Eine neue Studie im Auftrag der Agora Energiewende sieht erhebliches Verbesserungspotenzial bei den Rahmenbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel.
Wie der grenzüberschreitende Stromhandel in Zentraleuropa besser funktionieren könnte, ist das Thema einer neuen 76-seitigen Studie mit dem Titel „Refining Short-Term Electricity Markets to Enhance Flexibility“, die am 3. August offiziell präsentiert wird. Erstellt wurde sie von CE Delft und Microeconomics Paris im Auftrag des deutschen Energiewirtschafts-Thinktanks Agora Energiewende. Wie die Autoren erläutern, hat die Europäische Union beschlossen, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Deckung ihres gesamten Energiebedarfs bis 2030 auf 27 Prozent zu steigern. Zu diesem Zweck muss der Anteil der erneuerbaren Energien an der Deckung des Strombedarfs auf etwa 45 bis 53 Prozent erhöht werden. Das bedeute eine Verdopplung dieses Anteils innerhalb von lediglich 15 Jahren, wobei vor allem Windparks und Photovoltaikanlagen zum Einsatz kommen würden, heißt es in der Studie. Damit aber müsse das europäische System für die Stromversorgung „flexibler werden, sowohl auf der Erzeugungs- als auch auf der Verbrauchsseite“.
Eine der wichtigsten Herausforderungen in diesem Zusammenhang ist laut der Studie die unterschiedliche Gestaltung der Märkte für den kurzfristigen Handel mit elektrischer Energie in den einzelnen Staaten. Dies mache den grenzüberschreitenden Energiehandel ineffizient und verursache „systematische Reibungsverluste“. Untersucht wurde diese Problematik anhand der Situation im „Pentalateralen Energieforum“ (PLEF), dem entgegen seinem Namen nicht nur fünf, sondern sieben Staaten angehören, nämlich Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Österreich und die Schweiz. Vor allem hinsichtlich der Regelenergiemärkte dieser Staaten bestehe ein wahres „Flickwerk“ mit einander schwerlich kompatiblen Bestimmungen und damit erhebliches Potenzial für Verbesserungen. Dies betreffe etwa die Preisbildungsmechanismen: In einigen Staaten werde die Regelenergie nach den Grenzkosten für die Stromerzeugung bepreist. In anderen Staaten dagegen gelte das „Pay-as-bid“-Prinzip, das dazu veranlasse, Regelenergie zu Preisen über den Grenzkosten und damit ökonomisch ineffizient anzubieten. Auch seien die technischen Anforderungen für die Teilnahme an den Regelenergiemärkten verschiedenartig gestaltet. Dies wiederum erschwere es für potenzielle Anbieter, in mehreren Staaten tätig zu werden. Eine Harmonisierung der Bestimmungen und damit eine Verbesserung der Situation erwarten die Autoren der Studie durch den Network Code on Electricity Balancing, der derzeit seitens der Übertragungsnetzbetreiber in Ausarbeitung ist.
Mehr Einheitlichkeit gefragt
Auch im Intraday-Stromhandel steht der Studie zufolge keineswegs alles zum Besten. So muss Strom auf den Intraday-Märkten einiger Länder, wie etwa Belgien, Frankreich und den Niederlanden, in Stundenblöcken angeboten werden. Somit ist es für die Stromlieferanten und deren Kunden schwierig, sich gegen kurzfristige Verbrauchsschwankungen abzusichern. Gerade das jedoch erschwert die Integration von Windparks und Solaranlagen, deren Stromerzeugung witterungsbedingt stark schwanken kann und noch immer vergleichsweise schlecht prognostizierbar ist. Wie die Studienautoren betonen, können Intradaymärkte grundsätzlich eine zentrale Rolle bei der Integration der erneuerbaren Energien spielen - allerdings unter der Voraussetzung, dass sie das möglichst kurzfristige Reagieren auf neue Erzeugungsprognosen gestatten. Auf den Intradaymärkten in Deutschland, Österreich und der Schweiz etwa ist auch der Handel mit Viertelstundenprodukten etabliert.
Die Studienautoren empfehlen deshalb, auf den Intraday-Märkten aller PLEF-Länder kurze und möglichst einheitliche Produktlaufzeiten einzuführen. Darüber hinaus schlagen sie vor, die Handelszeiten an einander anzugleichen. Sinnvoll wäre ihnen zufolge überdies, den grenzüberschreitenden Intraday-Handel zu erleichtern, insbesondere, indem die für den Transport des Stroms nötige Leitungskapazität gleichzeitig mit diesem („implizit“) gehandelt werden kann. Dem gegenüber seien die derzeitigen „expliziten“ Auktionen der Kapazität auf den grenzüberschreitenden Leitungen wenig effizient.
Patrick Graichen, der Direktor von Agora Energiewende, resümiert: „Harmonisierte Marktregeln sind eine wesentliche Voraussetzung für den Stromhandel über Ländergrenzen hinweg. Nur damit lassen sich die in der PLEF-Region reichlich vorhandenen Flexibilitätspotenziale optimal nutzen.“ Das aber sei dringend notwendig für den geplanten weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien.
Die Studie „Refining Short-Term Electricity Markets to Enhance Flexibility“ steht auf www.agora-energiewende.de kostenlos zur Verfügung.