten der Elektrizitätswirtschaft, der Elektroindustrie sowie aus Lehre und Forschung aufgezeigt, sodass ein spannender Dialog mit interessantem Erfahrungsaustausch erwartet werden darf“, fasst Johannes Vavra, Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Energietechnik (OGE)/Wiener Netze GmbH, das Programm der Veranstaltung zusammen.